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Räumung im Dannenröder ForstVorwürfe an Waldbesetzer

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Totschlags gegen einen Demonstranten. Aktivisten bezweifeln die Darstellung der Polizei.

Vergänglich: Eine Tripod-Holzkonstruktion im Dannenröder Forst Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

Hamburg taz | Männlich, groß, schlank, mit Bart und blauen Augen – so beschreibt die mittelhessische Polizei einen Aktivisten aus dem Dannenröder Wald, nach dem die Gießener Staatsanwaltschaft jetzt öffentlich fahndet. Dem Aufruf zur Mithilfe an die Bevölkerung sind drei Fotos beigefügt, auf denen der Mann gut zu erkennen ist. Was man ihm vorwirft, wiegt schwer: Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen versuchten Totschlags.

Der Unbekannte soll am 23. November ein Seil durchtrennt haben, das eine zweibeinige Holzkonstruktion, einen „Duopod“, gehalten hat. Daraufhin sei der Duopod umgefallen. Po­li­zis­t*innen, die sich in der Nähe aufgehalten hätten, seien im letzten Moment zur Seite gesprungen. Ein Bagger sei aber getroffen worden, der Fahrer in der Kabine jedoch unverletzt geblieben. Laut Polizei haben mehrere Zeu­g*in­nen den Vorfall beobachtet. Bei ihnen handelt es sich ausschließlich um Polizist*innen und den Baggerfahrer, bestätigte ein Sprecher der Gießener Staatsanwaltschaft auf Nachfrage.

Ebenfalls wegen Durchtrennen eines Seils ermittelt die Gießener Staatsanwaltschaft gegen einen Polizisten. Hier lautet der Anfangsverdacht allerdings lediglich „fahrlässige Körperverletzung im Amt“. Der Polizist soll ein Seil durchtrennt haben, das einen Tripod sicherte, in dem eine Frau hing. Sie stürzte daraufhin aus fünf Meter Höhe auf den Waldboden und kam mit mehrfachen Wirbelbrüchen ins Krankenhaus. „Es liegen keinerlei Hinweise auf ein vorsätzliches Handeln des Beamten vor“, teilte die Polizei kurz nach dem Vorfall mit. Zum aktuellen Stand der Ermittlungen konnte die Staatsanwaltschaft am Montag keine Angaben machen.

„Es macht den Anschein, als würde hier mit zweierlei Maß gemessen“, sagte eine Sprecherin der Waldbesetzer*innen der taz. Im Fall des umgestürzten Duopods sei noch nichts bewiesen. Dass die Staatsanwaltschaft dennoch so schwere Vorwürfe erhebe, stehe in krassem Gegensatz zu dem Ermittlungseifer im Fall von Polizeigewalt gegen Aktivist*innen. An der Darstellung der Polizei, wie es zum Sturz des Duopods gekommen sei, äußerte sie Zweifel. Im Wald versuchen Akti­vis­t*in­nen derweil, das letzte noch stehende Baumhausdorf zu verteidigen. Am Montagnachmittag waren dort noch drei Baumhäuser besetzt. Die Polizei geht davon aus, dass die Räumung spätestens am Mittwoch beendet ist.

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17 Kommentare

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  • "Der Unbekannte"

    Bedeutet dies, dass sich die Aktivisten nicht untereinander kennen oder das der "Unbekannte" von den Aktivisten gedeckt wird?

  • Der Baggerfahrer war nicht nur Zeuge, sondern befand sich ebenfalls n Gefahr:

    "Durch das Umstürzen schlugen Baumstämme gegen die Sicherheitskabine des Baggers. Diese hielt dem Aufprall jedoch Stand und somit blieb auch der Baggerfahrer unverletzt. An der Sicherheitskabine entstand jedoch Sachschaden." www.giessener-allg...ssen-90112425.html

  • Man sollte immer sehr vorsichtig mit Aussagen von Polizisten sein, leider gibt es hierzu Lande immernoch Menschen die der Polizei mehr glauben als anderen Menschen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, daß der Wahrheitsgehalt von Aussagen der PolizistInnen ehr gering ist. Leider.

  • Tja, so ä bissi merkwürdisch isses schon. Einerseits steht auf der Website der hessischen Polizei (Link oben im Artikel) wortwörtlich: "löste sich ein Seil", und andererseits wird wegen versuchten Totschlags ermittelt. Es steht jedenfalls nichts davon drin, dass das "Seil von einer Person gelöst wurde". Da wird bei der gerichtlichen Beweisaufnahmeschon sehr genau hingeschaut werden müssen, ob das alles so schlüssig ist.



    Im Falle der verletzten Demonstrantin war offensichtlich klar, dass das "Seil von einer Person gekappt" wurde.

  • Naja so wie die Polizei zusammenhält tuen es die Aktivisten auch.



    Für mich klingt es ziemlich glaubwürdig, immerhin wurden die Beamten auch mit kot und urin beworfen. Absolut abartig und menschenverachtend.



    Aber darüber liest man in der taz nichts. Links Populismus halt. Emotionen statt Informationen.

