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Relativierung von Hamas-TerrorWir werden leben

Nach dem Anschlag in Israel ist für unsere Kolumnistin nichts mehr, wie es mal war. Sie appelliert an alle, den Terror der Hamas nicht zu relativieren.

Das Kibbuz Be’eri nach dem tödlichen Angriff der Hamas am 7. Oktober Foto: Amir Cohen/reuters

D ie Welt ist nicht mehr, wie sie war. Israel steht unter Schock. Mit ihm Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt. Von nun an teilt sich das Leben in eines vor dem 7. Oktober 2023 und eines danach. In meiner Berliner Wohnung ist die Zeit stehen geblieben. Angefangene Momente, die die Idee einer Zukunft in sich trugen, stapeln sich an allen Ecken.

Ich kann kaum begreifen, dass folgender Satz eine Realität, in der ich lebe, beschreibt: Seit der Shoah hat es nicht so viele tote Juden an einem Tag gegeben wie seit vergangenem Samstag. Über 1.200 Zi­vi­lis­t:in­nen wurden in Israel bislang kaltblütig von palästinensischen Terroristen der islamistischen Hamas ermordet, weil sie Juden waren. Über 150 Israelis werden immer noch vermisst. Sie wurden von den Terroristen nach Gaza verschleppt. Niemand weiß, ob sie überleben werden.

Ich weiß, mit mir fühlen sich gerade viele Jüdinnen und Juden in Deutschland unbeschreiblich schlecht. Ich bin müde, weil ich seit bald einer Woche nicht richtig geschlafen habe. Ich arbeite durch, mit Magenschmerzen, weil ich nicht essen kann. Wenn ich in den Spiegel blicke, erkenne ich mich nicht wieder. Jeder Zentimeter meines Körpers schmerzt jeden Abend. Und doch weiß ich, dass ich sicher bin, vorerst jedenfalls.

Ich bin sicher, weil ich nicht tot bin. Ich bin sicher, weil ich zur Zeit eines Pogroms an Juden in meinem Bett in Deutschland lag.

Menschen feiern Terror gegen Zi­vi­lis­t:in­nen

Ich habe Bilder und Videos gesehen, die ich nie wieder vergessen kann; Zeugnisse dessen, was es bedeutet, wenn man Parolen wie „From the river to the sea Palestine will be free“ zu Ende denkt. Ich habe Geschichten von Angehörigen verschleppter Israelis gehört, die mich mein Leben lang begleiten werden.

Ich wünschte, ich könnte mich auf eine Welt verlassen, die den Unterschied zwischen Terror und Verteidigung kennt. Aber ich werde gerade eines Besseren belehrt. Sosehr ich dieser Tage auch die Solidarität vieler Freundinnen und Freunde spüre, für die ich unendlich dankbar bin, sosehr ich gerade auch erlebe, wie die jüdische Community zusammenrückt, Unglaubliches leistet, während sie die wahrscheinlich größte Bedrohungslage für sich seit der Shoah erfährt, so sehr spüre ich auch den Hass gegen uns weltweit, die Auslöschungsfantasien, und ich nehme die Verharmlosungen des Terrors, die Gleichsetzung von Hamas-Angriffen und israelischer Verteidigung wahr – auf den Straßen, im Netz, in meinem nahen Umfeld.

Wir leben in Deutschland in einer Gesellschaft mit Menschen zusammen, die es hinnehmbar finden, dass Babys ja nur getötet und nicht enthauptet wurden, wie es der Rapper ­Hanybal auf Twitter andeutete. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen Terror gegen Zi­vi­lis­t:in­nen feiern.

Ich habe keine Worte, ich funktioniere nur. Aber, eines weiß ich sicher: dass die nächsten Tage, Wochen und Monate die schwersten werden, die wir seit Langem als Juden erlebt haben. Sobald sich Israel, gerechtfertigterweise, weiter verteidigen wird, werden die Bilder toter Juden vergessen sein. Es wird dann heißen: Eskaliert nicht! Gewaltspirale!

Ich bereite mich innerlich darauf vor und habe doch keine Kraft. Ich möchte an Sie, liebe Leserinnen und Leser, appellieren. Sie können sich solidarisch zeigen; Sie können aufmerksam hinhören, wenn genau die genannten Tendenzen in Ihrem Umfeld aufkommen, wenn sie in den Medien auftauchen; Sie können sich bilden; Sie können das Nichtvergessen; und Sie können Widerspruch leisten.

Die Terroristen und ihre Anhänger – ob in Gaza, London, New York oder Berlin – hassen das Leben, sie hassen die Freiheit, die Liebe und Freude. Wir werden ihnen genau das entgegensetzen: Wir werden immer wieder das Leben feiern. Wir werden wieder lachen, lieben, Freude empfinden. Bald. Am Israel Chai!

