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Reaktionen auf Coronademo in Berlin„Gefahr für die Allgemeinheit“

Nach dem Protest von 20.000 Coronaskeptiker*innen in Berlin äußern Politiker*innen weiter Unverständnis. Die CDU fordert, solche Demos zu verbieten.

Oder soll man sie lassen? „Coronaskeptiker“ und Polizei am Samstag in Berlin Foto: dpa

Berlin afp/dpa | Nach der Großdemonstration von Coronaskeptikern, Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen am Wochenende in Berlin wird weiter heftig darüber diskutiert, wie solche Vorkomnisse künftig vermieden werden können. Während der Deutsche Städtetag und der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ein hartes Vorgehen gegen Regelbrecher forderten, wurde aus der Union eine Wiederholung von Corona-Großdemonstrationen grundsätzlich infrage gestellt. Der Städte- und Gemeindebund kritisierte das Land Berlin und dessen Vorgehen bei der Demo.

Bei der Demonstration von gut 20.000 Kritikern der Coronapolitik am Samstag in Berlin waren die Auflagen bewusst missachtet worden: Der Mindestabstand wurde nicht eingehalten, kaum jemand trug eine Maske. Neben Coronaleugnern und Impfgegnern waren auch viele Teilnehmer mit eindeutig rechtsgerichteten Fahnen oder T-Shirts in der Menge. Die Kundgebung wurde schließlich von der Polizei aufgelöst.

Die Demonstrationsfreiheit sei „ein besonders wichtiges Rechtsgut“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) der Süddeutschen Zeitung (Montag). Jedoch müssten die Auflagen zur Eindämmung der Pandemie eingehalten werden, um andere nicht zu gefährden. „Mir fehlt jedes Verständnis für Demonstranten, die sich hierüber selbstherrlich hinwegsetzen.“

Ähnlich äußerte sich Städtetag-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagsausgaben). „Aus Demonstrationen heraus dürfen sich nicht neue Corona-Hotspots entwickeln. Es ist unverantwortlich, auf so engem Raum die Regeln und Auflagen nicht einzuhalten.“

Deshalb müssten Bußgelder verhängt werden, wenn Vorschriften bei Demonstrationen missachtet würden, forderte Dedy. „Und es muss darüber nachgedacht werden, wie sich erreichen lässt, dass sich Fehlverhalten von Demonstranten in solchem Ausmaß wie am Wochenende nicht wiederholt.“

Kubicki zeigt Verständnis

Auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach forderte Geldstrafen bei Verstößen der Demonstranten. „Wenn Zehntausende aggressiv dafür werben, Abstandsregeln nicht einzuhalten, dann ist das eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit“, sagte Lauterbach auf NDR Info. Bei Demonstrationen sollte eine Maskenpflicht sowie eine Ausweispflicht verhängt werden, um Bußgelder durchsetzen zu können.

„Natürlich darf man demonstrieren, aber nicht so, dass verloren geht, was in Wochen aufgebaut wurde“, sagte Lauterbach. „Das gefährdet Menschenleben und ruiniert die Wirtschaft.“

Der Unions-Innenexperte Armin Schuster (CDU) bezeichnete in der Rheinischen Post Demonstrationen wie in Berlin als „eine Gefahr für die Allgemeinheit“. Seiner Meinung nach wäre es verhältnismäßig, die Versammlungen „nur noch unter sehr viel strengeren Auflagen oder gar nicht mehr zu genehmigen.“ Das offen zur Schau gestellte Nichteinhalten von Coronaregeln, die Attacken auf Medienvertreter und immer wieder unfriedliche Auseinandersetzungen mit der Polizei rechtfertigten schon im Vorfeld ein „deutlich konsequenteres Vorgehen der Versammlungsbehörden“.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sagte am Sonntagabend im Bild-Live-Talk „Die richtigen Fragen“: „Ich verstehe nicht, warum Berlin nicht viel schärfere Auflagen für die Demonstration erlassen hat.“ Für Ungeduld in der Bevölkerung angesichts der Coronabeschränkungen zeigte Landsberg zugleich Verständnis: „Es ist ein Marathonlauf – und da die Disziplin zu behalten, ist schwer.“

Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki zeigte in der Sendung Verständnis für die Demonstranten. Er sei sich sicher, dass unter Demonstranten „eine Menge Leute dabei waren, die für uns nicht verloren sind, die einfach verzweifelt sind, weil sie nicht mehr wissen, warum diese Maßnahmen umgesetzt werden“, sagte der FDP-Vizechef. „Die Politik hat versäumt, den Menschen genau zu erklären, was eigentlich das Ziel der gesamten Maßnahmen ist.“

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13 Kommentare

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  • Paula , Moderatorin

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  • Das allgemeine Recht auf Gesundheit sollte klare Priorität haben gegenüber dem Partikularwunsch einiger Grüppchen nach zwanghafter Rudelbildung in der Öffentlichkeit.

  • Wer sich etwas umsieht, wird feststellen, dass eigentlich so gut wie überall mehr oder weniger gegen die Coronaregeln verstoßen wird.



    Deshalb sollte man nicht gerade bei der Demonstration als eine der wichtigsten demokratischen Errungenschaft anfangen, die Coronaregeln mit Gewalt durchzusetzen.

  • Wenn eine Demo quasi explizit ankündigt, bzw. es der offenkundige Zweck ist, massenhaft gegen die Auflagen zu verstoßen, sollte sie selbstverständlich vorab verboten werden. Hat irgendwer allen Ernstes erwartet, dass diese Leute "das Ende der Pandemie" mit Abstand und Masken "ausrufen" würden?

  • Das Tragen eines Mundschutzes beim Einkaufen und in den Öffis und der vorübergehende Verzicht auf Großveranstaltungen, treibt die Menschen in die Verzweiflung? Ich glaube eher, Kubicki ist verzweifelt über die Umfragewerte der FDP.

  • Ich bin ja nicht unbedingt ihrer Meinung, aber ich denke, dass die Presse gegenüber Corona-Politik-Gegnern zu sehr polarisiert. Da sind durchaus Leute dabei, die auch berechtigte Bedenken haben und eben nicht bloß Spinner und Nazis. Ich habe den Eindruck, dieses Bild wird in der Presse verzerrt (ich meine bei weitem nicht nur die TAZ, die eher weniger).



    Aber ein Demonstrationsverbot gibt ihnen meiner Meinung nach quasi recht: der Staat verbietet dann Meinungsäußerungen, die ihm nicht passen. Das geht gar nicht!



    Und was sind 20000, die den Mut haben für ihre unpopuläre Meinung auf die Straße gehen und - ehrlich gesagt - demokratisches Verständnis und Interesse zeigen, gegen die vielen Millionen, die achtlos die Regeln einfach so brechen. Denn das ist meine Erfahrung: sehr viele Menschen geben inzwischen einen Scheiß auf Maske und Abstand. Ganz ohne politische Äußerung.

    • @Jalella:

      Was wären denn diese berechtigten Bedenken?



      Zur Erinnerung: die Zahlen steigen schon wieder und da die finanziellen Reserven bei Staat und Unternehmen bereits stark angegriffen sind haben die sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer zweiten Welle das Potential viel verheerender zu sein als das was wir bisher haben erdulden müssen.



      Und wenn die Presse die Protestierenden als Skeptiker*innen (Skepsis meint ja Dinge kritisch, aber eben auch ergebnisoffen, zu hinterfragen, nicht aber evidente Tatsachen pauschal zu verwerfen weil sie nicht ins eigene Bild passen), dann ist das mE schon eine sehr wohlwollende, eigentlich schon euphemistische, Berichterstattung.



      Weder der Artikel noch irgendjemand der zitierten Politiker*innen hat ein Demonstrationsverbot gefordert, sondern Auflagen für die Durchführung dieser (was auch schon vor Corona übliche Praxis bei Demos war zB maximale Länge von Seitentransparenten, ...) und ggf. Sanktionierung von Verstößen gegen Hygiene- und Abstandsregelen, was auch abseits von Demonstrationen möglich ist.

    • @Jalella:

      "... 20000, die den Mut haben für ihre unpopuläre Meinung auf die Straße gehen und ..."

      Diese 20000 hätten ihren Mut mal beweisen können, als in Norditalien die Scheisse am dampfen war. Als in Madrid strengstes Lockdown galt, weil die Gesundheitssysteme kaputtgespart waren (hallo, Schäuble?).

      Nein, die Knochenarbeit wird den unterbezahlten Leuten im Gesundheitssystem überlassen.

      Diese "mutigen 20000" sind in meinen augen nur eins: infantil.

      "Merkel, mach' Corona weg".

    • @Jalella:

      Interessant finde ich auch, dass bei Demos, wo ein paar Rechtsextreme (rechts und rechtsextrem zwei unterschiedliche Dinge!) mitmarschieren, alle Teilnehmer direkt in Bausch und Bogen verdammt werden (auch wenn das Nichteinhalten von einfachen, grundlegenden Schutzmaßnahmen wahrlich eine grobe Fahrlässigkeit darstellt). Ich konnte das in den Anfangszeiten von Pegida sehen: wenn ich Livestream und Berichterstattung verglichen habe, müsste es sich um völlig verschiedene Demonstrationen gehandelt haben muss, wenn Zeit und Ort nicht identisch gewesen wären (ja ja, der Konjunktiv). Das hat bestimmt ebenfalls zur Radikalisierung von Pegida beigetragen (was definitiv keine Entschuldigung ist). Noch interessanter: Bei Demos gegen rechts werden die Radikalen und Intoleranten geduldet und niemanden störts. Völlig unnötiges Futter für Rechtsextreme.

      • @Luftfahrer:

        "Ein paar Rechtsextreme"

        Sie meinen, die Orga-Teams? Die Sprecherinnen und Sprecher?

        Ach so.

      • @Luftfahrer:

        Ich bitte um Vergebung für die fürchterliche Grammatik im Satz:



        wenn ich Livestream und Berichterstattung verglichen habe, müsste es sich um völlig verschiedene Demonstrationen gehandelt haben muss, wenn Zeit und Ort nicht identisch gewesen wären (ja ja, der Konjunktiv).



        Korrektur:



        wenn ich Livestream und Berichterstattung verglichen habe, müsste es sich um völlig verschiedene Demonstrationen gehandelt haben, wenn Zeit und Ort nicht identisch gewesen wären (ja ja, der Konjunktiv).

    • @Jalella:

      "Da sind durchaus Leute dabei, die auch berechtigte Bedenken haben und eben nicht bloß Spinner und Nazis."

      Naja, diese Leute sollten aber vielleicht auch zu der Erkenntnis kommen, dass es für ihre Zielen nicht hilfreich ist, sich mit Spinnern und Nazis gemein zu machen und zum nächsten Mal vielleicht eine eigene Demonstration planen, in denen sie ihre Forderungen auch artikulieren und Gehör finden können. Die haben letztendlich ja auch nichts davon, wenn ihre Message durch Verschwörungsspinner und Nazis übertönt wird.

    • @Jalella:

      Umgekehrt wird ein Schuh draus: wenn man schon bei VORSÄTZLICHEN massenhaften Regelverstößen (und natürlich waren die Verstöße vorsätzlich, was denn sonst?) nicht durchgreift, dann signalisiert man der großen Mehrheit, dass man es bei Alltagsverstößen auch nicht tun wird, man die Regeln also ignorieren kann.