    • @KeinGott KeinStaat:

      Sie können ja auch "Welt" lesen, vielleicht ist dieses Blatt inklusive der fast schon widerlichen Kommentarspalte eher nach Ihrem Geschmack.

      • @J. Straub:

        Es geht kaum um den Geschmack, als um die Frage, welche Informationen eine Zeitung weglässt, um Meinung zu machen, anstatt zu informieren.

        • @Strolch:

          Ja, und das wollte ich damit ansprechen. Die "Welt" geht eben in die andere Richtung. Ob diese Richtung dann wirklich besser ist, darf jeder für sich entscheiden. Fakt ist doch, dass viele Medien ganz eindeutig danach trachten, die Aktivist*innen über die Maßen zu kriminalisieren und zu diskreditieren. Natürlich passier(t)en im Wald unschöne Sachen, aber so manches wird da schon auch übertrieben aufgebauscht mit dem Ziel, die ganze Bewegung schlecht zu reden.

          • @J. Straub:

            Eventuell vorsätzlich Menschen zu gefährden ist definitiv ein krimineller Akt. Aber einer dieses "Unbekannten"



            Eine größere Dimension bekommt es aber, wenn die Aktivisten ihn kennen und decken.

            • @Rudolf Fissner:

              Ich habe mich gar nicht konkret auf diesen einen Fall bezogen. Im Übrigen wird hier noch ermittelt, wir waren nicht dabei, wir wissen nicht mal, ob es diesen "Unbekannten" überhaupt gibt.

  • "„Es macht den Anschein, als würde hier mit zweierlei Maß gemessen“, sagte eine Sprecherin der Waldbesetzer*innen der taz."



    Natürlich wird mit zweierlei Maß gemessen. Auf beiden Seiten!

    • @Mustardmaster:

      "Messen" tun allein die Gerichte und keine der beiden Seiten. Und bei den Gerichte gibt es nüscht abschließendes.

      Frappierend ist allerdings, dass die Aktivisten bei der Identifizierung des Unbekannten nicht mitarbeiten während der Polizist, zu dem die Staatsanwaltschaft ermittelt, genau bekannt ist.

  • In dem Artikel werden die Seildurchtrenn-Taten der Polizei mit der des Aktivisten verglichen.



    Die Taktik der Besetzer war wohl Seilverspannungen bewusst mit einer gewissen Unübersichtlichkeit aufzuspannen um die Bewegungsmöglichkeit der Polizei einzuschränken. Es muss als dem Polizisten ein gewisser Vorsatz nachgewiesen werden, aber immerhin ermittelt die Staatsanwaltschaft. Es wäre nicht verwunderlich wenn die Aktivistin vielleicht etwas mehr über Schmerzen klagt um einen größtmöglichen Effekt zu erzeugen. Daher ist es schon wichtig, dass man etwas konkretes zu den Verletzungen erfährt.

    Bei dem Duopot liegt der Fall anders. Die Aktivisten haben ja keinen Grund Ihre eigenen Seile zu Kappen. Wenn wirklich eines gekappt wurde, kann man schon Absicht unterstellen. Dass der Duopot dann auf die andere Seite fällt ergibt sich aus der Konstruktion. Da finde ich Ermittlungen wegen Totschlag gerechtfertigt. Immerhin wäre das heimtückisch gewesen.

    • @Westried:

      " Es wäre nicht verwunderlich wenn die Aktivistin vielleicht etwas mehr über Schmerzen klagt um einen größtmöglichen Effekt zu erzeugen. Daher ist es schon wichtig, dass man etwas konkretes zu den Verletzungen erfährt."

      Lesen hilft: mehrere Wirbel gebrochen. Also mit Glück knapp an einer Querschnitsslähmung vorbei, vielleicht sogar Tod.

      Dagegen sind natürlich ein paar Kratzer an der Baggerkabine der Hammer, da muss ja eine direkte Mordabsicht dahinter gestanden haben.

      Wenn man beiseitespringt heisst das noch lange nicht, dass man sonst erschlagen worden wäre.

      Dass die Beamten die Situation eher dramatisieren liegt in der Natur ihres Jobs: sie müssen ja ihre Aktionen rechtfertigen und im Zweifelsfall eine Legitimation erwirken für eigene Gewalt.

  • Es wird nicht mit zweierlei Maß gemessen. Der Polizist, gegen den ermittelt wird, hat sich selbst gestellt und eine Aussage gemacht. Diese Aussagge fließt selbstverständlich mit ein. Der Aktivist kann sich ja gerne bei der Polizei melden und erläutern, weshalb er das Seil am Duopod durchtrennt hat.

  • Man liest ja immer wieder etwas anderes zu der Frau die vom Tripod gestürzt ist. Lebensgefahr bestand wohl nicht. In der taz wurde geschrieben "keine Lebensgefahr mehr". Das "mehr" habe ich aber sonst nirgends gefunden.



    Mehrfache Wirbelbrüche sind auf jeden Fall eine ernsthafte Verletzung. Woher kommt den diese Information? Das sind ja doch persönliche Daten. Wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt, erfährt man das genauer.

    • @Westried:

      Soweit ich das verfolgt habe, hat sich die Aktivistin selbst zu Wort gemeldet und über ihre Verletzungen berichtet.