Rechtsstreit um „Judensau“-Relief: Eine echte Luthersau

Am Montag entscheidet der Bundesgerichtshof über das Schmährelief „Judensau“. Eine strafbewehrte Beschimpfung darf der Kirche nicht erlaubt sein.

Wittenberg Klage Juden

Blick auf die sogenannte „Judensau“ an der Stadtkirche in der Lutherstadt Wittenberg Foto: Christian Schroedter/imago

Am Montag verhandelt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision auf Abnahme des Schmähreliefs „Judensau“ von der Wittenberger Stadtkirche. Der Aktivist und Rentner ­Michael Düllmann, selbst Jude, war vor Gericht gezogen, nachdem seine langen und intensiven Bemühungen, mit der Gemeinde ins Gespräch zu kommen, keine Resonanz gefunden hatten. 2019 war dann seine Klage zuerst vom Landgericht und danach auch in zweiter Instanz im Februar 2020 vom OLG Naumburg abgewiesen worden.

Für die evangelischen, besonders die lutherischen Kirchen in Deutschland ist es ein kulturelles und geistliches Armutszeugnis, dass ein Gericht jetzt darüber entscheiden soll, ob eine unzweifelhaft antijüdische Schmähung auch weiterhin nicht nur irgendeine, sondern die zentrale Kirche des Luthertums „zieren“ darf. Das schon im Mittelalter im Innenraum der Kirche zur agitatorischen Belehrung der Christen angebrachte Relief ist an Widerwärtigkeit und Bösartigkeit nicht zu überbieten: Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden identifiziert werden. Eine durch einen Hut als Rabbiner zu identifizierende Figur hebt den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After.

Der große Reformator Martin Luther, Prediger an der Stadtkirche, war von dieser Darstellung so fasziniert, dass er sie 1543 in seinem antijüdischen Pamphlet „Vom Schem Hamphoras“ eigens würdigte. Schem Hamphoras bedeutet den für Juden heiligen und darum unaussprechlichen Namen Gottes. Gut zwei Jahrzehnte nach Luthers Tod wurde über der Sau die Inschrift „Rabini Schem Ha Mphoras“ angebracht. Es war die Übergangszeit vom Mittelalter in die Moderne. Der Antijudaismus wurde modernisiert zum Antisemitismus. Luthers Ratschläge „wider die teuflischen Juden“ lesen sich wie eine Anleitung zu den Pogromen 1938. Die sogenannte Judensau ist also tatsächlich eine Luthersau.

Das alles wird vom Vorstand der Wittenberger Kirchengemeinde und seinen Unterstützern nicht bestritten. Doch was folgt daraus? Man hätte das Schmährelief einfach weiter verfallen lassen können, tat aber das Gegenteil: Noch rechtzeitig zum großen Lutherjubiläum 2017 wurden das Relief und seine Überschrift vergoldet, auch mit öffentlichen Geldern. Neben dem Wittenberger Stadtrat inklusive AfD und Linker setzt sich auch Friedrich Schorlemmer, langjähriger Prediger an der Stadtkirche, für den Verbleib der „Luthersau“ ein: „Dieser Stachel im Fleisch muss bleiben. Es muss in schmerzhafter Erinnerung bleiben, was in dieser Luther-Kirche passiert ist. Ich fände es eine Schande, die ‚Judensau‘ einfach wegzumachen“, sagte er im Dezember 2017 dem SZ-Magazin.

„Stachel im Fleisch“ der Christenheit?

Schorlemmer scheint seiner eigenen Forderung nicht zu vertrauen. Sonst hätte er längst dafür sorgen können, dass die schmerzhafte Erinnerung, also die „Judensau“, ins Innere der Stadtkirche geholt und dort in einem aufklärenden Kontext präsentiert werden könnte. Alle Veranstaltungen und Gottesdienste im Angesicht der niederträchtigen antijüdischen Skulptur, das wäre ein „Stachel im Fleisch“ der Christenheit. Wäre! Tatsächlich aber ist die Sau an der Kirchenwand ein „Stachel im Fleisch“ der Jüdinnen und Juden, die die „schmerzhafte Erinnerung“ an Antisemitismus und Holocaust durch Luthers Kirchengefolgschaft nur als Hohn empfinden können.

Für die demokratische Gesellschaft stellt sich darum die Frage, ob sie bereit ist, das sture Festhalten der Wittenberger Gemeinde an ihrem Schmährelief einfach zu akzeptieren. Warum sollte der Wittenberger Kirche die strafbewehrte verbale Beschimpfung „Du Judensau“ erlaubt sein, nur weil sie in Stein geschlagen ist und unter Denkmalschutz steht? Es darf auch für die Kirche kein Sonderrecht auf antijüdische Darstellungen geben.

Respektloses Mahnmal

Man stelle sich einmal vor, ich beleidigte einen anderen Menschen mit dem inkriminierten Schimpfwort und überreichte ihm dazu einen Zettel, der darüber aufklärte, dass sechs Millionen Juden „unter dem Zeichen des Kreuzes starben“, so die Inschrift einer Bodenplatte unter dem Schmährelief. Ein Unding. Doch genau auf dieser schiefen Ebene argumentiert der Vorstand der Wittenberger Stadtkirche: Ein „Mahnmal“, das vor circa 35 Jahren noch zu DDR-Zeiten auf Initiative der Jungen Gemeinde in den Boden unterhalb des Schmähreliefs installiert wurde, relativiere den beleidigenden Charakter der Kirchensau und hebe ihn auf.

Auch wenn die damalige Intention Respekt verdient, ergibt eine genaue Betrachtung heute einen klaren Befund: Das „Mahnmal“, das in der Größe und Anmutung eines Gullydeckels unten im Boden vor der Kirchenwand eingelassen ist, seine Kreuzästhetik und seine Botschaft sind doppeldeutig und respektlos; ein klares Bußwort über den Antisemitismus und die Mitverantwortung der lutherischen Kirchen für den Holocaust sucht man vergeblich.

Aus Gemeinde suspendieren

Die bisherigen Gerichtsinstanzen haben dennoch ohne genaue Prüfung die Behauptung der Kirchengemeinde übernommen, dass durch das Bodenplattenmahnmal der antijüdische Charakter des Schmähreliefs eine ausreichende Distanzierung erfahren habe. Man wird sehen, ob auch der Bundesgerichtshof diese Wittenberger Camouflage übernimmt. Immerhin hat der BGH seinen Sitz in Karlsruhe, also außerhalb der sachsen-anhaltinischen Einflusszone. Wichtiger aber ist, dass gesamtgesellschaftlich die Aufmerksamkeit für antisemitische Propaganda zugenommen hat.

Und zu hoffen ist, dass zumindest ein Gerichtsurteil für die Entfernung des Schmähreliefs von der Kirchenwand sorgt. Hilfreich könnte sein, wenn die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Distanzierung von Luthers Antisemitismus ernst nehmen und die Wittenberger Gemeinde aus ihrer Gemeinschaft suspendieren würde, jedenfalls so lange, wie diese die Sau weiterhin ihren bösartigen Hass von der Kirche verkündigen lässt.

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Ulrich Hentschel ist Theologe, Autor und Aktivist. Er wurde 1950 als Sohn eines Pastors geboren und studierte Theologie und Sozialpädagogik. 1977 begann Hentschel seine Tätigkeit als Pastor. Er war in der Friedensbewegung aktiv und beschäftigt sich u. a. mit Erinnerungs­kultur und Antisemitismus.

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