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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11 Kommentare

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  • Skatelefants , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Am Israel Chai



    Danke

  • Ja, wir werden wieder lachen, uns freue und lieben. Und das hoffentlic hsehr bald wieder. Un das erlebt hoffentlich kein einziger Hamas-Terrorist mehr.

  • Liebe Erica Zingher, ich wünsche Ihnen viel Kraft in dieser schweren Zeit und drücke Ihnen meine Solidarität aus. Vielen Dank für diese bewegende Kolumne.

    Am Israel Chai!

  • Wichtige Worte der Autorin!

    Es ist zu hoffen, dass Politik und Medien so solidarisch bleiben, wie man es gerade erlebt und das, gerade von der Politik, auch Taten auf die starken Worte folgen!

  • Liebe Erica Zingher! Sie sind nicht allein! Ich kann den Schock und das Grauen über das Geschehene nachvollziehen. Nichts ist mehr, wie es war. Die Geschichte der Massaker an Juden, von der man eben hoffte, sie sei eine Sache der Vergangenheit ( trotz vieler Anschläge, trotz des nie verschwindenden Antisemitismus), ereignet sich nun genau in der Gegenwart und man steht einfach nur fassungslos davor. Ich wünschen Ihnen ganz viel Kraft, Mut und Stärke. Es gibt eine höhere Gerechtigkeit und die wird siegen.

  • Ja, das gehört zu den sehr schwierigen Fragen (es gibt noch ein paar), bei denen ich mir nicht mehr so sicher bin, ob die deutsche Gesellschaft (noch) dazu fähig ist, dafür eine vielleicht nicht gemeinsame Sichtweise, aber wenigstens eine Sichtweise zu entwickeln, bei der nicht jeweils größere Teile der Gesellschaft "rot" sehen. Dieses Statement war jetzt vielleicht etwas deutsch-zentriert, wie es "uns" damit geht. Aber letztlich wird die Zukunft Israels weniger davon abhängen, wieviele gut formulierte Beileidsbekundungen es erhält, sondern ob es Gesellschaften gibt, die in der Lage sind, dazu einen eigenen, gefestigten Standpunkt zu haben. Es kann durchaus sein, dass die deutsche Gesellschaft in Zukunft dazu am liebsten gar keinen Standpunkt mehr hat, weil es zu diesem, zu damit zusammenhängenden und zu anderen Themen selber zu zerrissen ist und vielleicht froh sein wird, für sich selber irgendeinen Weg zu finden.

  • Es geht mir ähnlich.

    》Sobald sich Israel, gerechtfertigterweise, weiter verteidigen wird, werden die Bilder toter Juden vergessen sein. Es wird dann heißen: Eskaliert nicht! Gewaltspirale!《

    Heute in den Nachrichten:

    》Ein israelischer Militärsprecher rief die Bevölkerung im Norden des Gaza-Streifens auf, sich innerhalb von 24 Stunden in den Süden der Region in Sicherheit zu bringen. Dies würde nach Schätzungen etwa die Hälfte der mehr als 2,3 Millionen Einwohner betreffen. Die UNO kritisierte die Aufforderung und warnte vor einer humanitären Katastrophe. Ein Hamas-Sprecher nannte die Evakuierungsanordnung „Propaganda“ und rief die Bewohner auf, in ihren Orten zu bleiben. Laut Augenzeugenberichten hinderten Hamas-Kämpfer Zivilisten daran, das Gebiet zu verlassen. Ägypten entsandte tausende Sicherheitskräfte an die Grenze zum Gazastreifen. Man wolle Grenzverletzungen verhindern, sagte ein Behördensprecher《

    www.deutschlandfun...-erwartet-106.html

    Die Hamas will Bilder, die ihr helfen, sich als Opfer zu inszenieren, versteckt sich hinter Zivilisten - statt sich implizit an die Seite dieser Terroristen zu stellen und Israel dafür zu kritisieren, dass es die Zivilbevölkerung schonen will, sollte die UNO ihre Möglichkeiten, vor allem die Zeit (!) nutzen, die Zivilbevölkerung in Gaza so gut es geht in Sicherheit zu bringen!

  • ❤🇮🇱

  • Ich werde nie, nie da etwas relativieren. Wenn das überhaupt möglich ist, möchte ich doch sagen: Ich fühle mit Ihnen - ich versuche, Ihren Schmerz zu teilen. Und meine Bewunderung dafür, dass Sie das Leben immer wieder feiern (wer es angesichts des Terrors nicht kann, verdient das gleiche Mitgefühl und noch mehr).

  • Vielen Dank für diesen bewegenden und eindringlichen Text.

    Ich hoffe sehr, dass möglichst viele Menschen in Deutschland und in der Welt auch dann mit Israel solidarisch bleiben, wenn es schwierig wird.

    Und jede und jeder ist aufgefordert antisemitischen Äußerungen und erst Recht solchen Taten entgegen zu treten.