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Regierung in Wien ohne FPÖÖsterreich wird plötzlich ein Positivbeispiel

Florian Bayer
Kommentar von Florian Bayer

ÖVP, SPÖ und Neos verhindern nun doch gemeinsam eine FPÖ-Regierung. Das zeigt, dass sich Dialog und Kompromissbereitschaft bis zum Schluss lohnen.

Foto: Heinz-Peter Bader/ap

M ehr als fünf Monate und zwei gescheiterte Anläufe: Die Regierungsbildung in Österreich war die bisher längste und komplizierteste überhaupt. Weil erstmals die rechtsradikale FPÖ auf Platz eins landete, aber anfänglich keiner mit ihr regieren wollte. Und weil die gemäßigten Parteien nicht zu einem Kompromiss fähig waren. Spät, aber nun gibt es doch eine Einigung. Konservative, Sozial­demokraten und Liberale werden gemeinsam regieren. Damit ersparen sie dem Land weiteren Stillstand und Notlösungen wie Neuwahlen, aus denen die FPÖ wohl noch gestärkt hervorgehen würde. Eine Regierungsbildung würde damit um nichts einfacher.

Am Donnerstag präsentierten ÖVP, SPÖ und Neos ihr gemeinsames Programm; schon am Montag soll die neue Regierung vereidigt werden. Große Würfe sind keine geplant, aber die überfällige Sanierung des Budgets auf behutsame Art, die eine oder andere sinnvolle Reform, das uneingeschränkte Bekenntnis zur EU. Das ist in Zeiten wie diesen schon viel. Das Wichtigste: Die Ultrarechten bleiben außen vor. Das sind gute Nachrichten, denn FPÖ-Chef Herbert Kickl macht kein Geheimnis aus seinen Plänen. Er will den Umbau Österreichs nach dem Vorbild Viktor Orbáns – mit geschlossenen Grenzen, gegängelten Medien, einer Abkehr von der EU und einem prorussischen Kurs.

Die konservative ÖVP wäre bei vielen, zu vielen dieser Pläne mitgegangen, um nur ja in der Regierung zu bleiben – dies ging aus den durchgesickerten Verhandlungspapieren hervor. Weil die FPÖ aber ihre Hand überspielte und zu viel von ihrem Juniorpartner einforderte, bleibt Österreich – aber auch der EU – eine illiberale Rechtsaußenregierung gerade noch erspart.

Leicht wird die Koalition nicht

Nach monatelanger Blockade ist Österreich nun ein Positivbeispiel dafür, dass sich Dialog und Kompromissbereitschaft bis zum Schluss lohnen. Leicht wird es nicht, denn die drei Parteien liegen inhaltlich weit auseinander. Sie bekennen sich jedoch zur Demokratie und ihren Institutionen, auch zum traditionell starken österreichischen Sozialstaat. Durch inhaltliche Zugeständnisse, auch mangels Alternativen, fanden sie doch noch zueinander.

Nun gilt es, den Hickhack und Stillstand früherer großer Koalitionen zu vermeiden. Das Hinzuziehen der liberalen Partei Neos als dritte Kraft könnte dabei helfen. Sie ist die jüngste Partei im Parlament und fordert glaubhaft ambitionierte Reformen ein. Zu hoffen bleibt nun, dass der neuen Dreierkoalition ein Schicksal wie das der deutschen Ampel erspart bleibt. Gewiss ist das keineswegs. Fürs Erste ist die Gefahr einer ultrarechten FPÖ-Regierung aber abgewehrt.

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Florian Bayer
Korrespondent Wien
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20 Kommentare

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  • Dass die ÖVP den linken Ökonomen Marterbauer, einen ausgewiesenen Keynesianer, als Finanzminister akzeptiert, ist allerdings schon ein Sensation.

    Damit wird ein Konstruktionsfehler der Ampel vermieden, der in Deutschland ursächlich für die Wirtschaftskrise ist: Die Verhinderung von Zukunftsinvestionen in Person von Christian Lindner.

  • Die etablierten Parteien (nicht nur in Österreich) sind offenbar wild entschlossen, alles dafür zu tun, dass ihre rechtspopulistischen Konkurrenten bei den nächsten oder übernächsten Wahlen die absolute Mehrheit bekommen. Und was dann? Werden dann Wahlen annuliert wie in Rumänien?

  • Hier werden Parteien gefeiert für etwas, was sie problemlos auch vor 5 Monaten hätten liefern können. Aber niemand hinterfragt, warum das so lange gedauert hat. Dabei ist die Antwort doch offensichtlich:

    Zuerst verhandelt die ÖVP mit SPÖ und Neos so , daß die Verhandlungen scheitern. Der ÖVP-Bundeskanzler gibt auf, weil er selbst nicht mit der FPÖ will, er aber seiner Partei bei Verhandlungen mit der FPÖ nicht im Wege stehen will.



