Rassistischer Anschlag in Christchurch: Das Übel beim Namen nennen
Die neuseeländische Regierungschefin Ardern will den Namen des Attentäters von Christchurch nicht nennen. Sie sendet ein wichtiges Signal.
Als Premierministerin Jacinda Ardern am Dienstag vor das neuseeländische Parlament tritt, trägt sie schwarz. Mit den Worten „Salaam Alaikum“, Friede sei mit euch, wendet sich die 38-Jährige an die Abgeordneten. Ardern hat an diesem Tag eine Botschaft: Sie werde niemals den Namen des Attentäters von Christchurch nennen, der am vergangenen Freitag 50 Muslim*innen tötete. „Mit seinem Terrorakt wollte er viele Dinge erreichen, eines davon war der Bekanntheitsgrad“, erklärt Ardern ihre Entscheidung.
Der, dessen Name Ardern nicht aussprechen will, steht bereits vor Gericht. Dem 28-jährigen Australier wird vorgeworfen, am vergangenen Freitag in zwei Moscheen in Christchurch 50 Menschen erschossen zu haben. Den Angriff hatte er live auf Facebook übertragen. Allein dieses Verhalten zeigt, wie wichtig dem Täter Aufmerksamkeit war und ist. Es ist richtig, ihm davon nicht mehr zu geben, als nötig.
Doch was bringt es, jemandes Namen nicht zu nennen? „What's in a name?“, was ist ein Name, fragte Julia schon Romeo, rein suggestiv. Die Antwort lieferte Shakespeares Protagonistin selbst: „Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.“ Kurzum: Ein Name ist Nichts, er ist bedeutungslos und austauschbar, denn es geht um den oder das, was sich hinter dem Namen verbirgt. Und Julia hat recht – aber eben auch nicht.
Kaum ein Mensch will namenlos sein
Ja, ein Name für sich erzählt nichts über den Menschen dahinter. Uns macht nicht aus, wie wir heißen, sondern das, was wir tun. Und doch dient ein Name der Kennzeichnung eines Individuums, er ist Teil unserer Identität. Und: Ein Name, der oft genannt wird, weckt Interesse. Je häufiger ein Name fällt, desto wichtiger scheint er zu sein. Wir wollen wissen, wer dieser Mensch ist, über den überall gesprochen und berichtet wird. Jemanden beim Namen zu nennen, richtet einen Scheinwerfer auf diese Person. Ein Mittel, dessen sich zum Beispiel Lehrer*innen gern bedienen, um für Aufmerksamkeit zu sorgen – das aber auch Raum für Selbstdarstellung oder -inszenierung bietet.
Kaum ein Mensch will namenlos sein. Wenn sich jemand unseren Namen merkt, dann haben wir Eindruck hinterlassen – ob gut oder schlecht, ist erst einmal zweitrangig. Das gilt für die kleinen, zwischenmenschlichen Begegnungen wie für den größeren öffentlichen Diskurs. Nicht genannt zu werden erscheint dabei oft wie eine Strafe. Schlechte Presse ist besser als keine Presse.
Wer einen Attentäter, der um Aufmerksamkeit buhlt, immer wieder bei seinem Namen nennt, gibt ihm und seiner Geschichte Platz. Diese Macht und Verantwortung liegt besonders in den Händen von Politiker*innen und Medienschaffenden, die mit ihren Worten und Bildern viele Menschen erreichen.
Nun kann man argumentieren, dass das Übel, das Böse, doch beim Namen genannt werden muss. Um es sichtbar zu machen und um es analysieren zu können. Harry Potters Gegenspieler Lord Voldemort heißt nicht ohne Grund „Er, dessen Name nicht genannt werden darf“, oder „Du weißt schon wer“. In J.K. Rowlings magischer Welt vermeiden die Menschen den Namen Voldemorts aus Angst. Es sind lediglich die Mutigen, die sich trauen, seinen Namen zu benutzen und ihm auf diese Weise etwas von seiner selbst gewählten Bedrohlichkeit zu nehmen.
Doch der Name des Übels, der im Falle von Christchurch ausgesprochen werden muss, ist nicht der Name des Täters. Das Übel trägt die Namen Rassismus, Muslimfeindlichkeit und Menschenhass. Diese Namen müssen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, sie müssen immer wieder ausgesprochen und betrachtet werden und zwar auch losgelöst vom einzelnen Täter. Und nicht zuletzt sind es die Menschen, die bei dem Anschlag ihr Leben verloren haben, deren Namen und Geschichten wir kennen sollten.
Daran appellierte am Dienstag auch Jacinda Ardern. Der Mann, der 50 Menschen gewaltsam das Leben nahm, wird derweil andere Namen tragen. „Er ist ein Terrorist, er ist ein Krimineller, er ist ein Extremist“, sagte die Premierministerin vor ihrem Parlament. Über seine Tat wird gesprochen, er wird für sie vor Gericht gestellt und aus ihr zieht die neuseeländische Regierung erste Konsequenzen, wie die Verschärfung des Waffenrechts. Das ist richtig und an Scheinwerferlicht genug.
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