Reaktion auf Ernährungskrise: Argentinien erlaubt neuen Genweizen
Buenos Aires hat den Handel und Anbau einer genmanipulierten Weizensorte genehmigt. Einige Länder haben bereits deren Import zugesagt.
Bisher war in Argentinien nur die Weiterverarbeitung und der Konsum von Mehl aus genmanipuliertem Weizen zugelassen, aber nicht der Verkauf von Saatgut. Dessen Aussaat war zwar in geringem Umfang möglich, aber an strenge Auflagen gekoppelt. Schätzungen gehen davon aus, dass bisher 150.000 Tonnen des Genweizens geerntet wurden – eine verschwindend geringe Menge im Vergleich zu den jährlich 150 Millionen Tonnen Weizen, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden. Argentinien trägt dazu als siebtgrößter Exporteur rund 14 Millionen Tonnen bei. Der größte Teil der Exporte geht dabei in die südamerikanischen Nachbarländer, vor allem nach Brasilien.
Bei der genetischen Veränderung handelt es sich um die sogenannte HB4-Technologie. Dabei wurde dem Weizengenom ein Sonnenblumen-Gen eingesetzt, das in Trockenperioden bis zu 20 Prozent höhere Erträge ermöglichen soll als konventioneller Weizen. Die erfolgreiche Manipulation ist der Biochemikerin Raquel Chan und ihrem Instituto de Agrobiotecnología del Litoral in der zentralargentinischen Stadt Santa Fe sowie der argentinischen Wissenschaftsbehörde Conicet zu verdanken.
Chan ist es auch gelungen, das Sonnenblumen-Gen in das Soja-Genom einzusetzen. China hatte Ende April den Import von HB4-Soja genehmigt und reihte sich damit nach den USA, Kanada, Paraguay und Brasilien in die Liste der Staaten ein, in denen der Anbau und die Vermarktung von HB4-Soja Hecho en Argentina genehmigt ist und die zusammen rund 85 Prozent der weltweiten Produktion ausmachen.
Landwirte und Exporteure befürchten Umsatzeinbußen
Treibende Kraft bei der Kommerzialisierung und einziger Hersteller von HB4-Weizensaatgut ist das argentinische Gentech-Unternehmen Bioceres. Dabei kann das 2001 gegründete Unternehmen auf einen reichen Erfahrungsschatz setzen. Zu den Firmengründern gehören einige der Pioniere des Gensojaanbaus in den 1990er Jahren. Doch anders als bei Gensoja, das Argentiniens Felder ab der Jahrtausendwende nahezu widerstandslos eroberte, stößt der Anbau von Genweizen bei Landwirten und Exportfirmen auf Ablehnung. Sie richtet sich jedoch nicht gegen die Genmanipulation als solche. Befürchtet werden Umsatzeinbußen durch Importverbote in den Käuferländern wegen möglicher Kontaminierungen der konventionellen Weizensorten bei einem freien Anbau von HB4-Weizen.
Entsprechend groß ist die Aufregung bei den Exportunternehmen und den Weizenproduzierenden. „Wir werden kein einziges Korn HB4-Weizen beim Verladen akzeptieren, das auf dem Markt auf absolute Ablehnung stößt“, wetterte der Vorsitzende des argentinischen Getreideexportzentrums (CEC), Gustavo Idígoras, gegen die Genehmigung. Nicht anders ist der Tenor beim Gros der Weizenanbauenden.
Die Bioceres-Lobbyist*innen haben denn auch gezielt die Genehmigungsbehörden in den Abnehmerländern im Visier. Je mehr Länder die Einfuhr und den Konsum von transgenem Weizenmehl genehmigen, desto geringer wird der heimische Widerstand, so das Kalkül. Bisher waren sie in Brasilien und – vergangene Woche – in Australien und Neuseeland erfolgreich. In den drei Ländern ist der Import und die Verwendung von Mehl aus HB4-Weizen genehmigt, aber nicht der Verkauf und Anbau von HB-4-Saatgut. Auch der EU liegt der entsprechende Genehmigungsantrag vor.
Um die Wogen in Argentinien zu glätten, hat Bioceres angekündigt, den Verkauf von HB4-Weizensaatgut mit besonderen Verträgen auf rund 250 ausgewählte Betriebe zu beschränken. Nach dem Anbau muss die gesamte Ernte beim Saatguthersteller abgeliefert werden. Was Bioceres damit als Präventionsmaßnahme gegen eine Vermischung mit konventionellen Weizensorten preist, soll vor allem verhindern, dass die Landwirte einen Teil der Ernte als Saatgut zurückbehalten. Eine gängige Praxis, die vom nationalen Saatgutgesetz abgedeckt ist, die aber für die Saatgutfirmen nicht nur Umsatzeinbußen bedeutet, sondern auch die alleinige Verfügung über die Patente der Genmanipulation untergräbt.
Bei all dem Gerangel um die Dürreresistenz geht unter, dass dem HB4-Weizen auch das Resistenz-Gen gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium eingebaut wurde. Die Wirkung von Glufosinat-Ammonium wird als toxischer eingestuft als Glyphosat, gegen das nach seinem jahrzehntelangen Einsatz zahlreiche Wildkräuter resistent sind. Statt „Roundup Ready“ könnte zukünftig „Basta“ versprüht werden. Beide vertreibt die Bayer AG.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich