CDU-Politiker verteidigt Corona-Demo: „Dreiste Kleinrechnung“
Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz wirft der Polizei DDR-Methoden vor. Es ist nicht das erste Mal, dass er mit fragwürdigen Thesen auffällt.
Der 64-jährige Christdemokrat, der seit 1998 für den Wahlkreis Dresden im Bundestag sitzt und seit 2002 Fraktionsvize ist, hat im rechtskonservativen Onlinemagazin Tichys Einblick einen Gastbeitrag geschrieben. Darin beschäftigt er sich mit der großen Anti-Corona-Demo vom vergangenen Wochenende in Berlin. Sein zentraler Vorwurf: „Regierungen und Medien“ würden die Teilnehmer pauschal diffamieren.
Was er aber vor allem tut: Er vergleicht den Umgang mit dieser Demonstration heute mit DDR-Zeiten. So wirft er „Regierungen und Medien“ vor, beim Umgang mit der Pandemie mit „zweierlei Maß zu messen“ − hier die Guten, die gegen Rassismus demonstrierten und sich an die Hygieneregeln hielten, dort die Demo gegen die Corona-Auflagen, die „allgemein verflucht wurde“. Dass bei letzterer die Teilnehmer jegliche Abstands- und Mundschutzregeln bewusst verletzten, scheint für Vaatz dabei kaum ins Gewicht zu fallen.
„Gefährlicher Versuch, die Straßen leer zu kriegen“
Zudem schreibt er von einer „dreisten Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen“ durch die Berliner Polizei, was ihn an den Umgang der DDR-Medien mit den Demonstrationen im Herbst 1989 erinnere. Hintergrund dieses Vorwurfs ist, dass die Polizei bei dem Auflauf von Impfgegnern, Verschwörungsmystikern und Rechten etwa 20.000 zählte − während die Initiatoren selbst von 1,3 Millionen Teilnehmern sprachen. Dabei sind sich Experten längst einig, dass die Angaben der Polizei der wirklichen Teilnehmerzahl sehr nahe kommen.
Damals wie heute, so behauptet Vaatz weiter, handele es sich um den „gefährlichen Versuch, die Straßen leer zu kriegen“. Auch bei der Maskenpflicht sieht er eine Parallele zum SED-Staat: Die im Frühjahr zunächst umstrittene Frage, ob eine solche sinnvoll sein, sei so lange verneint worden, bis welche verfügbar waren: „In der DDR streute die Partei: Bananen seien gar nicht so gesund.“ In beiden Fällen sei es darum gegangen, einen Mangel zu verschleiern.
Auch, dass viele Rechtsextreme mit Reichsflaggen bei der Demo zu sehen waren, versucht Vaatz zu relativieren: So würden Teilnehmer „als Nazi diffamiert und damit gesellschaftlich ruiniert.“ Und er zieht hier einen weiteren historischen Vergleich, diesmal zur NS-Zeit: Bei den „Nazis war es Sippenhaft, im Deutschland von heute ist es Kollektivhaft“.
Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Vor allem der Koalitionspartner SPD kritisierte Vaatz. Generalsekretär Lars Klingbeil nannte die Äußerungen „unhaltbar und absurd“. Er forderte die CDU auf, sich davon zu distanzieren. Es sei „eine neue Qualität“, dass aus der Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „mit Verschwörungstheorien auf rechten Blogs gegen unsere Polizei ausgeteilt wird“, sagte er dem Nachrichtenportal t-online. Juso-Chef Kevin Kühnert sprach von „kruden Äußerungen.“
Seine eigene Fraktion geht auf Distanz
Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, nannte Vaatz' Vergleich „infam“. Er denunziere den demokratischen Rechtsstaat und die freie Presse. „Die CDU muss diesem Mist widersprechen“, schrieb er auf Twitter. Das hat sie inzwischen getan, ein Sprecher der Unionsfraktion jedenfalls distanzierte sich von den Aussagen: „Herr Vaatz hat in dem Meinungsbeitrag seine persönliche Auffassung als MdB geäußert – diese spiegelt nicht die Haltung der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag wider.“
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. Mit solchen „zutiefst unqualifizierten Kommentaren“ verschärfe Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz das Reizklima in der Gesellschaft, sagte der stellvertretende GdP-Vorsitzende Dietmar Schilff am Freitag in Hannover. „Verschwörungsfanatiker erhalten dadurch unnötigen Aufwind, und die Infektionsgefahr in unserer Gesellschaft wird alles andere als gebannt.“
Offenbart ungeklärte Richtungsfrage in der CDU
Auch wenn Vaatz als CDU-Politiker bislang nicht sonderlich bekannt ist, ist es nicht das erste Mal, dass der frühere DDR-Bürgerrechtler polarisiert. So nannte er die Energiewende einst ein „sinnloses Experiment“, das ökonomisch „völlig unsinnig sei“. Nachdem der Bundestag vor drei Jahren die „Ehe für alle“ beschlossen hatte, ließ er erklären, dass er sich schäme, „die Lebensauffassungen unserer Vorfahren“ nicht besser verteidigt zu haben. Auch sprach er sich wiederholt gegen eine Verteufelung der AfD aus.
Was die Debatte um Vaatz aber vor allem offenbart: Nach wie vor ist der Umgang der ostdeutschen CDU mit den Parteien links wie rechts der politischen Mitte ungeklärt. Die Corona-Krise hat das völlig überdeckt, dabei hat der fehlende Kompass die Partei Anfang des Jahres in eine tiefe Sinn- und Umfragekrise geführt.
Auslöser war damals die Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten. Unionsabgeordnete hatten damals gemeinsam mit FDP und AfD für Kemmerich gestimmt. Die Thüringer CDU stand kurz vor der Spaltung. Die Verwerfungen führten schließlich dazu, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug als Parteichefin ankündigte.
Wie umgehen mit der AfD? Spätestens wenn die CDU im Dezember ihren Vorsitzenden ins Amt gewählt hat, dürfte das Thema wieder hoch kochen. Zumal es schon im Frühsommer 2021 zur neuerlichen Feuerprobe kommen dürfte: Dann wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Die Mehrheitsverhältnisse dort dürften – ähnlich wie in Thüringen – kompliziert werden. Zugleich ist es jener CDU-Landesverband, in dem viele Christdemokraten einer Zusammenarbeit mit der AfD recht offen gegenüberstehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung