Rechte Jugend in Ostdeutschland: An der Grenze
Nirgendwo erhielt die AfD so viele Stimmen wie im Landkreis Görlitz. Viele junge Menschen wählten hier rechts. Wie geht es denen, die sich dagegenstemmen?
Auf dem warmen Kopfsteinpflaster des Marktplatzes hocken Alena, Lothar und Johanna. Sie warten darauf, dass noch eine siebte Flagge dazu kommt. Um 18 Uhr an diesem Montag soll Oberbürgermeister Thomas Zenker zum Kick-off des diesjährigen Christopher Street Days am wichtigsten Gebäude der Stadt die Pride-Flagge hissen. Die Stimmung ist trotzdem so mittel. Es ist der Tag nach den Wahlen. Wahlkater.
„Man fühlt sich irgendwie unnötig“, sagt Alena. „Fast als wäre die eigene Stimme wertlos.“ Die AfD bekam im Landkreis Görlitz, in dem auch Zittau liegt, bei Kommunal- und Europawahl so viele Stimmen wie sonst nirgendwo in Deutschland. Alena und Lothar sind 17, Johanna ist 16. Alle drei haben das erste Mal gewählt. Geschockt seien sie nicht, bedrückt treffe es eher.
Und aktuell vermissten sie die Schule ein bisschen, denn dort könnten sie so was immer gut und offen besprechen. Gerade sind sie im Praktikum: zwei im Gastrobereich, eine beim Tierarzt. „Und da ist natürlich völlig klar, dass viele Kollegen die AfD gewählt haben, und mit denen will man es sich nicht verscherzen“, sagt Johanna. „Ich mag die ja auch alle.“
Wenn nicht gerade Praktikum ist, gehen die drei zusammen auf die Schkola, eine Schule mit alternativem Lernkonzept: flache Hierarchien, weltoffene Ausrichtung. Rechtsextreme Mitschüler seien da kein Thema. Bei einer Mädchengruppe, die in der Zwischenzeit dazugestoßen ist, sieht das anders aus. Sie sind nicht im Praktikum und mussten am Vormittag im Deutschunterricht mit einem ihrer Klassenkameraden rumdiskutieren.
„Unsere Lehrerin hatte gefragt, ob wir Mitteilungsbedarf hätten, und der Typ meinte dann, dass ihm die queere Szene extrem auf den Keks geht und heterosexuelle Menschen in ihrer Daseinsberechtigung eingeschränkt werden. Und dass man endlich die Grenzen zu Polen und Tschechien zumauern muss.“ Es sei nur dieser eine Schüler gewesen, aber auch wegen Leuten wie ihm seien sie heute hier.
Kooperation zwischen Linken und AfD
Als sich dann um 18 Uhr zwei junge CSD-Organisator:innen auf eine Bank vor dem Rathaus stellen und an die Dutzenden Zuhörer:innen appellieren, hier und heute den Mut nicht zu verlieren, beginnt zeitgleich auf der anderen Seite des Rathauses ein Hupkonzert. Niemand hebt auch nur die Augenbraue, es ist schließlich Montag. Seit Jahren schon versammeln sich auf der Rückseite Hunderte Rechte und hetzen gegen die Regierung, Einwanderer, das System. Wie an so vielen anderen Orten in Sachsen, hat sich auch hier der ehemalige Protest gegen die Coronamaßnahmen radikalisiert.
Eine Besonderheit in Zittau ist, dass die demokratische Zivilgesellschaft ähnlich routiniert dagegen hält. Heute inklusive dem Oberbürgermeister, der bei seiner CSD-Ansprache mahnt, sich bloß nicht einreden zu lassen, an der Wahl sei irgendwas faul gewesen, oder dass jemand, der mit demokratischen Mitteln gewählt wurde, per se ein Demokrat sei. Zenker predigt zu den Bekehrten, man bekommt das Gefühl, seine Rede wäre auf der anderen Seite des Rathauses besser aufgehoben.
Trotzdem ist der Jubel euphorisch, die Wählergemeinschaft „Zittau kann mehr“ (Zkm), der Zenker vorsteht, hat viel Rückhalt in der Stadt. Obwohl die AfD rund 8 Prozentpunkte dazugewann, hat Zkm mit Plakaten wie „Zittau kann mehr … Menschen vertragen“ oder „Zittau kann mehr … als schlechte Laune“ kaum an Stimmen eingebüßt.
Dementsprechend unaufgeregt wirkt Zenker Stunden vor dem CSD-Kick-off in seinem Büro im Rathaus. Wenn auch etwas desorientiert. Denn seit gestern spät in der Nacht sei er damit beschäftigt, herauszufinden, „wie die Lage drumherum so ist“. Mit den Nachbargemeinden hat man gemeinsame Zweckverbände für das Gewerbegebiet, für das Abwasser, bildet eine touristische Gebietsgemeinschaft und, und, und.
„Da ist extrem wichtig zu wissen, wie stabil die Kolleginnen und Kollegen aufgestellt sind. Können die noch sichere Entscheidungen treffen, oder wird alles, was sie tun, demnächst im Stadtrat hinterfragt?“ Blockadesituationen hat er in seinen neun Jahren im Amt selbst genug erlebt, insbesondere als sich eine Zeitlang AfD und Teile der Linken zusammentaten. Eine „ziemlich merkwürdige Situation“, für die er sich mehr mediale Aufmerksamkeit gewünscht hätte.
75 Prozent der Schule stimmten für die AfD
Zu viel Aufmerksamkeit hingegen habe bekommen, was sich im April 2023 während einer Stadtratssitzung abspielte. Damals hatten Flüchtlingsgegner den Ratssaal gestürmt, um gegen eine geplante Asylunterkunft zu protestieren. Zenker stellte sich ihnen damals stoisch entgegen und hat den Vorfall längst abgehakt. Trotzdem sei das, was sich Montag für Montag auf der Rückseite des Rathauses abspiele, „nicht als Alltag auszuhalten“. Spätestens zur Mittagszeit werde es an diesen Tagen ruhiger im Gebäude, die Kolleg:innen wechseln ins Homeoffice.
Eine 16-Jährige, die mit den Rekord-Ergebnissen der AfD zufrieden ist
Hannah und Nadja, 13 und 16 Jahre alt, finden an den rechten Aufmärschen so gar nichts bedrohlich. Sie stehen dicht nebeneinander in der hintersten Reihe und applaudieren etwas zeitverzögert, während auf der Bühne ein Mitglied der Partei „Die Basis“ seine Pläne für eine „neue Demokratieform“ darlegt, „bei der alle mitspielen dürfen“. Immer wenn sie montags Zeit haben, kommen die zwei Mädchen aus einer der umliegenden Ortschaften mit dem Mofa her. Sie können sich im Wahlergebnis sehr gut wiederfinden, bei der U-18-Wahl in ihrer Schule hätten 75 Prozent für die AfD gestimmt.
Genervt sind sie beide von den Lehrern, die dann immer so enttäuscht täten und versuchten, die Schüler zu lenken. „Ich bin nicht unzufrieden mit Zittau generell, aber mit den ganzen Ausländern“, sagt Nadja, die, wie Hannah auch, eigentlich anders heißt. Letztens sei sie im Club angegrabscht worden, zum Glück seien ihr ein paar Jungs zur Hilfe gekommen. „Ich glaube einfach, dass viele Menschen Angst vor dieser Asylflut haben, wir haben zu viele Ausländer reingelassen.“
Am nächsten Tag in der nächstgrößeren Stadt Görlitz. Am Bahnhof stoßen sich zwei Jungs um die 14 gegenseitig mit den Ellbogen in die Rippen, während sie gemeinsam in Richtung Ausgang gehen. Das bunte Werbeplakat zum Pride Month ist noch gar nicht in Sichtweite, da ziehen sie schon die Rotze hoch. Kurz davor bleiben sie stehen, spucken gegen die Aufschrift „Farbe zeigen“ und laufen weiter zur Tram.
„Das sind alles Trendnazis“
Ein paar hundert Meter weiter auf dem Wilhelmsplatz stehen Elias, 19, Michael, 18, Henning, 18, und Theo, 18, zusammen. Nichts liegt ihnen ferner, als auf Regenbogenplakate zu spucken. 37,2 Prozent bekam die AfD im Stadtrat. Die ganzen jungen Leute, die für die Rechten gestimmt hätten, „das sind alles Trendnazis“, glauben sie. „Die labern das von Tiktok nach, da ist so viel Schmutz unterwegs.“ Ein Freund von Elias sei sein Leben lang genauso links gewesen wie er, dann habe er aufgehört zu kiffen und gesagt, er sei jetzt Nazi. „Seine Mutter war immer linker als er. Er ist das perfekte Beispiel eines Trendnazis.“
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.
Sie alle wollen ihre Zwanziger zwar dringend woanders verbringen, fühlen sich aber noch halbwegs wohl in Görlitz. „Wir sind ja aber auch nicht die, die Probleme bekommen würden“, sagt Henning. Seine Freundin habe asiatische Wurzeln „und da überlegen wir uns schon, ob wir nicht zu ihrem Schutz und zum Schutz unserer zukünftigen Kinder in den Westen ziehen wollen.“
Das mit den Trendnazis sieht Dorothea Schneider etwas anders. Die 39-Jährige ist Vorsitzende des Vereins „Augen auf“. Sie engagiert sich seit ihrer Jugend gegen den Rechtsextremismus in der Region. Egal welcher der vielen Proteste gegen rechts, die im Landkreis wöchentlich so stattfinden, Schneider ist schon da und managt die Lage. Vergangenen Winter baten einige Schüler:innen sie, ihnen dabei zu helfen, montags wieder Gegenproteste vor dem Rathaus in Zittau auf die Beine zu stellen. Schneider organisierte, vernetzte, beriet und ermutigt die Jugendlichen seitdem, immer wieder selbst ans Mikro zu treten.
Sie beobachtet, wie ihre jungen Mitstreiter:innen immer selbstbewusster würden, dass der gemeinsame Kampf zu einer Art „Rettungsanker“ geworden sei. Das Wahlergebnis hat sie kommen sehen, auch den Rechtsruck unter den Jüngeren. Dass das nur ein Trend sei, glaubt sie nicht. „Man muss schon generell sehr offen rechten Positionen gegenüber sein.“
Einfluss habe natürlich, welches Weltbild im Elternhaus vorherrsche, in der Kita, in der Schule und dann beobachte sie auch, dass gerade junge Mädchen sehr auf das Gehabe rechter Typen abfahren würden, den Style, das toxisch Männliche.
Immer mehr Menschen melden Demos an
Ganz zentral sei aber sicherlich die Selbstwirksamkeit, „dass die in ihren Gruppen merken, sie sind stark, sie sind präsent, sie sind einschüchternd.“ Und deswegen ist ihr Selbstwirksamkeit auch so wichtig für die Jugendlichen, die seit Monaten unermüdlich immer montags auf der demokratischen Seite des Rathauses stehen.
Schneider hat sie einfach machen lassen und wurde dann dafür kritisiert, dass Antifa-Fahnen wehten. Das könnte ja die Leute verschrecken. „Und ich denke mir, die Jugendlichen werden hier durch die Stadt gejagt, die haben keinen Jugendclub mehr, in den sie ohne Weiteres gehen können, die treffen sich privat und werden noch verfolgt.“
Mittlerweile sei ihr der Protest fast zu bürgerlich geworden, sie würde sich wünschen, die jungen Leute würden mal wieder mehr „Alerta!“ rufen – „weil ich genau weiß, was dieser Moment denen gibt“.
Schneider, die mit 16 von Dresden nach Zittau kam und damals völlig überfordert gewesen ist mit der Gewalt, die ihr hier entgegenschlug, ist dankbar, dass es Initiativen wie „Augen auf“ gab. Jetzt ist sie dabei, die Menschen nach der Wahl wieder ein bisschen aufzubauen. „Besonders die Jüngeren sind frustriert und denken, dass all der Protest vermeintlich nichts gebracht hat.“
Doch es mache sie zuversichtlich, wenn immer mehr Menschen ihr aktuell berichten, eine Demo angemeldet zu haben. Wenn sie in der Öffentlichkeit bepöbelt und bedroht wird, wenn sie Hasspostings gegen sich liest, sind das für sie Erfolgsindikatoren. Es bedeutet, dass das Engagement für Demokratie die Leute immer noch triggert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles