Reaktionen auf Londons Brexit-Vorschläge: Der große Knall rückt näher

Ob Brüssel und London sich noch auf ein Brexit-Abkommen verständigen, wird nicht an den Inhalten liegen. Sondern an der politischen Stimmung.

Bild von Premierminister Boris Johnsom

Fordert Zugeständnisse in Brüssel: der britische Premierminister Boris Johnson Foto: ap

Ob der jetzt vorgelegte abschließende Vorschlag Großbritanniens zur Reform des bestehenden Brexit-Abkommens mit der EU sinnvoll und praktikabel ist oder nicht, mögen Handelsexperten beurteilen.

Journalisten täten gut daran, sich mit schnellen Urteilen zurückzuhalten. Reflexartige Zurückweisungen nach dem Muster, dass alles aus dem Hause Boris Johnson sowieso nur Quatsch sein kann, sind genauso unseriös wie leichtfertige Zusagen, alle Unklarheiten ließen sich irgendwann irgendwie beseitigen, Hauptsache der Brexit kommt am 31. Oktober. Man muss eine Verhandlungsgrundlage, die wichtige Fragen scheinbar elegant umschifft, nicht für genial halten – man sollte sie aber auch nicht dafür kritisieren, dass sie noch kein Verhandlungsergebnis ist.

Ob Brüssel und London sich jetzt auf ein Brexit-Abkommen verständigen, das auch in den Parlamenten beider Seiten auf Zustimmung stößt, wird nicht an den genauen Inhalten liegen, sondern an der politischen Stimmung. Die EU ist – siehe der Umgang mit Haushaltsdefizitsündern oder mit Gesetzesbrüchen durch ihre eigenen Verantwortlichen – ein Meister darin, beide Augen zuzudrücken und fünfe gerade sein zu lassen, solange die Richtung zu stimmen scheint.

Sie ist auch – siehe der Umgang mit Griechenland in der Eurokrise, mit der Schweiz in den aktuellen Binnenmarktverhandlungen oder mit sich selbst in der Flüchtlingspolitik – in der Lage, bedenkenlos ihre eigenen Regeln und Grundsätze über Bord zu werfen und auf stur zu schalten, wenn es darum geht, einen Gegner auflaufen zu lassen.

Großbritannien ist für die EU derzeit eher Gegner als Partner. Wenn sie wollte, könnte die EU jedes noch so lückenhafte und widersprüchliche Brexit-Modell zum Erfolg erklären. Da sie aber nicht will, kann alles noch so genau austariert sein, und es wird trotzdem nie gut genug sein. Die EU will ein Scheitern des Brexit, um nicht am Sinn ihrer Existenz zweifeln zu müssen. Die britische Regierung braucht den Erfolg des Brexit, um nicht an den eigenen Wählern zu scheitern. Eine Schnittmenge in den Interessenlagen ist da nicht erkennbar, jedenfalls nicht kurzfristig.

Politisch gesehen ist eine gütliche Brexit-Einigung heute nicht wahrscheinlicher geworden. Aber immerhin gibt es jetzt einen Grund weniger, sie für unmöglich zu erklären: Die britische Seite hat geliefert. Europa sollte nachziehen. Und wäre es völlig undenkbar, auf eine neutrale Vermittlung zurückzugreifen, um den großen Knall zu vermeiden? Europa ist doch immer gern zu Ratschlägen an andere Länder und Weltregionen bereit, wenn es um das Beilegen von Konflikten geht. Jetzt bräuchte es selbst welche.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.