Rechtes Netzwerk „Ein Prozent“: Die ungestörten Handwerker

Das rechte Netzwerk mischt überall mit. Nun sollen Landkommunen die „kulturelle Hegemonie“ sichern. Der Verfassungsschutz weiß von nichts.

Männer stehen nebeneinander,

Einhaken für den Hass: Compact-Chefredakteur Elsässer und „Ein Prozent“-Mitgründer Kubitschek Foto: dpa

Die Dorfgemeinschaft ist angeblich schon vollzählig. Landärzte, Architekten, Zimmermänner, Lehrer, Gastronomen, gar Imker habe man zusammen, lässt „Ein Prozent“ seine Anhänger wissen. 15 Familien stünden bereit, um sich nun als „Landsiedler“ niederzulassen. Einen „patriotischen Leuchtturm“ werde man so schaffen. „Die patriotische Raumnahme ist gestartet.“

Es sind große Ankündigungen – so wie immer bei dem weit rechten Netzwerk „Ein Prozent“. Ob demnächst tatsächlich rechte Landkommunen in dieser Republik entstehen, bleibt abzuwarten. Auch wo das Ganze stattfinden soll, ist bisher unbekannt. Dennoch: Es ist ein weiterer Versuch des Netzwerks, sich auszubreiten. Diesmal nicht virtuell, sondern ganz real. Und die Sicherheitsbehörden schauen weg.

Im April 2016 gründete sich „Ein Prozent“ offiziell als Verein, im sächsischen Oybin, mit einer Handvoll Leute. Unter ihnen: der neurechte Vordenker Götz Kubitschek aus Sachsen-Anhalt, der Chefredakteur des rechten Compact-Magazins Jürgen Elsässer. Und: Philip Stein, ein junger Verleger und Burschenschaftler – und heute Chef von „Ein Prozent“.

Eine „Widerstandsplattform für deutsche Interessen“ wolle man sein, gibt der Verein vor. Gegen die „Flüchtlingsinvasion“, gegen „die politische Kaste“. Um eine „Auflösung unseres Staates“ zu verhindern, reiche ein Prozent der Bevölkerung. Es ist eine NGO von rechts. Gegründet, um das Anti-Asyl-Wutbürgertum zu vernetzen.

Das Netzwerk versucht, sich auszubreiten

Nun, zwei Jahre später, steht die Vernetzung. Nach eigenen Angaben zählt „Ein Prozent“ 40.000 Unterstützer, verteilte 2016 Spenden in Höhe von 166.000 Euro. Die Gruppe mischt bei Pegida in Dresden mit, bei Anti-Asyl-Protesten in Cottbus. Als in Erfurt der Bau einer Moschee diskutiert wurde, stellte die Initiative neben dem Baugrund ein meterhohes Holzkreuz auf.

Das Ziel Es ist ein vollmundiges Vorhaben. Wenn ab dem 1. März die bundesweiten Betriebsratswahlen stattfinden, werde man mit „vielen hundert“ Kandidaten antreten, tönt das weit rechte Netzwerk „Ein Prozent“. Es sei ein „Generalangriff auf das Monopol der großen Gewerkschaften“.

Die Bedeutung Der Eingriff in die Betriebsratswahlen ist die aktuelle Kampagne von „Ein Prozent“. Seit Wochen wirbt das Netzwerk um Kandidaten, drehte dafür Videos, druckte nach eigenen Angaben 60.000 Flugschriften, ließ den AfD-nahen Daimler-Betriebsrat Oliver Hilburger bei Pegida in Dresden auftreten. Die Wahlen werden bis Mai in gut 28.000 Firmen in Deutschland abgehalten. Derzeit gibt es dort rund 180.000 Betriebsräte.

Die Reaktionen Der DGB nennt die rechten Kandidaten eine winzige Minderheit. So stellt Hilburgers „Zentrum Automobil“ im Daimler-Werk Untertürkheim 4 von gut 40 Betriebsräten. Diese distanzierten sich inzwischen „strikt von allem rechtsradikalen Gedankengut“. Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche äußerte sich besorgt über die rechten Kandidaturen. (KO)

Als in Arnsdorf eine Bürgerwehr einen Flüchtling an einen Baum fesselte, spendete sie den später Angeklagten angeblich 20.000 Euro. Vor der Bundestagswahl verbreitete die Gruppe Videos mit AfD-Männern, in denen diese „eine patriotische Wende“ einfordern. Aktuell sorgt sie für Schlagzeilen mit einem Aufruf, dass sich Rechtsgesinnte bundesweit in Betriebsräte wählen lassen sollen (siehe Kasten). Und nun folgt das Landprojekt?

Philip Stein, der „Ein Prozent“-Chef, ist für die taz dazu nicht zu sprechen. Anfragen beantwortete er nicht. In der Szene aber versteckt sich Stein nicht. Der Endzwanziger, gegelter Seitenscheitel und Vollbart, ist Inhaber eines rechten Kleinverlags in Dresden. Er selbst schreibt seit Jahren für neurechte Publikationen, beschwört dort einen „großen Umbruch“. Daneben ist Stein Sprecher der „Deutschen Burschenschaft“, jenes Dachverbandes, der vor einigen Jahren diskutierte, ob man einen Burschenschaftler chinesischer Abstammung in den eigenen Reihen dulden könne.

Stein stand zuletzt in Leipzig auf der Bühne, auf einem Kongress von Elsässers Compact-Magazin. „Wir haben uns in den Mainstream eingefressen“, jubilierte er dort, adrett in Hemd und Jackett. Dem „linksliberalen Establishment“ habe man „die Fratze runtergerissen“ [man beachte die Sprache, d. Säzzer], nun gehe es um „Strukturarbeit“. „Es ist jetzt unsere Zeit angebrochen.“

Ein Treffen unter rechten Freunden

Stein saß in Leipzig ganz vorne auf der Bühne. Nach ihm sprachen Lutz Bachmann, der Pegida-Anführer, der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, der Chef der Identitären Bewegung Martin Sellner und Elsässer selbst. Man duzte sich, Stein verlieh einen „Widerstandspreis“ an einen Identitären, „dem lieben Robert“. Es war ein Treffen unter Freunden. Und eines von all jenen, die zuletzt die rechtsextreme Agenda in diesem Land bestimmten.

Die Sicherheitsbehörden indes interessiert das offiziell nicht. „Ein Prozent“ sei „kein Beobachtungsobjekt“ des Verfassungsschutzes, teilt das Bundesinnenministerium fest. „Erkenntnisse zur Vereinigung selbst liegen nicht vor.“ Das ist eine beachtliche Aussage über ein Netzwerk, das derzeit einer der Motoren der weit rechtsoffenen Szene ist.

Die Strukturarbeit, von der Philip Stein in Leipzig sprach, soll nun offenbar im Ländlichen fortgesetzt werden. Schon jetzt verfügt seine Initiative über ein eigenes Haus, mitten im sachsen-anhaltischen Halle, unweit der dortigen Universität. Mitbewohner dort: die Identitären und ein AfD-Landtagsabgeordneter, der hier ein Büro hat. Und auch „Ein Prozent“-Mitgründer Götz Kubitschek stellt einen Treffort: ein Rittergut im kleinen Schnellroda, auch in Sachsen-Anhalt. Halbjährlich lädt er in den Ort zu Szeneakademien.

Hiervon sind nun offenbar Ableger geplant. Für das Landprojekt seien sieben „Zielgebiete“ vorgesehen, berichtet „Ein Prozent“. In jedem solle ein „Großobjekt“ geschaffen werden, in dem „deutsche Kultur begegnungsfähig wird“. Drei Familien seien bereits in die Gebiete gezogen, drei weitere, mit sieben Kindern, würden ihren Umzug vorbereiten.

„Remigration“ statt „Ausländer raus!“

Es klingt nach einem Revival des völkischen Siedlertums, einem klassischen rechtsextremen Konzept. Deren Anhänger ziehen bewusst aufs Land, gründen dort Gemeinschaften unter ihresgleichen – und versuchen Nachbarn mit ins rechtsextreme Lager zu ziehen. Doch auch zu den „Ein Prozent“-Landprojekten geben sich die Innenministerien ahnungslos. Darüber habe man keinerlei Erkenntnisse, heißt es in mehreren Ländern auf Nachfrage.

In der Politik trifft das bei einigen auf Kopfschütteln. „Ein Prozent ist klar fremdenfeindlich und bestens in der rechtsextremistischen Szene vernetzt“, sagt Burkhard Lischka, SPD-Innenexperte und Parteichef in Sachsen-Anhalt. „Damit ist es ganz klar ein Fall für den Verfassungsschutz.“

Auch die Linken-Innenexpertin Martina Renner warnt vor dem „Tarnverein“. Deren Landprojekt sei „ein Baustein einer rasanten Ausbreitung extrem rechter Treffpunkte in der Bundesrepublik“. Neue Rechte, völkische Siedler und Neonazis zögen hier an einem Strang. „Die Idee lautet sozusagen NS-Volksgemeinschaft im Kleinen.“

Tatsächlich lässt auch Philip Stein keinen Zweifel, wohin er will. „Das Volk steht auf den Barrikaden“, sagte er schon im vergangenen Frühjahr, als er bei Pegida in Dresden als Redner auf der Bühne stand, vor sich gut 2.000 Flüchtlingsfeinde. „Stein für Stein bauen wir an einem Mosaik des Widerstands.“ Es gehe um ein „Ende der Masseneinwanderung“, um „Remigration“. Remigration, es ist die Verbrämung der Neurechten für das alte „Ausländer raus!“.

Rechte Phrasen, die an die NPD erinnern

Und Stein sprach aus, worauf er zielt: Es brauche auch einen „politischen Wechsel im Land“. „Es waren immer kleine Gruppen, die das Schicksal einer Nation am Ende bestimmen konnten.“ Die Menge applaudierte, antwortete mit „Widerstand“-Rufen. Stein blickte kühl auf sie herunter. Bald werde es eine andere Stimmung im Land geben, schloss er. „Und darauf könnt ihr euch freuen.“

Es sind Phrasen, die man vor Jahren ähnlich auch bei der NPD hörte. Dabei grenzen sich auch die Neurechten von den „alten Rechten“ ab, wollen etwa mit NS-Folklore nichts zu tun haben. Dennoch redet auch „Ein Prozent“ nur über das „eigene Volk“, wettert gegen Flüchtlinge oder eine vermeintliche „Islamisierung“. Und duldet auch einschlägige Viten in ihren Reihen: So waren Mitstreiter früher bei der NPD-Jugend aktiv.

Auch Philip Stein sprach noch vor zwei Jahren auf einem Podium einer NPD-nahen Postille, in einem Tagungszentrum, das mitgegründet wurde von der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Und bis nach Rom und Linz reiste er, um sich mit anderen Nationalisten zu vernetzen.

Inzwischen attestiert das Bundesinnenministerium „Ein Prozent“ zumindest eine „Diffamierung der Asylpolitik der Bundesregierung“. Das Netzwerk mobilisiere zu „asylfeindlichen Veranstaltungen“. Auch vom niedersächsischen Verfassungsschutz heißt es, das „Ein Prozent“-Landprojekt „gleicht dem sogenannter völkischer Siedlungsbestrebungen“. Das Flächenland Niedersachsen biete dafür „eine Vielzahl an Niederlassungsmöglichkeiten“. Auch wenn der Verein kein Beobachtungsobjekt sei, befasse man sich deshalb mit dessen weiterer Entwicklung. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es dagegen als Gesamtfazit: „Eine Gefährdungsrelevanz liegt bisher nicht vor.“

Das Revival des völkischen Siedlertums wird ignoriert

Der Fall zeigt, wie sehr die Ministerien und der Verfassungsschutz beim neurechten Milieu lavieren. Denn die Identitäre Bewegung wird inzwischen sehr wohl vom Verfassungsschutz beobachtet. „Ein Prozent“, Pegida oder die AfD indes nicht. Dabei grenzen sich die Gruppen untereinander längst nicht mehr ab, sehen sich vielmehr als Teil eines gemeinsamen rechten Mosaiks.

Eines, das sich nun auch im Ländlichen ausbreiten könnte. Ein Generationenhof und eine Landarztpraxis seien bereits im Entstehen, teilt „Ein Prozent“ mit. Zwei Häuser, die als Kulturzentren taugten, seien gekauft und stünden vor einer Renovierung. Es gehe um eine „Rückeroberung der kulturellen Hegemonie“. Abseits der Städte gebe es dafür „einzigartige Gestaltungsmöglichkeiten“.

Die Sicherheitsbehörden werden dabei nicht stören.

Dieser Artikel wurde aktualisiert um 13.30 Uhr.

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