Rechte Retter und die Folgen: Wiederholungstäter
Die taz deckt rechte Vorfälle bei Rettungsdiensten auf, und sofort gibt es Abwehrreflexe. Um dem entgegenzuwirken, braucht es konkrete Maßnahmen.
Die Reaktionen kamen schnell. Man werde den Vorwürfen nachgehen, versicherten die Malteser. Und auch die Johanniter Unfallhilfe erklärten, die Schilderungen machten „sehr betroffen“ und seien „mit unseren Werten unvereinbar“. Man sei dabei, „diesen Fall konsequent aufzuarbeiten“. Verstöße würden straf- und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Klare Worte. Oder? Am vergangenen Wochenende hatte die taz die Ergebnisse einer monatelangen Recherche veröffentlicht, in der sie rechtsextreme Vorfälle in den Rettungsdiensten beider Verbände offenlegte. Hitlers Geburtstag im Dienstkalender eingetragen, für alle sichtbar. Äußerungen eines Mitarbeiters, er würde eher ein Flüchtlingsheim anzünden, als den Bewohner:innen zu helfen. Migrantische Patient:innen, denen eine Scheinkrankheit attestiert wurde, ein „Morbus bosporus“.
Zuletzt schon waren rassistische Chatgruppen bei der Polizei aufgeflogen. Immer wieder fiel auch die Bundeswehr mit rechtsextremen Vorfällen auf. Nun also auch der Rettungsdienst? Die Helfer? Die Guten? Es folgten denn auch prompt Abwehrreaktionen. Man habe mit Rechtsextremismus bisher kein Problem gehabt, stellten die Malteser klar. Und: „Wir wehren uns daher gegen eine pauschale Anklage zu rassistischem Verhalten von Rettungskräften.“
Dabei können diese Befunde nicht wirklich erstaunen. Es wurde bisher schlicht nicht genauer hingeguckt in diesem Bereich. Wer will, kann sich aber an Lübeck im Frühjahr 1996 erinnern. Ein Brandanschlag auf ein Haus für Asylsuchende tötete damals 10 Geflüchtete. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt. Verhaftet wurde danach aber einer der Bewohner, weil ein Sanitäter behauptet hatte, dieser habe ihm die Tat gestanden. Der Vorwurf ließ sich nie erhärten, der Libanese wurde freigesprochen. Mehrere Monate aber musste er in Haft sitzen. In jüngster Zeit machte dann die Feuerwehr Bremen, die auch Rettungsdienste fährt, Schlagzeilen mit rassistischen Chatgruppen. In Düsseldorf war ein Sanitäter Mitglied einer rechtsextremen Kameradschaft. Alles Einzelfälle?
Natürlich lässt sich hier erst mal nichts verallgemeinern. Und natürlich opfern sich die allermeisten in diesem Job ehrlich und rechtschaffen auf, um anderen zu helfen. Wie groß das Problem ist, weiß man aber schlicht nicht. Denn die Empirie dazu existiert quasi nicht. Ein Hinweis lieferte aber zuletzt das Sozioökonomische Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, bei dem immerhin knapp 17 Prozent der Befragten erklärten, dass sie Diskriminierungen im Gesundheitsbereich erlebten. Auch eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes konstatiert, dass es Hinweise gibt, wonach etwa Migrant*innen „im Hinblick auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung und bezüglich der Qualität der medizinischen Behandlung benachteiligt sind“. Das zeige sich in längeren Wartezeiten in Arztpraxen und Krankenhäusern, Stereotypisierungen in Behandlungen, bei verweigerten Untersuchungen bis zum Gefühl von Betroffenen, nicht ernst genommen zu werden. Der Branche fehle eine „Diversitätsorientierung“, so der Bericht. Insbesondere Geflüchtete seien bei der Gesundheitsversorgung mit „einem restriktiveren Umfang der Leistungen konfrontiert“.
21 Prozent
Und natürlich ist auch der Rettungsdienst ein Abbild der Bevölkerung. So verorteten die Mitte-Studien, die seit Jahren Einstellungen der deutschen Bevölkerung erfassen, zuletzt 21 Prozent der Befragten beim Thema Rassismus in einem „Graubereich“, der entsprechende Aussagen teils zustimme, teils ablehne. Fast ebenso viele Befragte äußerten sich latent demokratiefeindlich. Es gibt kaum Gründe anzunehmen, dass diese Einstellungen nicht auch unter Sanitäter:innen verbreitet sind. Dazu kommt ein Job im Dauerstress, in eingeschworenen Teams, mit oft überschaubarer Führungsaufsicht. Einer, der sich immer wieder in Ausnahmesituationen hineinbegibt. All das befördert eine Suche nach Ventilen, die sich offenbar auch rechtsextrem entladen.
Warum das besonders heikel ist, liegt ebenso auf der Hand. Denn auch und gerade das Rettungswesen besitzt eine sensible Verantwortungs- und Machtposition. Diese beinhaltet nicht Waffen und Handschellen wie bei der Polizei. Aber auch hier geht es um Menschen, denen wir uns im Notfall ausliefern und das Vertrauen entgegenbringen müssen, dass sie alle gleich behandeln, im Extremfall zwischen Leben und Tod. Ein Vertrauen, das einmal erschüttert schwer wieder herzustellen ist.
Umso mehr beunruhigen nicht nur die aufgedeckten Vorfälle, sondern auch der Umgang damit. Fehlende Statistiken über rechtsextreme Vorkommnisse oder ärztliche Leitungen, die nie davon erfuhren. Nachfragen dazu, die nicht beantwortet werden oder nur ausweichend. Ein Mitarbeiter, der Probleme offen ansprach und letztlich gehen musste. Oder das prompte Verwahren „gegen eine Pauschalverurteilung“, die es gar nicht gab.
Das Muster ist bekannt – von der Polizei. Auch dort schließen sich bei Kritik schnell die Reihen, der Korpsgeist sorgt dafür. Wer ausschert, wird zum Nestbeschmutzer. Auch hier ist sehr schnell die Rede von Einzelfällen – obwohl man dies ebenso wenig sagen kann. Bis heute wehren sich Teile der Polizei gegen empirische Untersuchungen. Dabei rügte erst diese Woche erneut der Europarat, dass Deutschland endlich eine Studie zu Racial Profiling in der Polizei anschieben müsse.
Video eines Einsatzes
Wie die Sache läuft, wurde gerade erst wieder vorgeführt. In Berlin war ein Video eines Einsatzes aufgetaucht, in dem ein Polizist eine syrische Familie wegen einer ausstehenden Geldstrafe für mehrmaliges Fahren ohne Fahrschein beleidigte: „Das ist mein Land und du bist hier Gast.“ Nach der öffentlichen Kritik dauerte es nicht lang, bis ein Polizeigewerkschafter eine „Hetzjagd“ gegen die Polizei beklagte, ein geschichtsvergessener Begriff. Und selbst Bundesinnenministerin und Sozialdemokratin Nancy Faeser erklärte, sie könne in dem Fall keinen Rassismus sehen. Ja, was denn sonst?
Diese Abwehrmechanismen dürfen sich jetzt nicht im Rettungsdienst wiederholen. Und es reichen auch nicht nur Prüfungen im Einzelfall. Was es braucht, sind konkrete Maßnahmen, die in die Struktur gehen. Empirische Untersuchungen, um zu sehen, wie groß das Problem ist und wo es liegt. Unabhängige Beschwerdestellen, für Patienten wie Bedienstete, nicht versteckt in Organigramme, sondern für alle sichtbar und ansprechbar. Und Fortbildungen, die das Thema Rechtsextremismus offensiv ansprechen und kulturelle Sensibilität vermitteln.
Kurzum: Es braucht das Hinschauen. Nicht nur von der taz, die weiter recherchieren wird. Nicht nur von den Verbänden, welche die Mitarbeitenden einstellen und führen. Sondern auch von den Ländern und Kommunen, die die Rettungsdienste beauftragen. Vor allem aber in den Kollegien, wo es Widerspruch braucht, sobald sich der Hass offenbart – unmittelbar.
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