Razzien gegen Zivilorganisationen in Westbank: Anrufe vom Geheimdienst
Israel schließt Büros palästinensischer NGOs in der Westbank und wirft ihnen Terrorfinanzierung vor. Nun soll der Geheimdienst Shin Bet gedroht haben.
Es war das erste Mal, dass auf Worte Taten folgten. Denn die Auseinandersetzungen um die Arbeit verschiedener palästinensischer Nichtregierungsorganisationen gärt schon lange und könnten explosiver kaum sein: Für die einen versucht Israel die Menschenrechtsarbeit in den palästinensischen Gebieten zu unterbinden und diese zum Schweigen zu bringen. Andere, unter ihnen das israelische Verteidigungsministerium, sehen in den NGOs Geldgeber für Terroristen.
Bereits im vergangenen Oktober hatte der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz sechs palästinensische Nichtregierungsorganisationen zu Terrorgruppen erklärt.
Al Haq ist die prominenteste unter ihnen. Sie dokumentiert Verstöße gegen Menschenrechte. Andere, wie die NGO Adameer, bieten politischen Gefangenen Rechtsbeistand oder setzen sich, wie die palästinensische Sektion von Defense for Children International, für den Schutz von Kinderrechten ein.
Sollen Arm der Volksfront zur Befreiung Palästinas sein
Doch laut israelischem Verteidigungsministerium agieren die Organisationen auch als Arm der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), welche in der EU, den USA und in Israel auf der Terrorliste steht. Dem militanten Arm der PFLP werden unter anderem Anschläge auf israelische Zivilist:innen zur Last gelegt. Gelder der Nichtregierungsorganisationen seien zu deren Förderung und Finanzierung eingesetzt worden, so das Verteidigungsministerium letzten Herbst. Beweise hat Israel allerdings auch auf Druck aus den USA und der EU nicht vorgelegt.
Die Vorkommnisse hatten die EU in Bedrängnis gebracht, denn zahlreiche der Organisationen werden von ihr mitfinanziert. Die EU hatte die Finanzierung von Al Haq infolge der israelischen Einstufung als Terrorgruppe kurzzeitig ausgesetzt.
Im Juni erklärte sie jedoch in einer gemeinsamen Erklärung, dass sie die Unterstützung fortsetzen werde. Die Betrugsbekämpfungsbehörde der EU-Kommission habe keinen Betrug oder andere finanzielle Unregelmäßigkeiten feststellen können.
Über die Gründe für den Zeitpunkt der Razzien lässt sich nur spekulieren. Riad Othman, Nahostreferent von medico, sagt: Die Razzien fänden nun statt, da sich das angestrebte De-Funding nicht so materialisiert hat, wie es sich die israelische Regierung seit Oktober 2021 vorstellte. Othman apelliert an die Bundesregierung, dass diese deutlichen und wirksamen Widerspruch gegen die israelische Politik zeigen müsse.
Auch israelische NGOs verurteilen das Vorgehen des Staates
Auch über 40 israelische Zivilorganisationen verurteilten in einer gemeinsamen Erklärung das Vorgehen des Staates und betonten ihre Solidarität mit ihren palästinensischen Kolleg:innen.
Die betroffenen palästinensischen Organisationen weisen die israelischen Vorwürfe zurück: „Wir arbeiten auf rechtstaatlicher Basis und sind dem Friedensabkommen Oslo II verpflichtet“, erklärt Jabarin. Er soll allerdings in den 1980er Jahren Mitglied eines studentischen Zweigs der PFLP gewesen sein und enge Verbindungen unterhalten.
Jabarin sieht die Razzien als Botschaft an die Palästinensische Autonomiebehörde, um ihr ihre Machtlosigkeit vor Augen zu führen: „Der einzige Bereich, in dem die palästinensische Autonomiebehörde noch Macht ausüben konnte, waren die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auch die hat Israel nun übernommen.“
Anrufe vom Geheimdienst Shin Bet
Derweil erhöht Israel auch nach den Razzien weiter den Druck auf die Organisationen. Am vergangenen Sonntag, einige Tage nach den Durchsuchungen, habe Jabarin einen Anruf vom israelischen Innengeheimdienst Shin Bet erhalten. Darin sei ihm mitgeteilt worden, dass er einen Preis zahlen werde – Inhaftierung, Befragungen und andere Maßnahmen – sollte die Arbeit von Al Haq fortgesetzt werden.
Laut Berichten der israelischen Tageszeitung Haaretz sei auch Khaled Quzmar, Direktor der palästinenischen Sektion von Defense for Children International, vom Shin Bet zu einem Gespräch geladen worden. Er sei gewarnt worden, dass sie gegen ihn vorgehen würden, wenn er sich weiter für die Organisation betätige.
„Wir arbeiten weiter“, erklärt Jabarin. Die Versiegelungen hätten er und seine seine Mitarbeiter noch am selben Morgen entfernt. Mit weiteren Hürden rechnen sie.
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