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Reform des WahlrechtsParität ist ein Gebot der Zeit

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

In den deutschen Parlamenten und Rathäusern sitzen eindeutig zu wenige Frauen. Und das liegt nicht an mangelnder Kompetenz

Wahlrechtsreform für den Bundestag: Bisher sind lediglich 35 Prozent der Abgeordneten weiblich Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

D ie Floskeln „historische Chance“ und „kleines Zeitfenster“ fielen in den vergangenen Monaten immer dann, wenn von der Wahlrechtsreform die Rede war. Durch die Reform soll der durch Überhang- und Ausgleichsmandate zu groß gewordene Bundestag verkleinert werden: von aktuell 735 auf 598 Sitze. So zumindest sieht es ein Entwurf der Ampelkoalition vor. Diesen lehnen CDU und CSU ab und legen einen eigenen Vorschlag vor. Kurz und gut: Die Debatte um die Reform wird wohl noch eine Weile weitergehen.

Nicht zur Diskussion stehen darf jedoch der Frauenanteil im künftigen Parlament. So sieht das ein Bündnis von Frauen- und Gleichstellungsorganisationen, das sich seit Jahren für eine Parität in den Parlamenten einsetzt – sowohl im Bundestag als auch in den Landes- und Kommunalparlamenten. Angesichts des Frauenanteils – lediglich 35 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind weiblich, in den Landesparlamenten sind es gerade mal 27 Prozent, und nicht einmal 12 Prozent der Ober­bür­ger­meis­te­r:in­nen sind Frauen – ist das zwingend.

Dabei machen Frauen die Hälfte der Bevölkerung aus. Es ist also ungerecht, dass Frauen in den politischen Organen nicht so vertreten sind, wie es angemessen wäre: zur Hälfte. Aber eine Parität in den Parlamenten praktisch zu erreichen ist schwieriger, als es theoretisch klingt. Da sind einerseits die Parteien, die sich vielfach nicht vorschreiben lassen wollen, wen sie aufstellen – eigene Frauenquoten hin oder her. Und da sind andererseits die Bürger:innen, zur Hälfte bekanntlich weiblich, die in der Wahlkabine nicht unbedingt ihr Kreuz bei einer Frau machen. Das wäre auch absurd, schließlich sollten die kompetentesten Po­li­ti­ke­r:in­nen ins Parlament einziehen.

Aber viele Frauen können ihre Kompetenz nicht zeigen – weil sie erst gar nicht zum Zuge kommen. Weil vielleicht ein „altgedienter Hase“ wieder auf Listenplatz 1 landet. Und darunter noch ein Mann. Und dann wieder einer. Nun gibt es zahlreiche Vorschläge, um einen höheren Frauenanteil zu erreichen – von quotierten Listen über finanzielle Anreize bei Nominierungen von Frauen und negativen Konsequenzen bei zu wenig aufgestellten Frauen bis hin zur „paritätsabhängigen Mandatszusteilung“. Die besagt, dass auf den Listenplätzen ebenso viele Frauen berücksichtigt werden müssen wie auf den ersten Plätzen der Direktmandate, wenn diese alle an Männer gehen.

Wie fragil solche Ideen sind, zeigen die abschlägigen Gerichtsurteile für ein Paritätsgesetz in Thüringen und Brandenburg. Und dennoch: Parität ist eine Frage der Gleichberechtigung und somit ein Gebot der Zeit. Dann enden hoffentlich auch die sexistischen Vorwürfe gegen Ministerinnen, die im Amt versagen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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12 Kommentare

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  • Es wird z.Zt. über eine Wahlrechtsreform (Bundestag) diskutiert. Mein Vorschlag, der nah an dem der Ampel liegt, nur noch rigoroser.



    Die Parteien stellen ihre Listen auf. Und vergeben nach Proporz die Listenplätze. Es gibt Länder in Deutschland (z.B. NRW, Bayern), in denen mehr Wahlkreise von einer Partei "gewonnen" werden (gewonnen heißt: sie haben die meisten Stimmen von allen Kandidaten, das kann aber auch bei 30% liegen), als ihnen nach dem Zweit-Stimmen-Verhältnis zusteht. Dann werden Ausgleichsmandate vergeben. Das Übel der jetzigen Situation.



    Vorschlag: gibt es mehr Direktmandate als passend zum Zweit-Stimmen-Verhältnis wird erstmal die Partei-Liste ausgeräumt: die Partei-Liste wird nach der Wahl nach den erzielten Erststimmen sortiert. Die Kandidaten, die mit 50+ ihren Wahlkreis gewonnen haben, ziehen selbstverständlich in den Bundestag ein. Alle anderen "Gewinner" (z.B. 35,30,30% u.A.) müssen sich dem Verhältniswahlrecht einverstanden erklären.



    Der Misbrauch der Parteien-Liste ist doch offensichtlich. Auf die vermeintlich sicheren Plätze werden die "Verdienten" gesetzt und andere, nicht ganz so Verdiente, bekommen einen Wahlkreis, den sie locker mit den meisten Stimmen gewinnen können. Nach meiner Vorstellung müßten sie den Wahlkreis aber auch gewinnen, absolut, nicht nur mal eben die meisten Stimmen abgreifen. Der CSU wird mein Vorschlag nicht gefallen.



    Ich meine, mit diesem Vorschlag ist es egal, auf welchen Platz in der Parteien-Liste ein Kandidat gesetzt wird. Der Wähler entscheidet, weil die Partei-Liste ausgehebelt wird. Die Menschen im Wahlkreis, kennen ihre Kandidaten :-)



    Wenn ich mich als Wähler von einer Frau vertreten sehen möchte, dann wähl ich sie.

  • Ich kann den ganzen Artikel im Hinblick auf den letzten Absatz nicht nachvollziehen. Wenn der Autorin bekannt ist, dass Ihre Vorstellung mit dem Verfassungsgrundsatz der "freien Wahl" nicht vereinbar ist, wieso macht sie den Vorschlag dann trotzdem. Es ist in der Demokratie einfach nicht richtig, wenn man den Parteien vorschreibt, wen sie aufstellen dürfen und wen nicht - das dürfen die Parteimitglieder selbst entscheiden - und hinterher, wenn die Parteien zur Wahl stehen, die Wähler.

    • @Dr. McSchreck:

      Das Problem sind doch die "gewonnenen" Wahlkreise. Wenn gewonnen heißen würde: 50% plus, gäbe es diese Diskussion nicht.



      Aber man muss das weiter aufsplitten: tritt eine Partei nicht bundesweit an, gibt es überhaupt kein Anrecht auf mehr Mandate als dem bundesweit erreichten Durchschnitt.



      Das Ding mit der CSU(nur in Bayern) / CDU(nicht in Bayern) haben uns diese Beiden Jahrzehntelang vorgespielt.



      Ein Äquivalent wäre: die SPD tritt in Deutschland an, nur nicht in NRW.



      Da unter einem Pseudonym.

  • 87% der Abgeordneten im Bundestag sind Akademiker_innen.

    Würden wir wiklich was für Gleichstellung bzw. Repräsentation tun wenn etwa wegen der Frauenquote eine weite Rechtsanwältin statt eines männlichen Krankenpflegers in den Bundestag kommt?

  • In fast allen Parteien Deutschland sind deutlich weniger Frauen aktiv als Männer. Da finde ich es eben nicht angemessen und geboten, trotz viel weniger weiblichen Mitgliedern wichtige Posten paritätisch zu besetzen. Genau das wäre eben nicht gerecht.

  • Parlamente repräsentieren unterschiedliche politische Positionen, nicht Chromosomen oder andere äußerliche Merkmale. Es ist völlig egal, ob Alice Weidel die rassistischen Positionen der AfD vertritt oder ein heterosexueller Mann ohne Miigrationserfahrung. Wir sollten endlich aufhören, Menschen nach solchen Kriterien zu kategorisieren.

    Richtig wäre, auch auf Bundesebene die Wähler selbst entscheiden zu lassen, welche Abgeordnete eine Partei entsendet, statt starre Listen zu haben. Paritätspflichr oder andere Vorschriften darüber, wie Listen zu besetzen sind, gehen genau in die falsche Richtung, sie nehmen dem Wähler Entscheidungsfreiheit. So wie es ist, steht ja jedem Wähler die Entscheidung frei, eine Partei zu wählen, fir ihre Ludten paritätisch besetzt.

    Eigentlich erübrigt sich an diesem Punkt jede Diskussion, weil von Verfassungsgerichten der Länder mehrfach festgestellt wurde, dass eine Paritätsvorschrift verfassungswidrig und nicht besonders demokratisch wäre, was aber vo den Befürwortern immer wieder ignoriert wird.

    Dass auf den Listen oft mehr Männer stehen, hat auch damit zu tun, dass in vielen Parteien mehr Männer sind, als Frauen, offenbar sind mehr Männer bereit, sich in ihrer Freizeit politisch zu engagieren.

    • @Ruediger:

      Ich glaube das mehr Männer einfach machtgeiler sind als viele Frauen. Engagement zeigen Frauen deutlich mehr als Männer, aber eben nicht in Macht besetzten Positionen. Da Männer ihre Macht Frauen gegenüber aber missbrauchen, ist die Quote dringend erforderlich. Alle Argumente dagegen haben Jahrzehnte lang versagt .

  • Bräuchte es nicht konsequenterweise weitere Quotierungen für Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderung, nicht-heteronormativer Geschlechtsidentität, ...? Wenn die Abgeordneten vor Allem Repräsentant*innen sein sollen, ware es vielleicht einfacher die Mandate zu verlosen, statt sie per Wahl zu vergeben. Das Parlament wäre deutlich repräsentativer und parteitaktische Spielchen hätten ebenso ein Ende wie das zunehmende Geschimpfe auf die 'abgehobenen Eliten'. Ob es auch zu besserer Politik führen würde weiß man nicht, einen Versuch wäre es aber vielleicht mal wert.

    • @Ingo Bernable:

      Vielleicht sollte man auch einfach gar nich mehr wählen, sondern einen Computer mit allen relevanten Kriterien füttern und der stellt das das maximal repräsentative Parlament zusammen, in dem jede Bevölkerungsgruppe nach ihrem Anteil vertreten ist. Das sollte möglich sein, weil ja jeder Mensch alle dieser Eigenschaften vereint (Geschlecht, Alter, Migr-Geschichte ode nicht -- usw.)

      Anderer Auffassung allerdings das Grundgesetz. Danach soll jeder Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes sein, nicht nur derer, die ihn gewählt haben oder die er in Ihrem Sinne repräsentiert.

    • @Ingo Bernable:

      Ja, es gibt so viel mehr Merkmale als das Geschlecht. Es gibt so viele Menschen, die nicht repräsentiert werden. Die Frage ist jedoch, ob wir wieder ein Ständewahlrecht wollen, oder ob es nicht besser wäre, dass Politiker:innen in der Lage sein sollten, dem Gesamtwohl zu dienen.

  • Parität ist eben keine Gleichberechtigung, sondern eine Ungleichberechnung am Kriterium des Geschlechts. Das Individuum wird nicht länger gleich behandelt. Privilegien für ein Geschlecht sind logisch zwingend sexistisch und gegen die Gleichberechtigung

  • Was noch interessant wäre: wie ist denn der Anteil Männer/Frauen bei den zur Wahl stehenden Personen und im Parteipersonal insgesamt? Das sollte ja nun auch nicht ganz unberücksichtigt bleiben. Wenn auf 10 Männer z.B. 2 Frauen kommen, wäre eine vorgeschriebene Quote von z.B. 50% sicherlich nicht hilfreich, einen fairen Auswahlprozess sicherzustellen.