Studie über Trennungspolitik: Kinderfeindliche Justiz

Eine Studie kritisiert die Praxis der Gerichte und Jugendämter. Ideologische Doktrin führe dazu, dass Kinder ihren Müttern weggenommen werden.

Drei Paar Schuhe: Frauenturnschuhe, Männerturnschuhe und Kinderschuhe

Gerichtsverfahren belasten vor allem die betroffenen Kinder Foto: Thoams Trutschel/photothek/imago

HAMBURG taz | Ideologische Vorstellungen unter Richtern, Anwälten und Jugendämtern würden dazu führen, dass man Kinder zu Unrecht von ihren Müttern trennt. Davor warnt der Soziologe Wolfgang Hammer in der Studie „Familienrecht in Deutschland“, die auf über 1.000 Fällen basiert. Der Hamburger Forscher kritisiert zudem zu lange und belastende Gerichtsverfahren. Beides schade den betroffenen Kindern.

Die Studie wirft einen Blick auf die Rechtsprechung der vergangenen 20 Jahre, innerhalb derer das „Kindschaftsrecht“ reformiert und unter anderem das gemeinsame Sorgerecht von Mutter und Vater als Regelfall festgelegt wurde. Faktisch stieg die Zahl der Sorgestreite stark an, in Ostdeutschland seit 2010 sogar um über 50 Prozent. Etliche der Fälle gelten als „hochkonflikthaft“.

An Hammer wandten sich seit 2013 mehr und mehr alleinerziehende Mütter, die ad hoc von ihren Kindern getrennt wurden. In 90 Prozent der 692 von ihm überprüften Fälle wurden aufgrund „mangelnder Erziehungsfähigkeit“ veranlasste Inobhutnahmen mit einer „zu engen Mutter-Kind-Bindung“ begründet. Das sei aber kein Grund für eine Kindeswegnahme, sagt Hammer, der selber früher leitend in einer Behörde tätig war und die Studie mit zwei Wissenschaftlerinnen schrieb.

Besonders alleinerziehenden Mütter seien gefährdet

Das Team analysierte zudem 90 Verfahren, die von 1998 bis 2021 vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden wurden. Dort zeige sich, wie die Lebensmodelle von Kindern, die gesund und in Kita oder Schule gut integriert waren, durch richterliche Anordnung von „Inobhutnahmen, Umplatzierungen und Wechselmodellen aller Art“ aufgelöst wurden. In der Folge würden die Kinder häufig auffällig und entwickelten Störungen.

Alleinerziehende Mütter, so Hammers Fazit, wären im Umgang mit dem Jugendamt „erheblichen Risiken“ ausgesetzt. Auch das Umfeld der Familiengerichte sei durch „Lobbyorganisationen“ beeinflusst. Deren Narrative hätten sich, obwohl wissenschaftlich nicht haltbar, zu einer „Doktrin“ in Aus- und Fortbildung entwickelt. So werde gestreut, dass Mütter ihre Kinder von Vätern „entfremden“, sie nur Kinder und Geld wollten und sogar Gewalt und Missbrauch erfänden. Zudem werde verbreitet, einzig eine „50:50-Aufteilung“ der Betreuungszeit lasse Kinder gesund aufwachsen. Hier werde der Anspruch der Gleichberechtigung missbraucht und die Besonderheit der Mutter-Kind-Beziehung marginalisiert.

Wechselmodell berge Gefahren

Doch ein von Richtern angeordnetes Wechselmodell bedeute für ein Kind „Entwurzelung“ und könne zum Martyrium werden. Leider habe sich eine „quantitative Elterngerechtigkeit“ zum Maßstab für das Kindeswohl entwickelt. Dabei sei ein Kind kein „teilbares Objekt“. Fifty-fifty-Modelle funk­tio­nierten nur freiwillig.

Zu „Umplatzierungen“ der Kinder komme es sogar in Fällen mit gewalttätigen Vätern. Selbst in Fällen mit Pädophiliehintergrund werde vom „Elternkonflikt“ gesprochen. Es sollen sogar in 38 Fällen Jugendamt und Familiengericht vertreten haben, dass Väter Verantwortungsbewusstsein zeigten, da sie nur ihre Frauen schlugen, nicht aber ihre Kinder.

Es hätten sich Subsysteme bei Gericht gebildet. Dort entscheide nicht das Gesetz, sondern die Auswahl von Richtern, Gutachtern und Beiständen über das weitere Leben der Kinder. Denn auch die Aus- und Fortbildung sei einseitig, laut in der Studie zitierten Materialien werden Mütter etwa als „Kinderbesitzerinnen“ mit „Verfügungsgewalt“ bezeichnet, Eltern als „entgleist“ und „nicht geschäftsfähig“ entwürdigt.

Die Studie wird vom Verband Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) und der Mütterinitiative Alleinerziehender (MIA) unterstützt. Die Publikation fördert die Stiftung „Alltagsheld:innen“. Sie sei ein „gut belegter parteilicher Aufschrei“, sagt Kinderpsychiater Jörg Fegert von der Uni Ulm, dem die Studie vorab vorlag. In Deutschland würden seit Jahren empirisch nicht abgesicherte Konstrukte wie das Parental-Alie­nation-Syndrom in tendenziösen Gutachten und Gerichtsentscheidungen eingesetzt.

Die VAMV-Vorsitzende Daniela Jaspers fordert eine Enquete-Kommission im Bundestag, um aufzuklären, was schiefläuft. Nötig sei zudem zertifizierte Fortbildung, um Neutralität zu sichern. Die MIA-Vorsitzende Sybille Möller ergänzt, die Kinder gefährdende Dynamik beginne bereits „mit der Beratung in Jugendämtern“. Da die Ampel plant, diese Beratung einheitlich auf das Wechselmodell auszurichten, fürchtet sie eine „weitere Verschärfung“.

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