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Recht auf Bildung in NiedersachsenMädchen kann nicht zur Schule

Eine Mutter kann ihre Tochter nicht für die 5. Klasse anmelden, weil das Sorgerecht fehlt. Das Landesschulamt sieht rechtlich keine Möglichkeit.

Wie andere Kinder auch mit Freunden zur Schule gehen: Emma (Name geändert) kann das bislang nicht Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Hamburg taz | In Hannover kann eine Zehnjährige nicht die 5. Klasse besuchen, weil ihrer Mutter das für die Anmeldung nötige Sorgerecht fehlt. Stattdessen wird das Mädchen zu Hause von der Mutter unterrichtet.

Dem Fall geht ein mehrjähriges Drama voraus. Die Eltern hatten sich 2018 getrennt und zunächst eine Zeit lang versucht, Emma (Name geändert) und ihre jüngere Schwester im Wechselmodell zu betreuen. Als dies scheiterte und die Kinder sich weigerten, den wöchentlichen Wechsel mitzumachen, erwirkte der Vater vor Gericht einen Herausgabebeschluss und erhielt das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht. Mit der Folge, dass die damals achtjährige Emma im Januar 2020 auf dem Gelände ihrer Grundschule mit Polizeigewalt von ihrer Mutter Anette W. getrennt wurde.

Das Amtsgericht Hannover und das Oberlandesgericht Celle beschäftigten sich in mehreren Verfahren mit dem Fall und kamen stets zu dem Schluss, dass die Mutter die Verantwortung für die Ereignisse trug.

Das Sorgerecht wurde dem Vater zugesprochen, bei dem die Mädchen auch leben sollten. Nur lief Emma von ihrem dortigen Zuhause weg. Seit Juni 2021, also seit über einem Jahr, lebt sie auf eigenen Wunsch im Haushalt der Mutter. Weil sie Angst hatte, abermals von der Polizei aus der Grundschule geholt zu werden, behielt ihre Mutter sie zu Hause und unterrichtete sie im Homeschooling. Ein Kinderpsychiater schrieb sie krank.

Oberlandesgericht muss noch entscheiden

Das Mädchen liest viel, kann rechnen und schreiben, das bestätigt auch ein lerntherapeutisches Gutachten. Im Mai dieses Jahres versuchte W., ihre Tochter für die 5. Klasse einer Gesamtschule anzumelden, die auch viele ihrer Grundschul-Freundinnen ab Sommer besuchten wollten. Doch die Schule lehnte die Anmeldung ab, weil die Mutter kein Sorgerecht hat. Auch ihr Antrag bei Gericht, die Schulanmeldung zu erlauben, wurde abgelehnt.

Die Sache beunruhigt auch das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin, also die Anwältin des Kindes vor Gericht. Beide sahen offenbar in dem fehlenden Schulbesuch eine Gefährdung. Bei einem Termin Ende Juni beim Amtsgericht Hannover wurde die Lage erörtert. Die Mutter beantragte dort, ihr die elterliche Sorge für schulische und gesundheitliche Belange zu übertragen.

Außerdem möge das Gericht eine Regelung treffen, die es dem Kind ermöglicht, an einem Test in der Behörde teilzunehmen, bei dem sie ihre Schulfähigkeit für die 5. Klasse nachweisen kann. Auch die Verfahrensbeiständin drängte offenbar darauf, dass Emma in die 5. Klasse gehen kann. Sie halte sie dafür für geeignet und es sei auch deren Wunsch.

Der Vater indes soll dagegengehalten haben, die Grundschule habe ihm gesagt, dass seine Tochter die vierte Klasse wiederholen müsse und deshalb eine Anmeldung an einer weiterführenden Schule nicht infrage komme. Er und sein Anwalt reagierten nicht auf Anfragen.

Das Gericht folgte dem Antrag des Vaters und lehnte die Anträge der Mutter ab. Diese sei weiter nur stark eingeschränkt erziehungsfähig. Gegen diesen Beschluss legte die Anwältin des Kindes Anfang September Beschwerde ein. Müsse man doch das Mädchen dringend in einer 5. Klasse bei ihren Freundinnen unterbringen, um sie zu stabilisieren. Die Mutter sollte das Sorgerecht erhalten und das Jugendamt eine „Ergänzungspflegschaft“ erhalten.

Nun sind bald Herbstferien in Niedersachsen und Emma hat noch immer keinen neuen Schulplatz. Das Oberlandesgericht Celle teilt auf Nachfrage mit, dass die Beschwerden dort eingegangen seien, die Sache aber noch nicht entschieden sei.

Die bisherige Rechtsprechung des dort zuständigen Senats lässt wenig hoffen. In den Beschlüssen, die teils anonymisiert auf der Website juris.de zu lesen sind, wird stets der Mutter die Schuld für alle Zuspitzungen gegeben. Ihr Anwalt Stefan Nowak spricht gar von „Schwarz-Weiß-Denken, mit dem der Kindeswille gebrochen werden soll“. Statt zu sehen, dass die Zehnjährige aus guten Gründen und eigenem Willen zur Mutter ging, würde der Mutter sogar unterstellt, das sie ihr Kind entführt habe. Dabei sei Emma in einem Alter, in dem ihr Wille vor Gericht berücksichtigt werden muss. „Dazu gibt es höchstrichterliche Rechtssprechung“, so Nowak.

Keine Ausnahme wie für Kinder ohne Papiere

Es könnte sein, dass dieses Schulproblem kein Einzelfall ist. Denn laut Statistik des Landeskriminalamtes (LKA) waren zum Stichtag 10. Oktober 2022 in Niedersachsen 103 Kinder mit dem Motiv „Kindesentziehung“ in der Vermisstendatei erfasst. Es handele sich dabei sowohl um Entziehungen zum Nachteil eines sorgeberechtigten Elternteils als auch um Fälle, bei denen Eltern ihre Kinder vor dem Sorgerechtsentzug des Jugendamtes an einen nicht bekannten Ort bringen. Sofern diese Kinder zur Schule gingen, so das LKA, handele es sich nicht mehr um einen Vermisstenfall nach Polizeidienstvorschrift. In die Statistik kämen nur jene, deren Aufenthalt unbekannt ist.

In einer ähnlichen Konstellation, bei Kindern von Eltern ohne legalen Aufenthalt, ist seit einigen Jahren die Rechtslage so geändert worden, dass die Kinder auf jeden Fall zur Schule gehen können. In allen 16 Bundesländern sind die Schulen verpflichtet, Schüler auch ohne Meldebestätigung aufzunehmen. Motto: Es darf nicht an Papieren scheitern.

Doch nach Auskunft der Stadt Hannover ist dieser Ansatz nicht auf den Fall Emma übertragbar. Eltern könnten ihre Kinder ohne Papiere anmelden, sofern sie denn sorgeberechtigt sind, sagt eine Sprecherin. Die Anmeldung an eine weiterführende Schule sei eine „Angelegenheit von wesentlicher Bedeutung“, erläutert auch Bianca Trogisch, Sprecherin des Regionalen Landesamtes für Schule und Bildung (RLSB) in Lüneburg. Dies dürften nur die Sorgeberechtigten tun. „Die Schulen haben da keinen Entscheidungsspielraum.“ Das ergebe sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem niedersächsischen Schulgesetz. Die Mutter könnte allenfalls bei Gericht eine Änderung des Sorgerechts oder eine Einzelfallentscheidung für den Schulbesuch beantragen.

Der Soziologe Wolfgang Hammer, der kürzlich mit der Studie „Familienrecht in Deutschland“ eine kritische Debatte um die Praxis der Familiengerichte anstieß, sieht indes in der Schulfrage für Kinder, die bei nicht-sorgeberechtigten Eltern leben, ein „strukturelles Problem, das bisher kaum wahrgenommen wird“. Es müsse, sagt er, eine landesrechtliche Lösung geben, „um den Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen“.

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9 Kommentare

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  • Der Fall zeigt, welch schlimme Folgen es haben kann, wenn man die Verantwortung für Entscheidungen an Leute überträgt, die unfähig sind ganzheitliche Entscheidungen zu treffen. Wenn Beamte zu ignorant sind, um zu erkennen, dass das Wohl des Kindes den absoluten Vorrang hat, dann sind die zwar

  • Die Mutter hat das Kind ein Jahr lang ihrem Freundeskreis in der 4. Klasse ferngehalten.

    Jetzt den Freundeskreis vorzuschieben, wirkt in der Verkürzung im Artikel nicht aufrichtig.

    Um irgendwas hier zu entscheiden, bräuchte es Hintergrundinformationen. Recherche: Was ist eigentlich im Interesse des Kindes?

    In mehreren Verfahren wurde festgestellt, dass die Mutter "die Verantwortung für die Ereignisse trug". Wenn die Gerichte hier falsch entschieden haben, dann ist das der Stoff für einen Artikel.

    Und wenn nicht? Falls die Gerichte recht haben und die Mutter das Kindswohl gefährdet, der Vater aber nicht — oder falls die Mutter Druck auf das Kind ausübt — was wäre dann ein aufrichtiger Artikel dazu?

    Solange keine Fehler der Gerichte festgestellt werden, ist der Artikel hier unschön.

  • Wenn man das Kind bei der Mutter belässt muss man ihr das Sorgerecht geben tut man dies nicht muss man es von der Mutter entfernen, diese Lösung macht nur Probleme. Es kann dich nicht sein das die Person die sich um das Kind kümmert keine Entscheidungen treffen kann. Gleichzeitig hat der Vater das Kind für eine 4te Klasse Wiederholung angemeldet? Warum wurde der Mutter kein Sorgerecht zugestanden? Irgendwie habe ich jetzt mehr Fragen als vor dem Lesen des Artikels.

  • Doch nach Auskunft der Stadt Hannover ist dieser Ansatz nicht auf den Fall Emma übertragbar. Eltern könnten ihre Kinder ohne Papiere anmelden, sofern sie denn sorgeberechtigt sind, sagt eine Sprecherin.



    .



    Das ist Juristenlogik die Ich nicht verstehe!



    Wie können Eltern, Vater oder Mutter denn OHNE Papiere nachweisen, das SIE das Sorgerecht besitzen?



    .



    Kopfschüttelnd Sikasuu

  • Hmm... Also alle Behörden, die kein eigenes Interesse an dem Kind haben und damit halbwegs objektiv sind, sagen, der Vater soll sich um das Kind kümmern und sie soll die 4. Klasse wiederholen. Die Mutter sucht nun offensichtlich den Weg in die Presse. Der Vater lehnt diesen Weg ab und möchte nicht, dass alle über den Fall seiner Tochter in der Zeitung lesen. Denn - machen wir uns nichts vor - wenn jemand auch nur einen Teil der Familie kennt, kann er jetzt alles zuordnen, nachlesen und verbreiten.

    Der Vater scheint hier nicht unbedingt der Böse zu sein, was ja in dem Artikel unterschwellig angedeutet wird. Und die Überschrift stimmt auch nicht: Das Mädchen kann zur Schule nur weigert sich die Mutter sie in die Schule zu tun, die alle anderen für richtig halten.

    • @Strolch:

      welche Schule die Richtige ist, ist doch komplett unklar.

      Grundsätzlich ist es schon besser, sie kommt zu ihren Freundinnen, wenn sie mit dem Stoff mitkommt.

      Die 5. baut nicht direkt auf der 4. auf, da ohnehin unterschiedliche Schulen, wo genau sie den Stoff der 4. gelernt hat ist also nicht so wichtig WENN sie ihn gelernt hat.

      Der Aufnahmetest würde diesbezüglich Klarheit schaffen.

  • Wenn es nicht so traurig wäre könnte ich mich ausschütten vor Lachen !!!!

    Mittlerweile hat sich sogar unsere so gepriesene Bürokratie kaputtmanövriert.



    Unter Fußballern würde man wohl von "ausgetanzt" sprechen ...

    "Jetzt muss das Oberlandesgericht entscheiden"



    Ich weiß ja nicht, wer da im Vorfeld so rumgetrödelt hat, aber wir haben Mitte Oktober. Wann beginnt nochmal das Schuljahr in Hannover ?

  • Sonst wiegt die Schulpflicht auch stärker in diesem Fall scheint sie egal zu sein. Oder hat der Vater wenigstens das Kind für die 4. Klasse angemeldet welche sie "wiederholen" soll?

    • @pablo:

      Sie wurde doch bei der Schule offensichtlich angemeldet: als sie dort in der 1. Klasse angefangen hat.

      Hätte der Vater sie in dem Wohnort der Mutter melden sollen, dem weder er noch das Gericht zugestimmt haben?