Forscherinnen über Asylanträge in Ruanda: „Ein Verstoß gegen viele Verträge“

Zwei Juristinnen erklären, welche Probleme Großbritanniens Regierung kriegt, wenn sie versucht, den Flüchtlingsdeal mit Ruanda zu retten.

Ein Mädchen hat sich einen Aufkleber auf die Wange geklebt, darauf steht "Stop Rwanda"

Protest gegen den Ruanda-Flüchtlingsdeal vor den Royal Courts of Justice in London am 9. September Foto: Thoams Krych/reuters

taz: Das höchste britische Gericht hat am Mittwoch das Ausfliegen Asylsuchender aus dem Vereinigten Königreich für Asylverfahren in Ruanda gestoppt. Ist das Thema damit erledigt?

Svenja Niederfranke: Der Premierminister Rishi Sunak will einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) prüfen lassen, um an dem Modell festhalten zu können. Das Urteil hat allerdings besonders betont, dass das Vorhaben nicht nur gegen die EMRK verstößt, sondern auch gegen andere Verträge, etwa die Anti-Folterkonvention oder den UN-Zivilpakt.

ist Expertin für Internationales Migrationsrecht bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Die Regierung kann also in der Sache nichts mehr tun?

Niederfranke: „Stop the boats“ war eine von fünf politischen Prioritäten, die Sunak bei seinem Amtsantritt formuliert hat. Wenn die Regierung das Ruanda-Modell weiter verfolgen wollte, könnte sie versuchen, einen anderen Partnerstaat als Ruanda zu suchen, in dem es ein besseres Asylsystem gibt. Das ist aber extrem schwierig. Ruanda war nicht unter den ersten 30 Ländern, die seinerzeit angefragt wurden – UK hatte es unter anderem vorher auch in Albanien versucht. Dass die Regierung in London jetzt erfolgreicher ist und ein anderes Land findet, ist unwahrscheinlich. Die Kritik, etwa der Afrikanischen Union, an solchen Projekten ist sehr groß.

Die Richter verwiesen auf weitere internationale Verträge, gegen die das Modell verstoße. Kann Großbritannien einfach alle aufkündigen?

Niederfranke: Es ist fraglich, ob das Land aus der EMRK austreten kann. Unter anderem sind sowohl das Karfreitagsabkommen zu Nordirland und die Brexit-Verträge mit dieser Konvention verwoben.

Das Vereinigte Königreich müsste außerdem mit diplomatischen Folgen rechnen, wenn es aus der Anti-Folterkonvention, dem UN-Zivilpakt oder der Genfer Flüchtlingskonvention austreten würde.

Könnte London versuchen, Ruanda zu einem ‚sicheren Drittstaat‘ im juristischen Sinne zu machen?

Svenja Niederfranke, DGAP

„Solche Modelle sind unglaublich teuer.“

Niederfranke: Das Gericht hat ja heute geurteilt, dass die Rechtsansprüche Schutzsuchender in Ruanda nicht gesichert sind. Allerdings ist die vom Gericht erstellte Liste dessen, was man in Ruanda verbessern müsste, sehr lang. Wie viel lässt sich davon abarbeiten, damit das Projekt noch vor den Wahlen in UK nächstes Jahr starten und Sunak es sich als Erfolg zurechnen lassen kann? Und: Was davon ist überhaupt im Interesse der Regierung von Ruanda?

Was wäre, wenn Großbritannien die Asylverfahren in Ruanda selber durchführt?

Niederfranke: Das wäre dann gewissermaßen eine Kopie des neuen Modells von Italien und Albanien. Bisher war ja vorgesehen, dass die ruandischen Behörden die Asylverfahren übernehmen. Täte UK dies selbst, könnte die Regierung argumentieren, dass die Qualität des Asylverfahrens eigenen Standards gerecht wird. Doch wie viel würde das kosten? Und es ist offen, ob der britische Gerichtshof dem am Ende folgen würde. Zweifellos würde das auch wieder dauern. Schließlich könnte Sunak auch versuchen, bei Frankreich oder der EU anzuklopfen und ein Rückführungsabkommen zu vereinbaren. Frankreich hat allerdings immer gesagt, dass so etwas nur auf EU-Ebene denkbar ist.

Marie Walter-Franke

ist Research Fellow im Migrationsprogramm der DGAP.

Deutsche Politiker bringen oft das UNHCR als Instanz für externalisierte Asylverfahren ins Spiel. Könnte Großbritannien die UN-Organisation mit den Asylprüfungen in Ruanda beauftragen?

Marie Walter-Franke: Das UNHCR wird in dem Urteil zitiert – mit einer detaillierten Kritik des ruandischen Asylsystems. Gleichzeitig ist das UNHCR in Ruanda aktiv. Wenn es dort Asylprüfungen durchführt und die Menschen dann nach UK reisen, wäre das klassisches Resettlement – die Neuansiedlung Schutzbedürftiger. Dass dafür Menschen aber erst aus UK dorthin gebracht werden und dann womöglich wieder zurück – dazu hat sich das UNHCR sehr kritisch geäußert.

Das UNHCR bringt ja selber Geflüchtete aus Libyen nach Ruanda.

Walter-Franke: Es ist ein großer Unterschied, ob man Menschen aus einer Kriegszone wie Libyen evakuiert oder, wie UK, versucht, mit einer solchen Verschiebung seine Verantwortung aus der Genfer Konvention zu umgehen. Das wird das UNHCR nicht gutheißen. Es wäre auch unklar, was UK dem UNHCR für seine Kooperation in einem solchen Modell anbieten könnte.

Auch in Deutschland wird über Asylverfahren in Drittstaaten diskutiert. Was heißt das britische Urteil für die Debatte hierzulande?

Niederfranke: Man kann das Urteil nicht auf die Frage nach der Zulässigkeit des Italien-Albanien-Modells übertragen. Der Unterschied ist, dass Italien die Asylverfahren in Albanien selber machen will. In Deutschland prüft ja das Bundesinnenministerium derzeit, ob Asylverfahren in Drittstaaten möglich sind. Die Folge des Londoner Urteils wird nun sein, dass das UK-Ruanda-Modell von der Liste gestrichen wird und man zur Prüfung anderer Modelle übergeht.

Es bleibt offen, was mit Menschen geschieht, deren Anträge abgelehnt werden, die aber nicht abgeschoben werden können. Werden die Asyl-Auslagerungen daran scheitern?

Walter-Franke: Es gibt ein Vorbild dafür – das australische Modell. Die dortige Regierung hat diese Gruppe aus den Lagern in Nauru und Papua-Neuguinea nach Kambodscha und Laos übersiedeln lassen. Die große Frage ist aber, ob Europa in der Lage wäre, Staaten zu finden, die das machen wollen – und was das kosten würde.

Erstmal bräuchte man ja überhaupt ein Land, das ein solches Asylverfahrens-Zentrum bei sich zulässt. An welche Kandidaten wird dabei gedacht?

Walter-Franke: Ich habe bisher keinen seriösen Vorschlag gehört. Aber es wird sicherlich an die EU-Beitrittskandidaten im Westbalkan gedacht, später an die Ukraine, möglicherweise an Moldau und Georgien. Auch dafür werden diese Länder als so genannte „Sichere Drittstaaten“ eingestuft. Aber es wäre ein sehr weiter Weg, bis die sich bereit erklären würden, bei einem solchen Modell mitzumachen.

Die Regierungen würden hohe Summen verlangen. Wie ist die finanzielle Bilanz solcher Modelle?

Niederfranke: Sie sind unglaublich teuer. Es gibt eine Analyse des britischen Innenministeriums zum Ruanda-Modell. Demnach würde sich das finanziell erst dann rechnen, wenn durch die abschreckende Wirkung 37 Prozent weniger irreguläre Mi­gran­t:in­nen kommen würden. Dann käme die Regierung finanziell bei null raus. Aber es ist ja überhaupt nicht nachgewiesen, ob es einen solchen Abschreckungseffekt geben würde. Bisher hat die britische Regierung schon 140 Millionen Pfund nach Ruanda überwiesen, das Geld wird das Land wohl behalten. Sollten später Flüchtlinge kommen, soll es noch eine Pro-Kopf-Zahlung geben.

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