Rapper über Hip-Hop gegen Rassismus: „Wir brachen das Schweigen“
Toni-L rappte schon in den 90ern über Rassismus. Mit „Fremd im eigenen Land“ löste er eine Debatte aus, die knapp 30 Jahre später noch aktuell ist.
Toni-L erscheint wie jeder Heidelberger auf dem Fahrrad zum Interview. Er trägt seine charakteristische Schiebermütze, die er während des ganzen Interviews nicht absetzen wird. Treffpunkt ist der Brunnen auf dem sonnigen, sauberen Marktplatz der Heidelberger Altstadt. Hier in den Gassen posierte er 1992 mit Advanced Chemistry (AC) für ihr erstes Plattencover. Mit dem Song „Fremd im eigenen Land“ wurden sie damals nicht nur in ganz Deutschland bekannt und machten den Rap deutsch, sondern entfachten eine Diskussion über ein Thema, das schon lange selbst unter der schönen Oberfläche der Heidelberger Altstadtidylle brodelte: Rassismus.
taz: Herr Landomini, „Fremd im eigenen Land“ beginnt mit einem Auszug aus den Nachrichten über die damals gerade stattgefundenen rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. War der Song eine Antwort auf das, was dort passiert ist?
Toni Landomini: In den 1980ern wurde Rassismus, alltäglicher Rassismus, für unser Empfinden in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. Es war ein Tabuthema und wenn es eine Haltung dazu gab, dann war diese meist sehr konservativ. Das heißt, der Song war die Antwort auf alles, was sich in uns aufgestaut hatte. Als dann diese Anschläge passiert sind, Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda etc., war das quasi nur die Spitze des Ganzen.
Durch das Lied wurden Sie mit AC zu Pionieren des Deutschraps. War das das einzig Besondere an Ihrem Lied?
Dieser Text ist Teil der Wahlkampf-Serie „Mainstreamuntaugliche Interviews“ des Wahl-Camps21 der taz Panter Stiftung. Hier kommen Stimmen zu Wort, die meist nicht gehört werden.
Das Lied selbst war unsere erste Plattenveröffentlichung. Wir hatten uns aber schon fünf Jahre davor gegründet, sind über die Grenzen hinaus getourt und hatten dadurch schon einen Namen in der Szene. Das Lied ist auf mehreren Ebenen besonders. Zum einen stellt es etwas dar, was man in jener Zeit in dieser Form noch nicht gehört hatte.
Rap auf Deutsch war bis dahin eher Ulk und sollte lustig sein. Außerdem haben wir inhaltlich ein Schweigen gebrochen und vielen Minderheiten aus der Seele gesprochen. Die Produktion war zwar für den Mainstream nicht wirklich kompatibel, doch Radiomoderatorinnen, wie zum Beispiel Anke Engelke oder Stefanie Tücking, haben den Song hoch und runter gespielt und plötzlich wurden wir zu Diskussionsrunden eingeladen, haben mit hochrangigen Politikern zusammengesessen und über das Thema debattiert. Der Videoclip lief bei MTV europaweit auf Rotation.
Kann ein Lied alleine überhaupt etwas verändern?
Wir konnten vielen Menschen mit dem Lied Kraft geben. Bis heute bekomme ich aus dem gesamten Land, auch aus der Schweiz und aus Österreich immer wieder Feedback von Leuten, die mir sagen, dass sie dieses Lied geprägt und gestärkt hat. Es geht ja bei jedem von uns immer wieder um die Frage von Identität. Dieses Lied hat einige Fragen beantworten können. Bei Konzerten kamen auch oft Menschen zu mir, die zum Beispiel afrodeutsch waren, aber in ihrem Dorf allein dastanden. Sie waren in der Tat ein Einzelfall in der Gemeinde. Wenn du so eine Situation hast, ist das besonders hart. Du wirst angefeindet, diskriminiert und bedroht. Dann kommt so ein Lied und es gibt dir Kraft, weil du weißt, du bist nicht allein. Obwohl du dich dort vielleicht gerade allein gelassen fühlst.
Jahrgang 1969, ist ein Musiker und Rapper aus Heidelberg mit italienischen Wurzeln. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Hip-Hop-Gruppe Advanced Chemistry und war Wegbereiter des deutschsprachigen Raps.
Auch Torch, Linguist und Sie selbst haben einen Migrationshintergrund. „Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land. Kein Ausländer und doch ein Fremder.“ War das so?
Sobald dein Erscheinungsbild nicht der allgemeinen Vorstellung entspricht oder der Name exotisch klingt, kommst du früher oder später in die Situation, dich erklären zu müssen. Meine Freunde stärker als ich jetzt in dem Fall, aber man hat das ständig erlebt. All dies hat eine große Rolle gespielt, als wir dieses Lied geschrieben haben. Viele sehen weg, weil es unbequem ist, sich damit auseinanderzusetzen, wenn man nicht betroffen ist. Als Betroffener hast du aber gar keine andere Wahl. Du bist dem Rassismus ausgeliefert. Du gehst irgendwo vorbei und wirst diskriminiert, beschimpft, bespuckt oder geschlagen, wirst bedroht oder kriegst die Arbeitsstelle nicht. Man spielt das Thema immer wieder runter, aber wenn dann das Schlimmste passiert, ist man auf einmal schockiert.
Ist das Lied denn immer noch aktuell?
Ja, absolut. Gerade kürzlich hatte ich mit einem Bekannten ein Gespräch, der nach dem Lied fragte und es dann zum ersten Mal hörte. Er war total schockiert und sagte direkt: „Aber das ist ja hochaktuell!“ Rassismus ist eben keine Eintagsfliege, er ist allgegenwärtig, unabhängig davon, ob man darüber berichtet oder nicht. Er findet statt: ob unterschwellig, direkt oder auf brutalste Art und Weise. Es gibt verschiedene Arten von Rassismus und man kann versuchen, ihn immer wieder runterzuspielen, er wird immer wieder hochkommen.
Das heißt, wenn Sie das Lied nicht in den 90ern geschrieben hätten, würden Sie es heute immer noch so schreiben?
Der Song ist aus dem Zeitgeist entstanden. 92 kam er raus und 92 musste es ausgesprochen werden. Das Schweigen gebrochen und das Tabu beseitigt werden. Auch wenn er inhaltlich heute noch wichtig und relevant ist, gab es dennoch eine Entwicklung. Dadurch hat die Diskussion über Diskriminierung Fahrt aufgenommen und wurde offener geführt. Als der Mosambiker Alberto Adriano 2000 in Dessau von drei Neonazis umgebracht wurde, gründete der Kölner Rapper Adé „Brothers Keepers“, einen Zusammenschluss von Musikern, zu dem ich auch gehörte. Es sind zwei Alben entstanden und wir sind auf Tour gegangen. Der Erlös der Platte ging dann an Menschen, die aufgrund von Diskriminierung und Angriffen in eine schwierige Situation gekommen sind.
Es hat sich also doch einiges geändert?
Die deutschsprachige Rap-Gruppe Advanced Chemistry (AC) gründete sich 1987 in Heidelberg. 1992 nahmen die Rapper Toni-L, Torch und Linguist ihre erste Platte auf und erlangten mit dem gesellschaftskritischen Song „Fremd im eigenen Land“ große Aufmerksamkeit. Bei einer Umfrage der Juice wurde das Lied 2005 zum wichtigsten deutschsprachigen Rap-Song gewählt.
Auf der einen Seite ist die Bewegung gegen Rassismus sichtbar größer geworden, aber gleichzeitig ist auch die Hemmschwelle, sich offen als rechts zu bekennen, gesunken.
Sie rappen „in der Fernsehsendung die Wiedervereinigung, am Anfang hab ich mich gefreut, doch schnell hab ich's bereut“. Sehen Sie das immer noch so?
Das sind die Zeilen meiner Kollegen in dem Fall. Aber ich kann sagen, dass sie sich auf die Anschläge auf Asylheime beziehen, die mehrheitlich im Osten stattfanden. Politisch und menschlich gesehen war die Wiedervereinigung das Beste, was Deutschland passieren konnte.
Haben Sie unter diesen Bedingungen trotzdem zu dieser Zeit im Osten getourt?
Wir gehörten mit AC zu den ersten Gruppen, die nach dem Mauerfall im Osten aufgetreten sind. Die Atmosphäre und das Publikum waren voller positiver Energie und wir hatten eine super Zeit. Aber es gab auch Bedrohungen, da unsere Botschaft gegen Rechts nicht überall gut ankam.
Woher, denken Sie, kommen diese Anfeindungen, dieser Hass?
Wenn ich das wüsste. Vielleicht sind Gebiete, die nicht multikulturell besiedelt sind, anfälliger, wenn das sogenannte „Fremde“ kommt. Das ist vielleicht einer der Gründe. Sicher gibt es noch mehr Punkte, aber da bin ich jetzt einfach nur Künstler, der der Situation ausgeliefert ist und versucht, das Ganze mit seiner Musik zu verarbeiten.
Haben Sie Vorbilder außerhalb der Musik?
Nelson Mandela. Seine Biografie habe ich als Jugendlicher gelesen, das hat mich total mitgenommen und mir die Augen geöffnet. Später haben wir miterlebt, wie er in die Freiheit ging, dann noch Präsident wurde, wie gütig der Mann war und was er für die Menschheit geleistet hat. Trotz der 27 Jahre Haft, die ihm von seinem Leben genommen wurden. Ein weiteres Vorbild ist Esther Bejarano…
… Ausschwitz-Überlebende und Aktivistin …
Sie ist letztens, am 10. Juli, verstorben: Rest in Peace. An diesem Tag durfte ich nach langer Zeit wieder mal ein Live-Konzert in Heidelberg spielen. Ich habe ihr auf meinem Konzert ein A-Cappella gewidmet. Was haben diese Menschen erleiden müssen? Und dennoch haben sie mit so einer positiven Aura ihre Botschaft verbreitet. Sie haben den Leuten Hoffnung und Liebe geschenkt statt Verbitterung und Groll, wofür man volles Verständnis hätte. Das bewundere ich. Im Geiste solcher Menschen möchte ich meine Werte weitergeben, trotz der Widerstände.
Hip-Hop – ist das nicht sexistisch, antisemitisch, diskriminierend?
Genau das alles ist Hip-Hop gerade nicht. Es ist klar, dass der Begriff vermarktet und instrumentalisiert wird. Skandalöse Schlagzeilen, Gewalt und Sex verkaufen sich am besten. Das kannst du auf jedes Genre übertragen und letztendlich sollte da eher die große Nachfrage seitens der Konsumierenden fraglich sein. Doch seit dem Hip-Hop-Urknall in der South Bronx in den 70ern ist ein großes Universum entstanden und mittlerweile gibt es viele Galaxien und Parallelwelten, die mit den ursprünglichen Werten wie „Peace, Love and Unity“ wenig zu tun haben. Ich sage bei „Der Zug rollt“: „Jeder will auf den höchsten Ast, um aufzufallen, doch stirbt die Seele der Wurzel, wird der Baum fallen.“ Daher sollten wir die Wurzel pflegen, damit noch viele weitere Generationen die Früchte dieser Kultur ernten können.
Ist es ein Problem, dass es Mainstream-Hip-Hop gibt und die Jugend diesen hört?
Ich sehe das nicht als Problem. Ich denke, es ist ein großes Glück, dass wir alle hier die Freiheit haben, hören und sagen zu können, was wir möchten. In manchen Ländern wäre das so nicht möglich. Für Meinungsverschiedenheiten ist die Demokratie ja da. Das ist ein großes Privileg. Ich respektiere jeden Künstler, jede Künstlerin für ihre Arbeit, weil ich weiß, was dahintersteckt. Außerdem gibt es von Generation zu Generation neue Impulse, Veränderungen, und das ist gut so. Ich möchte auch nicht alle in einen Topf schmeißen, dafür ist Hip-Hop zu vielseitig. Ich sehe es so: Der Underground ist die Seele der Hip-Hop-Kultur und der Mainstream belebt das Geschäft, doch der Underground bleibt und die Trends kommen und gehen, wie Wellen.
Sie hatten aber beides: Erfolg und eine Message, wie haben Sie das geschafft?
Hätte ich die Formel noch, dann würde ich sie jetzt versteigern. Ich kann nur sagen, es ist nicht attraktiv für den Mainstream, gegen Rassismus Musik zu machen. Aber wir haben nicht das gemacht, was die Leute wollen, wir haben das gemacht, was die Leute brauchen.
Sie haben gerappt: „Dies ist nicht meine Welt, in der nur die Hautfarbe und Herkunft zählt.“ Macht Identitätspolitik nicht genau das?
Das Zusammenleben sollte keine Frage der Herkunft oder der Hautfarbe sein und alle sollten mit gleicher Würde behandelt werden. Das Problem ist, es werden nicht alle gleich behandelt. Deswegen suchen wir Wege, die dahin führen. Ich persönlich kann mich nur mit meiner Art und meiner Kunst dafür einsetzen, die Welt so zu gestalten, wie ich sie für lebenswert halte. Wir haben zum Beispiel Begrifflichkeiten wie „Afro-Deutscher“ eingeführt, um Alternativen anzubieten. Sag es doch so und nicht so… Nenne doch diese Süßigkeit einfach Schokokuss. Das tut keinem weh und schmeckt danach noch genauso gut. Und niemand wird diskriminiert. Einfach das Diskriminieren weglassen.
Manche Leute fühlen sich aber gerade dadurch zensiert. Führen Veränderungen in der Sprache nicht eher zur Spaltung in der Gesellschaft?
Die Sprache verändert sich ja so oder so. Es geht schlussendlich um Macht. Als weiße Menschen sind wir in diesem System privilegiert. Das muss man verstehen. Du wirst an der Grenze nicht so schnell angehalten oder die Wahrscheinlichkeit ist wesentlich geringer. Du hast den großen Luxus, dich mit dem Thema gar nicht beschäftigen zu müssen, weil du nicht betroffen bist. Ich finde es eine sehr arrogante und ignorante Haltung, dann noch, in der Position, bestimmen zu wollen, dass man ein bestimmtes, verletzendes Wort benutzen darf.
Nächstes Jahr wird „Fremd im eigenen Land“ 30 Jahre alt. Hätten Sie gedacht, dass wir heute noch hier sitzen, darüber reden und der Song immer noch so eine Bedeutung hat?
Nein, das hätte ich mir niemals vorstellen können. Ich hätte schon gedacht, dass das Thema noch existiert, aber dass das Lied so eine Relevanz hat und immer noch Menschen berührt, mit einer solchen Tragweite und Bedeutung, vor allem nach diesen vielen Jahren, das ist eine große Besonderheit. Wir sind schon 35 Jahre am Start. Hip- Hop ist also nicht nur ein Thema, das für die nächsten drei Jahre vorgesehen ist und dann wieder verschwindet.
Sind Sie Mainstream geworden?
Ich doch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour