Rechte Agrarorganisationen: Wutbauern unterliegen Kritikerin
Die Freien Bauern seien rechtspopulistisch, Aussagen eines EU-Kandidaten der Freien Wähler rechtsextrem – das haben Richter einer Forscherin erlaubt.
Die Agrarsoziologin Janna Luisa Pieper darf die Organisationen Freie Bauern sowie Land schafft Verbindung (LSV) Schleswig-Holstein und Hamburg als „rechtspopulistisch“ bezeichnen. Zulässig ist Gerichtsentscheidungen zufolge auch ihre Aussage, dass Anthony Lee – Sprecher von LSV Deutschland und Europawahlkandidat der Freien Wähler – durch „rechtsextreme bis hin zu rechtspopulistischen Aussagen aufgefallen“ sei. Damit hat die Wissenschaftlerin der Universität Göttingen alle Verfahren gewonnen, die der oft für die Freien Bauern gegen Kritiker vorgehende Rechtsanwalt Stephan Stiletto für die Organisationen und Lee begonnen hatte.
LSV Deutschland hatte gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband zu den Trecker-Demonstrationen in Berlin am 18. Dezember 2023 und am 15. Januar 2024 aufgerufen. Diese stießen auf großes Medieninteresse und trugen dazu bei, dass die EU wichtige Umweltauflagen für Agrarsubventionen gestrichen hat. Lee steht auf Platz 8 der Liste der Freien Wähler für die Europawahl am Sonntag. Die Freien Bauern sind zwar eine Splitterorganisation, setzen Kritiker aber regelmäßig durch Klagen vor Gericht unter Druck.
Pieper hatte im Februar in einem NDR-Interview von „rechtspopulistischen Vereinigungen innerhalb der Landwirtschaft“ gesprochen und gesagt: „dazu zählen natürlich auch LSV und die Freien Bauern“. Sie verwies auch auf „Personen bei LSV wie Anthony Lee, der in der Vergangenheit durch rechtsextreme bis hin zu rechtspopulistischen Aussagen aufgefallen ist“.
Daraufhin brach besonders in den Sozialen Medien ein Shitstorm über Pieper herein. Anwalt Stiletto flankierte diesen mit gleich drei Unterlassungsbegehren, in denen er Pieper aufforderte, auf die Aussagen zu verzichten. Da sie das ablehnte, beantragte er, dass Gerichte der Wissenschaftlerin die Äußerungen durch Einstweilige Verfügungen verbieten sollten. Falls sie sich nicht daran halte, solle ihr ein Ordnungsgeld von „bis zu 250.000 Euro ersatzweise Ordnungshaft“ angedroht werden.
Doch das lehnten bisher vier Gerichte ab. Im Fall LSV war es das Landgericht Hamburg. Und die zweite Instanz, das Hanseatische Oberlandesgericht, bestätigte: „Ob jemand als rechtspopulistisch eingeordnet wird, ist zweifelsohne eine Frage des Wertens und Meinens.“ Für diese Meinung über LSV gebe es genügend Anhaltspunkte. Allen voran Lees Behauptung in einem Interview der niederländischen Influencerin Eva Vlaardingerbroek von Mitte Januar, Politiker wollten Landwirten ihr Land zugunsten von Flüchtlingen wegnehmen. „Diese Antwort, die einen schweren Vorwurf gegenüber der Bundesregierung beinhaltet, darf zulässig als rechtspopulistisch bezeichnet werden“, entschieden die Richter. Zudem dürfe sie „als ausländerfeindlich“ gelten.
Anders als Stiletto argumentiert hatte, müsse sich LSV Lees Äußerung zurechnen lassen, selbst wenn sich der Landwirt als Kandidat der Freien Wähler geäußert hätte. Schließlich sei Lee Pressesprecher des LSV Bundesverbands, und weder dieser noch der Landesverband in Schleswig-Holstein und Hamburg hätten sich von Lees Behauptung distanziert. Stiletto hatte Pieper auch vorgeworfen, sie habe sich vor dem Interview nicht wissenschaftlich mit der Frage befasst. Aber das Gericht entschied sinngemäß, die Meinungsfreiheit stehe einer Wissenschaftlerin genauso zu wie jedem anderen Menschen. Die Belege für ihre Aussagen müsse sie nicht vor dem Interview vorlegen, sondern vor der Gerichtsentscheidung.
Mit ähnlichen Argumenten wies auch das Landgericht Hannover einen Antrag Lees gegen Pieper zurück. Es verwies ebenfalls auf eine im Oktober 2021 von der taz zitierte Äußerung Lees, wonach er Klartext spricht, weil sein Großvater bei der Waffen-SS war.
Vor dem Landgericht Halle blieb Pieper bisher ebenfalls Siegerin, wie eine Justizsprecherin der taz mitteilte. Die Freien Bauern hätten dort beantragt, der Wissenschaftlerin zu untersagen, die Organisation „als rechtspopulistische Vereinigung zu bezeichnen“. Diesen Antrag, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, habe das Gericht zurückgewiesen. Ein schriftliches Urteil samt Begründung liege noch nicht vor.
Gegen die Entscheidungen ist noch Berufung möglich. Aber vorerst müssen Stilettos Auftraggeber die Verfahrenskosten zahlen.
Dennoch hatten seine Klagen einen politischen Erfolg: Pieper hat sich seit Beginn des Rechtsstreits nicht mehr öffentlich geäußert. Ganz so, wie man es bei strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung, bekannt unter der englischen Abkürzung Slapp, erwarten kann. Sie gelten vielen als Missbrauch des Rechts, um Kritiker einzuschüchtern. Wie sich ihre Anwendung auf den Ruf der Kläger etwa in Politik und Medien auswirkt, bleibt abzuwarten.
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