Rätsel der Männlichkeit: Vom Drang, den Penis zu zeigen
Warum wollen Männer, dass alle sehen, was sie für ihr bestes Stück halten? Unsere Autorin kommt da nicht mit.
E s ist Sommer, ich jogge im Park, und schon sind sie wieder da – die Penisse. Ein Mann steht auf dem Weg und pinkelt an einen Baum. Er könnte sich auch hinter den Büschen erleichtern oder sich nach einer öffentlichen Toilette umsehen, aber er steht auf dem Weg, auf dem ich gerade um die Kurve gelaufen komme, und da ich ihn von der Seite erblicke, erblicke ich auch das kleine Fitzelchen Fleisch. Ich wollte es nicht, aber es ist schon geschehen.
Jedes Jahr sehe ich unfreiwillig wenigstens zehn Penisse, freimütig, gleichgültig oder auch stolz werden sie mir dargeboten, den ersten sah ich mit sechs, das sind dann ungefähr fünfhundert unfreiwillige Penisanblicke.
Den ersten sah ich also mit sechs Jahren, wir wohnten im Wald und ich wartete an der Straße, die ebenjenen Wald durchschnitt, täglich alleine auf den Bus, um in die Schule zu fahren. Ein Mann stieg aus dem Auto und pinkelte in Sichtweite und mir zugewandt an einen Baum. Er wiederholte das in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten. Pinkelte er nur vor Kindern oder auch vor Frauen? Gibt es pädophile Exhibitionisten?
In der Schule, in die ich von nun an ging, gab es dann bald die nächsten Penisse, die der kleinen Jungen meiner Klasse. „Willst du mal meinen Puller sehen?“, flüsterten sie mir verschwörerisch ins Ohr. Warum kleine Jungen so scharf darauf waren, ihn herzuzeigen, ich weiß es nicht.
Ich lehnte ab, aber andere Mädchen gingen mit den Jungen auf die Toilette, um ihn sich anzusehen. Waren sie neugierig? Mag sein. Wollten sie den Jungen einen Gefallen tun? Auch das kann sein. Einige Mädchen waren bereit, alles für Jungen zu tun, um ihnen zu gefallen.
Hose runter
Jedenfalls kam unsere Hortbetreuerin in einem solchen Fall dahinter und der betreffende Junge musste ihn uns zeigen, Hose runter vor der ganzen Gruppe. Wahrscheinlich hielt sie das für eine gute, pädagogische Maßnahme. Sie sagte, „Jetzt habt ihr ihn alle einmal gesehen, damit ist das hoffentlich erledigt.“
Auch dieser pädagogisch motivierten Zurschaustellung wohnte ich nicht freiwillig bei, aber ich wagte nicht, nicht hinzusehen, denn das sollten wir ja, es war Teil der Bestrafung, dass wir hinsahen, man könnte sagen, wir wurden unfreiwillig Teil sowohl seiner als auch unserer kollektiven Bestrafung.
Die meisten Penisse, die ich im Laufe meines Lebens eigentlich nicht sehen wollte, waren die von pinkelnden Männern. Nachts, nach einem Konzert oder nach der Disco standen sie überall betrunken herum, oft nur wenige Schritte von der Tür entfernt, obwohl die entsprechenden Locations wohl Toiletten hatten, die sie hätten benutzen können. Ich sah sie am Rande eines Volksfests nebeneinander auf die Rückwand des Toilettenwagens strullen, obwohl am Eingang zur Herrentoilette dieses Wagens keine Schlange stand wie an dem der Frauen.
Auf Spielplätzen, rund um jeden Bahnhof, in dem es Toiletten gibt, aber das spielt keine Rolle, der Mann holt ihn raus, wenn ihm so ist. Ihm ist einfach danach. Er holt ihn auch raus, einfach, um ihn zu zeigen, in der U-Bahn, auf dem Sitz schräg vor dir, zum Beispiel, er leuchtet sich selbst mit der Taschenlampe an, damit du ihn im Dunkeln auch wirklich siehst.
Wenn es sich dabei um eine Krankheit handelt, warum befällt diese Krankheit nur Männer? Das Internet hat dem Mann mit Penisstolz unglaubliche Möglichkeiten eröffnet. Ein Bild kann mehrfach, ja hundertfach verschickt werden. Hier ist er, mein Penis, ist er nicht wunderschön, ist er nicht ein Geschenk?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies