Reaktionen auf IGH-Entscheid zu Gaza: Rafah-Offensive und Grammatikstreit
Israel dringt weiter in Rafah vor. Unklar bleibt, ob der Internationale Gerichtshof einen Stopp der gesamten Rafah-Offensive gefordert hat.
Auch im strategisch wichtigen Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten ist das Militär weiter vorgerückt. Nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders Kan 11 News wurden dort Dutzende Tunnel entdeckt, die Ägypten und den Gazastreifen verbinden. Sie sollen von der Hamas zum Schmuggel von Waffen, Munition und Personen genutzt worden sein.
Dass Israel in Rafah weiter militärisch vorgeht, liegt auch am IGH selbst – und dem schwammigen Urteilstext, den sein Präsident Nawaf Salam am Freitag verlas. Die Entscheidung des IGH hatten viele Medien zunächst so interpretiert, dass Israel seine Militäroffensive in Rafah unmittelbar stoppen müsse. Doch der Text ist weniger eindeutig: Israel müsse „die Militäroffensive und jede andere Aktion im Gouvernement Rafah sofort einstellen, die der palästinensischen Gruppe im Gazastreifen Lebensbedingungen auferlegen könnte(n), die ihre physische Zerstörung ganz oder teilweise herbeiführen könnten“.
Von den 15 Richtern stimmten 13 für die Anweisung an Israel. Dabei scheinen selbst die Richter sich nicht einig zu sein, was diese denn bedeutet. Der rumänische Richter Bogdan Aurescu schreibt in seiner Erklärung: Es sei unklar, ob sich der Halbsatz, „die der palästinensischen Gruppe im Gazastreifen Lebensbedingungen auferlegen könnte(n), die ihre physische Zerstörung ganz oder teilweise herbeiführen könnten“, auf die Militäroffensive oder „jede andere Aktion“ beziehe.
Auch die Erklärung des deutschen Richters Gerhard Nolte weist auf diese Problematik hin. Er interpretiert den Text so: Die Anweisung des IGH beziehe sich nur auf Aktionen, die eine solche Situation herbeiführen könnten.
Israel selbst übernimmt das Wording des IGH. Das Außenministerium und der Nationale Sicherheitsrat erklärten in einem gemeinsamen Statement: Israel habe keine militärischen Aktivitäten in der Region Rafah durchgeführt und werde dies auch nicht tun, „die Lebensbedingungen schaffen, die die physische Zerstörung der palästinensischen Zivilbevölkerung im Ganzen oder in Teilen zur Folge haben könnten.“
Südafrika stellt Eilantrag nach Eilantrag
Dass der IGH sich überhaupt mit der Militäroffensive Israels im Gazastreifen befasst, liegt an Südafrika, das Israel im Dezember vor dem IGH Völkermord vorwarf. Ein abschließendes Urteil wird erst in mehreren Jahren erwartet.
Südafrika stellt derweil immer wieder Eilanträge. Einem ersten solchen Antrag folgte Ende Januar eine Anweisung an Israel: Es müsse alles in seiner Macht Stehende tun, um Handlungen, die mit einem möglichen Völkermord in Gaza in Verbindung stehen könnten, zu verhindern. Ein Ende der Kampfhandlungen lehnten die Richter damals ab. Im März folgte eine erneute Anweisung, die vor allem Israels Kooperation zur Bereitstellung humanitärer Hilfe anmahnte.
Die Lage der Menschen im Gazastreifen ist seit Beginn des Kriegs gegen die Hamas – nach deren Attacke auf Israel am 7. Oktober – anhaltend Anlass zur Sorge. Um mehr humanitäre Hilfe leisten zu können, hatten die USA Mitte Mai einen vor der Küste Gazas liegenden, temporären Pier fertiggestellt. Nach heftigem Wellengang wurden Teile des Piers nun aber zerstört und teilweise in Israel angeschwemmt, gemeinsam mit zwei Schiffen, die ihn befestigen sollten. Nach US-Angaben ist der Pier aber weiter funktionstüchtig.
Derweil werden über den Grenzübergang Kerem Schalom wieder mehr Hilfslieferungen abgewickelt. Ägypten hatte seine Lieferung eingestellt, nachdem Israel den Grenzübergang Rafah, der das Land mit Gaza verbindet, erobert hatte. Nach einem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden am Freitag werden die in Ägypten auf Weiterverteilung wartenden Güter nun über den Grenzübergang Kerem Schalom zwischen Israel und Gaza abgewickelt. Nach Angaben verschiedener Medien sind Teile der Hilfsgüter bereits verdorben, wurden entsorgt oder in Ägypten verkauft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene