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Razzia gegen ReichsbürgerIrre und trotzdem gefährlich

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Dass die Sicherheitskräfte massiv gegen Reichsbürger vorgegangen sind, ist richtig und ein wichtiges Signal. Der Druck muss dennoch stärker werden.

Überstellung der verdächtigen Reichsbürger zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe am 7. Dezember Foto: Uli Deck/dpa

E s war im April, als im kleinen Boxberg in Baden-Württemberg die Polizei bei einem Reichsbürger zur Waffenkontrolle anrückte. Der 54-Jährige eröffnete sofort das Feuer, schoss dutzende Male auf die Beamten und verletzte zwei von ihnen. Als er schließlich überwältigt wurde, erklärte er, die Polizisten würden „auf der falschen Seite kämpfen“ und sollten „endlich aufwachen“. In seinem Haus fanden sich haufenweise Waffen, Munition, Reichsflaggen.

Es ist eine Meldung, die kaum für Aufsehen sorgte. Angesichts der Tatsache, dass es leicht Tote hätte geben können, ist das bemerkenswert und symptomatisch. Diese Woche kam es erneut zu Reichsbürgerfestnahmen – diesmal mit großer Aufmerksamkeit. Die Polizei rückte bundesweit mit 3.000 Beamten aus und nahm 25 Leute fest. Frühere Soldaten waren darunter, ein Polizist, eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD.

Planung eines Umsturzes, lautet der Vorwurf. Es war die größte Terrorrazzia seit Jahrzehnten. Und es hätte niemanden überraschen dürfen. Die Reichsbürgerszene kennzeichnet von jeher große Gewaltbereitschaft. Es hat nur keiner hingeschaut. Zu verlockend ist es, das Milieu als spinnert abzutun. Menschen, die an den Fortbestand des Deutschen Reichs glauben, an eine BRD, die nur eine GmbH ist, die sich eigene Ausweise drucken und Ordnungsämter nerven.

Doch daneben wähnte sich die Szene in einem Gewalt rechtfertigenden Widerstand, hortete Waffen, drohte schon vor zehn Jahren mit „Erschießungskommandos“ und warf Brandsätze auf den Bundestag. Verfassungsschutz und Sicherheitsbehörden schauten dennoch lange zu – bis ein Reichsbürger 2016 im bayrischen Georgens­gmünd einen ­Polizisten erschoss. Die Coronaproteste wirkten vier Jahre später wie ein Booster für die Reichsbürgerszene.

Denkbar unheilvolle Melange

Hier fand sie Gehör und ein neues Publikum, das wie sie den Staat ablehnt. Auf 21.000 Reichs­bür­ge­r:in­nen schätzen Sicherheitsbehörden inzwischen die Szene. Ein Zehntel davon gilt als gewaltorientiert – keine kleine Zahl. Im Fall der jetzt Festgenommenen kommen nun noch AfD-Anhänger:innen dazu und radikalisierte frühere Sicherheits­bedienstete, auf deren Gefährlichkeit die taz bereits seit Jahren hinweist. Eine denkbar unheilvolle Melange.

Dennoch drängt auch jetzt wieder die Spinnerei in den Vordergrund. Ein 71-jähriger Adels-Nachfahre als Terroranführer, ein bundesweiter Systemsturz – irre. Zugegeben. Und trotzdem gefährlich. Das beweisen die Waffenfunde. Und die verhafteten Sicherheitsbediensteten, die offenbar zu allem entschlossen waren. Es braucht keinen Umsturz, sondern nur wenige Schüsse, um großes Unheil anzurichten.

Deshalb ist richtig, dass die Sicherheitsbehörden massiv auftraten und damit ein Stoppsignal senden. Und wie hohl wirkt es, dass die Politik zuletzt tagelang über einen möglichen Terror der „Klimakleber“ redete – währenddessen Reichsbürger Waffen für einen Bundestagssturm beschaffen. Bei der jetzigen Großrazzia darf es jedoch nicht bleiben. Denn auch die Sicherheitsbehörden ließen es an anderer Stelle zuletzt an Klarheit vermissen.

Bis heute ordnen sie weite Teile der Reichsbürgerszene nicht als rechtsextrem ein, auch den Coronaprotest nicht. Von gut 55.000 politischen Straftaten im Jahr 2021, eine Vielzahl davon aus dem „Querdenken“-Spektrum, waren für sie 21.000 ideologisch „nicht zuzuordnen“ – inklusive des Mordes eines Coronaleugners in Idar-Oberstein, der zuvor in Chats beklagte, dass Gaskammern „aus der Mode gekommen“ seien. Das ist nicht nachvollziehbar.

Gut, wenn Innenministerin Nancy Faeser jetzt eine Verschärfung des Waffen- und Disziplinarrechts verspricht. Nur: Das hatte sie bereits vor Monaten getan. Und die Behörden entzogen Reichsbürgern zwar in den vergangenen sechs Jahren gut 1.000 waffenrechtliche Genehmigungen, doch noch immer dürfen 500 von ihnen Waffen besitzen. Viel zu viele.

Der Druck auf die Szene muss schärfer werden. Erinnert sei daran, dass es bereits im Frühjahr einen „großen Schlag“ gegen Rechtsextreme gab. Auch damals rückten hunderte Beamte aus und durchsuchten die Räume von 50 Beschuldigten, von Combat18 bis zur Schlägerbande Knockout51. Letztere trainierte in der Thüringer NPD-Zentrale in Eisenach. Nach den Razzien lief dort jedoch der Betrieb ungestört weiter, jüngst mit einer Reihe Rechtsrockkonzerten.

Diese Selbstsicherheit der Szene ist fatal und gefährlich und sie muss auch den Reichsbürgern genommen werden. Denn die Gefahr zeigt sich eben nicht nur bei der Putschtruppe, sondern auch in Boxberg und anderswo. Und sie ist weiterhin viel zu groß.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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17 Kommentare

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  • Gewaltbereite Faschisten und Adelige sind fester Bestandteil der deutschen Geschichte. Von Bauern oder Arbeitern kann man keine Revolution erwarten. Deshalb sind die Phantasien des "Prinzen" ja so wahnsinnig.

    • @Kappert Joachim:

      Nennen Sie mir bitte ein Land, wo gewaltbereite Autoritaristen und Angehörige der Herrschaftselite nicht ein fester Bestandteil der Geschichte sind.

      Die sind ja wenigstens auf eine Art irre, dass man sie recht schnell erkennt.

  • Auch wenn sich diese verirrten Typen mit ihren Hitler-Vorbildern eher nach innen radikalisieren, gefährlich ist 'nur' ihre Militarisierung, die sie zu Terroristen machen. Am Beispiel Horst Mahler wurde ja auch deutlich, dass es sich um Sektierertum handelt, das sich nur ein rechtes (oder Linkes) Mäntelchen umhängt. Viel dramatischer wird alles, wenn es nicht gelingt, einem zunehmenden Teil unserer Mitmenschen eine Perspektive und eine anständig entlohnte Arbeit zu geben, statt das ein kapitslistisches System sie einfach fallen läßt, wenn es keine Verwendung für die Abgehängten hat. Da wird eine Parlaments-AfD deutlich gefährlicher, als diese Gruppe von Spinnern, denen man nur ihre Waffen, ihr 'Spielzeug' wegnehmen muss. Der Siegeszug der Rechten im von Kapitalististen heimgesuchten Europa ist quasi systembedingt, wenn ein Staat nur noch dazu dient, die Almosen für die nicht mehr Gebrauchten auszusteilen. Unter den Opfern sind viele in die Verschuldung getriebene Mittelständler, die nicht gegen Amazon, ALDI & Co ankommen.

  • Ein kompletter Fehlschlag: Wenn die Verantwortlichen feststellen müssen, dass sie bei den Hausdurchsuchungen keinen Klebstoff finden, müssen sie alle Reichsbürger wieder freilassen !

  • Dazu der sehr seriöse Postilion:



    "Merz äußerte sich bislang nicht zu Reichsbürger-Umsturzplänen, weil er beleidigt ist, dass sie nicht ihn zum König machen wollten"



    www.der-postillon....nig-friedrich.html



    und da:



    "Entwarnung! Reichsbürger planten nur bewaffneten Umsturz, hatten aber nicht vor, sich irgendwo festzukleben"



    www.der-postillon....te-generation.html

  • Was grad im EPA abgeht, rückt der Demokratie viel näher auf den Hals. Dagegen is das Pütschle von Prinz dem Viertel-vor-Zwölften glatt zweite Wahl. Der w o l l t e ins Parlament eindringen - in Brüssel/Straßburg sindse schon drin.

  • Gott seiDank sind mit dieser Aktion nun alle rechtsnationalen PolizisteINNen und SoldatINNen aus dem Staatsdienst entfernt. Jetzt kann es wieder demokratisch zugehen!

  • Ferner stellt sich die dringende Frage, inwieweit Reichsbürger, AfD&Co dem Feind Putin-samt iranischer Terror Mullahs- dienlich sind?

    Der Feind sitzt eben auch mitten in unseren Parlamenten.

  • "Dennoch drängt auch jetzt wieder die Spinnerei in den Vordergrund. Ein 71-jähriger Adels-Nachfahre als Terroranführer, ein bundesweiter Systemsturz – irre. Zugegeben. Und trotzdem gefährlich. Das beweisen die Waffenfunde."

    Wenn ich recht gehört habe dann gibt es für alle drei gefundenen Schsswaffen auch Waffenscheine. Ausserdem wurden Armbrüste, Schwerter und Steinschleudern gefunden. Das erinnert doch stark an Monthy Python. Und warum versuchen den die Medien nicht das Ganze realistisch einzuordnen? Schliesslich kommt noch die Tatsache hinzu dass anscheinend die Medien und wenigstens ein Reichsbürger (der sich am Mittwoch anscheinend im Urlaub in Italien befunden hat) Bescheid wussten und Medienvertreter zu den Zugriffen eingeladen waren. Entweder wurden hier die Journalisten bewusst einer Gefahr ausgesetzt (nämlich wenn die Reichsbürger gewaltbereit gewesen wären) oder die Einsatzführung wusste dass keine Gefahr bestand, die Reichsbürger ergo keine Gefahr darstellen. Das wiederum sieht dann sehr stark nach Inszenierung aus, zumal alle Charakterdarsteller im Set vorhanden waren.

    • @Gerald Müller:

      Gibt es ne Quelle zu:

      * Der Anzahl der beschlagnahmten Waffen und deren legalem Besitz.



      * Einladung von Journalisten.

      Sonst gehe ich stark davon aus, dass das so nicht stimmt.

  • Das da noch mehr Druck kommen muss ist klar. Wenn man sich in den letzten 2 Tagen die Kommentarspalten verschiedener Medien anguckt, merkt man das Problem sitzt tiefer. Man bekommt den Eindruck nicht wenige hätten gerne Mitgemacht. Es wird auch gerade aus der rechten Ecke klein geredet. Ja der Druck muss stärker werden..

  • Es ist mir völlig schleierhaft, warum die Reichsbürger so verharmlost werden. Bei ihnen dürfte es sich um die größte bewaffnete anti-demokratische Gruppierung in diesem Land handeln.

    Stellen wir uns mal vor, in dieser eingangs geschilderte Szene von dem Schusswechsel wären nicht Reichsbürger, sondern Autonome die Handelnden gewesen, wie wäre da die öffentliche Reaktion wohl ausgefallen?

    Jeder radikalere Linke wäre Gefahr gelaufen, verhaftet zu werden.

    • @Jim Hawkins:

      Ich glaube, die Zeiten sind vorbei.

    • @Jim Hawkins:

      Ich finde nicht, dass diese rechte "autonome" Naziszene verharmlost wird.



      Dass der 54jährige Schütze vom kleinen Boxberg im Gegensatz zum Linken Spinner nicht Gefahr läuft, verhaftet zu werden, halte ich für eine sehr interessante These.

    • @Jim Hawkins:

      Naziland bleibt Naziland.



      Warum wird bei Rechtsradikalität seit Jahrzehnten weggeschaut?



      Bei der geschätzten Zahl 21000 Reichsbürger (gestern stand in nem anderen Artikel der taz ca 25000) und davon geschätzt 10% Gewaltbereit (also immer noch 2100) und jetzt 25 Festnahmen. Ist doch absurd zu glauben, dass dies ein STOP-Signal sei um dem Rechtsterror was entgegenzusetzen...



      Wie war das mit dem Sicherheitsgewhahrsam? -achso. Zellen voll mit Klimaschützenden"brandgefährlichen" jungen Menschen, die die Lebensgrundlage von der Menschheit im allgemeinen, also auch von Kleinhirrnträgern wie Faschisten, Nazis, Kriegtreibern ; Diktatoren und anderen gewaltbereiten Minderheitenretten wollen.



      RECHTSstatt BRD, halt, mich wunders nicht

    • @Jim Hawkins:

      ...und wäre in Stammheim gelandet!

    • @Jim Hawkins:

      Die Gefährlichkeit dieser Gruppe kann ich nicht beurteilen. Da muss ich mich auf die Hüter unserer Verfassung verlassen.



      Ich stelle mir allerdings ihre und die Reaktion von Litschko vor, wenn es sich um schwarz vermummte Autonome handeln würde.