Reichsbürgerin unter Linken: Der Schock sitzt tief
Die Honigfabrik ist ein linkes Hamburger Kulturzentrum. Vor einigen Wochen kam heraus: Eine Mitarbeiterin hat sich den Reichsbürgern angeschlossen.
Die Honigfabrik ist altes Backsteingebäude mit Schornstein, erbaut 1906. Als Kulturort geht sie auf die linken Jugendbewegungen der 70er Jahre zurück. Falken, DKP und anderen Initiativen träumten damals von einem selbstverwalteten Zentrum, in dem Jung und Alt zusammenkommen. Seither versteht sich die Honigfabrik als ein Ort der Freiheit und Offenheit und setzt sich gegen jegliche Form der Ausgrenzung ein.
Wilhelmsburg, mit 53.000 Einwohner*innen die größte bewohnte Flussinsel Europas, galt lange als Hamburger Problemstadtteil: Das Bildungsniveau war niedrig und Perspektiven fehlten. Anfang der 2000er wollte man den Stadtteil aufwerten und Familien aus anderen Vierteln locken. Heute ist ein Viertel der Anwohner*innen unter 25 Jahre alt, viele von ihnen studieren. Steigende Preise, der Wohnungsmangel und die Verdrängung alteingesessener Wilhelmsburger*innen sorgen immer wieder für Spannungen.
Die Hoffnung, mit der Honigfabrik einen Ort der Freiheit und Offenheit geschaffen zu haben, bekam Mitte Juni einen Dämpfer: Eine Recherche des „Bündnis gegen Rechts“ enthüllte, dass Maren B., eine Mitarbeiterin der Kinderkultur, Mitglied der rechten Sekte „Königreich Deutschland“ ist. Das Bündnis veröffentlichte Fotos, auf denen Maren B. beim Zukunftskongress der Sekte im Ladiges Hof in Holm zu sehen ist. Mit rund 70 Teilnehmer*innen sollte es das wichtigste Treffen des Jahres werden, um die Strukturen deutschlandweit auszubauen.
Königreich Deutschland
Stellungnahme der Mitarbeitenden der Honigfabrik vom 11. Juni
Das „Königreich Deutschland“ zählt zu den zahlreichen Splittergruppierungen der Reichsbürgerbewegung – sie lehnen die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland ab oder leugnen deren Existenz, glauben an das Fortleben des Deutschen Reiches oder dass der deutsche Staat eine Firma ist. Manche planen gewaltsame Staatsumstürze, andere gründen eigene Hoheitsgebiete, in denen sie Scheinstaaten ausrufen – wie auch das „Königreich Deutschland“.
Bis heute konnte ihr Anführer, der selbsternannte „König von Deutschland“ Peter Fitzek, 4.000 bis 6.000 Mitglieder rekrutieren, die Zahlen schwanken je nach Quelle. Wer Mitglied werden möchte, muss sich einer „Staatsprüfung“ unterziehen, das Königreich bittet außerdem um eine Spende oder eine Kapitalüberlassung. Im Gegenzug erhalten seine Mitglieder einen „Staatsbürgerausweis“.
Laut „Bündnis gegen Rechts“ steht Fitzek in Verbindung zu „Querdenken 40“, der esoterisch-antisemitischen Anastasia-Bewegung, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, Mitgliedern der AfD und dem Holocaustleugner Nikolai Nerling. Seit 2023 könnten verstärkte Aktivitäten im Hamburger Raum beobachten werden.
Maren B. hatte in der Honigfabrik bereits im Januar zum 31. 07. gekündigt, weil sie aufs Land ziehen wollte. Als sie von den Mitarbeitenden der Honigfabrik mit der Recherche konfrontiert wurde, gab sie zu, seit Dezember 2023 offizielles Mitglied bei den Reichsbürgern zu sein. Daraufhin kündigte das linke Kulturzentrum Maren B. fristlos. In den vergangenen Jahren hatte sie Aufgaben im Bereich der Kinderkultur übernommen.
Nichts mitgekriegt
„Die Honigfabrik ist vor den Kopf gestoßen und wir können es nicht fassen, dass wir nichts mitgekriegt haben“, schrieben die Mitarbeiter*innen in ihrer Stellungnahme vom 11. Juni. „Was mit Gemeinschaft lockt und so unschuldig daher kommt wie das friedliche Leben auf dem Land, baut auf Ausgrenzung, Hass, Rassismus und Antisemitismus – steht für all das, wogegen sich die Honigfabrik seit über 40 Jahren einsetzt.“
Doch wie konnte es passieren, dass eine Reichsbürgerin inmitten linker Strukturen unentdeckt blieb und mit Kindern arbeitete?
Bisher haben weder die Eltern noch die Kinder aus dem Kinderkulturbereich von Erfahrungen berichtet, an denen erkennbar gewesen wäre, dass sich Maren B. radikalisierte, dass sie andere ausgrenzte oder rechtes Gedankengut ihre Arbeit beeinflusste. Im Gegenteil, Maren B. wird einhellig als offene, klare und zugängliche Person beschrieben, der sich auch viele Familien anvertrauten, die von Rassismus betroffen sind.
„Das so etwas jetzt in einem Nahraum passiert, an einem Ort, bei dem es ganz stark um Vertrauen geht, war für viele Eltern ein Schock“, sagt Sven Jan Schmitz, direkter Kollege und Nachfolger von Maren B. Viele Familien seien verunsichert, hätten ohnehin große Angst, Deutschland verlassen zu müssen. „Das sind Ängste, die die Kinder klar benennen“ und sich durch den Vorfall mit Maren B. weiter verstärkt hätten.
In der ersten Woche nach der Enthüllung setzten die Mitarbeitenden alle zwanzig Angebote der Kinderkultur aus und richteten stattdessen eine offene Anlaufstelle ein, um einen gemeinsamen Umgang mit der Situation zu finden. „Gerade für diejenigen Kinder, die davon erfahren haben und hierherkommen, wäre das Signal einer verschlossenen Tür fatal gewesen“, sagt Schmitz. Die offene Anlaufstelle konnten Eltern und Kinder nutzen, um sich über den Vorfall auszutauschen.
„Wir stehen im Moment vor vollendeten Tatsachen und müssen sehen, wie wir damit umgehen“ sagt Oliver Menk, Leiter der Geschichtswerkstatt. Ein Tag bevor Maren B's Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangte, organisierte er einen Stolpersteinrundgang in Wilhelmsburg. Er sieht erschöpft aus, die Überforderung ist ihm anzumerken.
Ringen um Worte
Auch die anderen Teammitglieder ringen um Worte, während sie über Maren B. sprechen: „Es ist einfach gruselig zu sehen, was man alles verheimlichen kann, wenn man es nicht nach außen tragen möchte“, sagt Finn Brüggemann, der für die Öffentlichkeitsarbeit des Kulturzentrums verantwortlich ist. Auch Schmitz fällt es schwer, sich zu erklären, wie Maren B. sich radikalisieren konnte, ohne dass es jemand mitbekam.
Maren B’s Absichten bleiben bisher unklar. Arbeitete sie in der Honigfabrik, weil sie die dort etablierten, linken Strukturen schwächen und mit rechtem Gedankengut unterwandern wollte? Oder radikalisierte sie sich allmählich, bis sie feststellen musste, dass ihre Ansichten in der Honigfabrik keinen Platz haben?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Sicher ist: Es wird ein langer Prozess sein, das Geschehene aufzuarbeiten. Dabei möchten sich die Mitarbeitenden vor allem um diejenigen kümmern, die „von der rassistischen Erscheinung unserer Gesellschaft“ betroffen sind. Gemeinsam mit externen Trägern wie dem Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus möchten sie beispielsweise Räume für migrantische Kinder gestalten, ihr Selbstbewusstsein stärken und sie sich sicher fühlen lassen.
Elten wollen bei der Aufarbeitung helfen
Ist es möglich, dass es Strukturen in der Honigfabrik gibt, die den Vorfall begünstigt haben? Die Mitarbeitenden wollen dem nachgehen, ihre Werte neu definieren und Veranstaltungen anbieten, die über die Reichsbürgerszene aufklären.
Viele Eltern hätten bereits angeboten, die Aufarbeitung mitzugestalten, berichtet Schmitz. „Man spürt, dass Wilhelmsburg gewachsene Strukturen hat, die sich mit antirassistischer Arbeit auseinandersetzen.“ Es besteht also Hoffnung, dass linke Strukturen auch nach Rückschlägen wie diesem widerstandsfähig und vertrauenswürdig bleiben können.
Auf der Bühne der Honigfabrik wird es unruhig: Die „3 Freundinnen“ reisen in die Zukunft, weil sie damit beauftragt wurden, die Welt vor dem Bösen zu retten. Dort begegnen sie sich selbst und müssen feststellen, dass sie ihre Träume und Freundschaften im Alter vernachlässigt haben. „Sei nett zu den Menschen da draußen“, rät die eine; „Mach das, was dich glücklich macht“, die andere. Dann nehmen sie sich sanft in den Arm – die Welt ist wieder ein besserer Ort. Zumindest hier auf der Bühne.
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