    Anschließend werden die Verhandlungen mit der FPÖ durch unannehmbare Forderungen der ÖVP an die Wand gefahren.

    Jetzt kommt man mit den ersten Verhandlungspartnern ganz schnell zu einer Einigung.



    Aber ein anderer wird jetzt für die ÖVP Bundeskanzler.



    Und das war vielleicht der eigentliche Zweck der ganzen Show.

    • @Don Geraldo:

      Das sehe ich nicht so. Die ÖVP und die SPÖ waren schon sehr weit, aber die Liberalen wollten mehr (wie in Deutschland) als ihnen zustand. Die Neos haben ja die ersten Gespräche zum Scheitern gebracht. Dann setzten sich die Vertreter der mittelständischen Wirtschaft durch und forcierten Verhandlungen mit der FPÖ. Diese Verhandlungen kamen schon ziemlich weit, weil die Ziele der FPÖ und der ÖVP sehr gleich sind (schließlich wollte Kurz ja auch schon Österreich "Orbanisieren"). Womit aber niemand rechnete, war die Dummheit Kickls, obwohl jeder weiß, dass er nicht die hellste Kerze auf der Sachertorte ist. Anscheinend wollte er durch das Scheitern der Verhandlungen, Neuwahlen erzwingen.



      Stocker wollte aber sicher keine Neuwahlen, dumm ist er ja nicht, deswegen hat er mit der SPÖ weiter verhandelt und die Neos dann vor vollendeten Tatsachen gestellt. Die hatten dann Angst, bei Neuwahlen überhaupt noch Stimmen zu bekommen (Beispiel FDP) und lenkten schließlich ein.

      • @datensenke:

        Das ist so nicht richtig. Der mächtige Wirtschaftsflügel der ÖVP verhinderte in der ersten Runde nötige Kompromisse. Der Rückzug der Neos war nicht nur Reaktion auf Babels SPÖ.

  • "Nach monatelanger Blockade ist Österreich nun ein Positivbeispiel dafür, dass sich Dialog und Kompromissbereitschaft bis zum Schluss lohnen." --> Zur Wahrheit gehört aber gerade auch, dass die ÖVP eben mit der FPÖ gesprochen hat und erst in diesen Gesprächen klar wurde, dass es nicht geht.

    Erst danach hat die Koalition funktioniert. Übertragen auf Deutschland hieße das die Union spricht mit der SPD und falls die Verhandlungen scheitern, spricht sie mit der AfD. Ist das für die taz dann auch ein "positives Beispiel"?

  • Na, werma sehn ob de Neos was gegn de Freintalwirtschaft ausrichtn kinna.

    • @Fritz Lang:

      Neos sind neoliberal, also begeisterte Anhänger der Freunderlwirtschaft. Wie soll man denn ohne staatliche Regulierungen Freunderlwirschaft verhindern und einen demokratischen Zugang zum "freien Markt" ermöglichen?

  • Gute Nachrichten sind doch auch mal was Schönes!



    Glückwunsch!!!

  • Hola.

    Was bei Gründung - noch vor Kriegsende - 2. Republik Östereich nicht gelang!



    Spät. Aber für laufende Legislaturperiode soll‘s werden Realität!



    Wer hätte dess gedacht - FPÖ-Faschos -



    Pfoten weg! Von den Hebeln der Macht •

    unterm——- remember



    “Am 27. April 1945 wurde die Zweite Republik gegründet. Zum Jubiläum ihres 75. Geburtstages befasst sich das Fachdossier mit der Geschichte der Zweiten Republik und ihrem Weg von der Befreiung bis zur ersten Nationalratssitzung.…



    Damit wurde die Republik Österreich wiederhergestellt.“



    Mit dem Ergebnis - wie es Robert Menasse mal umriß “In meinem Land - werden die Faschisten zu den Widerstandskämpfern gerechnet!“ 🙀



    de.wikipedia.org/w...publik_(seit_1945)

    • @Lowandorder:

      Mein Zeigefinger weigert sich seit geraumer Zeit gen Österreich zu weisen. Hier in der Kommune haben 51, % AfD gewählt, das war immer 60+ CDU, in Thüringen hams die Städte rausgerissen, sonst stünde da auch keine 3 an Zehnerposition %e. Gestern hatte ich mit nem Kollegen zu tun, der fand es von Merz blöd, daß dem Johann-Friedrich Martin Josef (odersoähnlich) aufgefallen ist, daß mer ned die Grenzen dichtmachen kann wie im Wahlkampf suggeriert. Ne Mauer um die Bundesrepublik D fand der auf Nachfrage meinerseits auch blöd *schulterzuck*.

      • @Hugo:

        Zeigefinger - nich so meins.



        Mehr so - der Erklär🐻‍❄️.



        What makes them tick! Gell

        unterm——



        Das“…haben Sie schon gejaust“ & “…tapfer sanmer net; aber fesch“



        Eines Zinnenburg - der Graf nicht nennen durfte - sind mir in meiner Kindheit vertraut - ebenso die mehr als bedenklichen Sprüche eines Hans Koller - aber auch die brillanten Ausführungen eines Michael Geistlinger anlässlich “Recht in Zeiten des Terrors“.



        &



        Ludwig 🦌 Ich hab´s wollen wissen



        www.youtube.com/wa...ludGVybiBiZXdlZ2Vu

  • Das ist ein klassischer Artikel nach dem Motto: 'wir verteilen das Fell des Bären bevor er erlegt ist' 🤷‍♂️



    "Österreich wird plötzlich ein Positivbeispiel" - nein, Österreich wird ein Positivbeispiel wenn diese Regierung hält UND eine Politik auf die Beine stellt, dass die FPÖ bei der nächsten Wahl nicht wieder 28% holt - aktuell steht die FPÖ in Umfragen übrigens bei +-35% - dann, und nur dann, wird Österreich ein Positivbeispiel

    • @Farang:

      Danke für diesen wichtigen Hinweis! Und wie unwahrscheinlich das ist, zeigt sich daran, dass die FPÖ seit Haider in der Opposition fast nur gewachsen ist, im Mittel um 1,5% pro Jahr (pro Jahr Regierungsbeteiligung ist sie um 2,9% abgestürzt).

  • Das gemeinsame Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und Neos geht schon erheblich weiter als in dem obigen Artikel dargestellt ("große Würfe sind keine geplant").



    Zum Thema Migration beispielsweise, gibt es Folgendes:

    - Die Asylantragszahlen sollen möglichst gegen null verringert, der Familiennachzug gestoppt werden - alles jedoch im Einklang mit Menschen- und EU-Recht.

    - Die EU-Notfallklausel soll im Fall starken Flüchtlingsandrangs aktiviert werden.

    - Es soll länger und öfter Schubhaft geben - aber EU-rechtskonform.

    - Österreich setzt die 2024 beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) um.

    - Die Grundversorgungsregeln sollen vereinheitlicht werden. Integration wird forciert und bei Strafe von Verwaltungsübertretung für Flüchtlinge und Migrantinnen Pflicht.

    - Migranten und Flüchtlinge müssen eine Erklärung gegen Antisemitismus unterschreiben.

  • Gut, jetzt kann Andi Babler endlich zeigen was er kann. Dazu noch das Finanzministerium- well done!

  • Ein „Positivbeispiel“?! Im Ernst?

    Diese Koalition wird meiner Meinung nach 1. NIEMALS die Legislaturperiode überstehen und zeigt 2. bereits jetzt ihre Defizite auf: Damit auch wirklich JEDER zufrieden ist (der Koalitionsvertrag muss teilweise ja durch die Parteimitglieder abgesegnet werden), wurden schnell noch ein paar Posten (Staatssekretärsposten) erfunden, damit zum Beispiel manche „Quertreiber“ bei den Neos ihre Füße stillhalten. Das ist schon ab Tag 1 Futter für die FPÖ, zumal Österreich dank der ÖVP ein Staatsdefizit vor sich hertragen wird, welches die ehemalige Regierung (Überraschung, ÖVP) bis NACH der Wahl verschleiert hat. Die SPÖ ist komplett zerstritten, Kanzler wird jemand, der nie zur Wahl stand und die Neos stimmen jetzt etwas zu, was sie vor ein paar Wochen abgelehnt haben. Glaubwürdigkeit geht anders. Diese Koalition gibt es ausschließlich aus Angst vor Neuwahlen.

    Österreich ist vielmehr ein dramatisches Beispiel für das, was Deutschland bei einem nicht-funktionieren der neuen Regierung bevorsteht. Ich mag Böhmermann nicht, aber in diesem Punkt hat er leider schon vor Jahren recht gehabt: Deutschland hängt Österreich politisch etwa 10 Jahre hinterher…

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Kanzler stehen nie zur Wahl. Immer nur Parteien.

      • @Carsten S.:

        Die Parteien stellen aber Spitzenkandidaten auf, manche nennen sich sogar Kanzlerkandidaten. Wenn dann jemand Kanzler werden soll, der kein Spitzenkandidat war, können sich zumindest die, die eine Partei wegen und nicht trotz ihres Spitzenkandidaten gewählt haben, vera... (lbert) fühlen. Und ob die neue Regierung wirklich durchhält und die österreichischen Probleme löst, steht in den Sternen. Programmatisch sind die beteiligten Parteien weiter voneinander entfernt als die Ampel 2021 in Deutschland. Bleibt halt immer noch der Wille zur Macht und der Zugriff auf die Fleischtöpfe - ob das aber für vier Jahre reicht ?

  • Dreier-Koalitionen sind der direkte Weg zur absoluten Mehrheit der FPÖ. Daher sollte man mit der Gratulation eher bis zum Ende der Legislaturperiode warten. Dann erst zeigt sich, wie es um "Dialog" und "Kompromissbereitschaft" bestellt ist.