Queerer Soldat über Kramp-Karrenbauer: „Nicht LGBT-freundlich aufgefallen“
Ursula von der Leyen verordnete der Bundeswehr mehr Diversität. Laut betroffenen Soldaten ist trotzdem noch viel zu tun. Ob AKK dafür die Richtige ist?
taz: Herr Bäring, über fünf Jahre war Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Sven Bäring: Frau von der Leyen hat das Thema Diversity und LGBTIQ auf die Agenda der Bundeswehr gesetzt und ist damit so mutig umgegangen wie keiner ihrer Vorgänger. Sie hat diese Öffnung quasi von oben verordnet. Für die Führungsebene gab es zum Beispiel 2017 den Workshop „Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr“. 2016 wurde im Ministerium das Stabselement für Chancengerechtigkeit um die Elemente Vielfalt und Inklusion erweitert. Die Entwicklung ist sehr positiv.
Gibt es trotzdem noch Probleme?
Natürlich. Die Liberalisierung der Bundeswehr im Bereich LGBTIQ wurde durch Vorschriften begonnen. Die konnte man sehr schnell verändern. Die Einstellung von Menschen, die LGBTIQ ablehnend gegenüberstehen, lässt sich nicht so schnell ändern. Dafür brauchen wir Gespräche, Erfahrungen, aber auch Bildungsangebote und Informationsmaterial. Wir müssen uns da nichts vormachen: Die Bundeswehr war die längste Zeit ein Refugium für vermeintlich echte Männlichkeit. Bis keiner mehr seine sexuelle Identität verleugnen muss, haben wir noch einen weiten Weg vor uns.
Betroffene haben immer noch Angst, offen über ihre sexuelle Identität zu sprechen?
Das hängt von den Einheiten ab. In Teilen der Bundeswehr funktioniert es schon sehr gut – gerade dort, wo die Chefs Diversity vorleben und das Thema präsent ist. Aber uns erreichen auch heute noch Berichte über Diskriminierung in der Bundeswehr.
In welchen Bereichen läuft es besser, in welchen schlechter?
Im Sanitätsdienst ist der Frauenanteil deutlich höher und dort ist das Thema Diversity schon deutlich stärker angesiedelt. Andere Einheiten haben noch größere Probleme. Im Bericht des Wehrbeauftragten wurde zum Beispiel ein KSK-Soldat erwähnt, der in einem Auswahlverfahren bei gleicher Qualifikation nicht weiter beachtet wurde, obwohl der einzige Unterschied zwischen ihm und einem anderen Bewerber seine sexuelle Orientierung war.
Sie haben bereits erwähnt, dass von der Leyen ihre Generäle 2017 zu einem Workshop über sexuelle Vielfalt geladen hat. Was hat die Veranstaltung konkret bewirkt?
Sie hat vor allem der Führungsebene gezeigt, dass das Thema sexuelle Orientierung und Identität bei einem modernen Arbeitgeber ein zentraler Punkt ist und es deshalb von oben unterstützt wird. In ihrer Rede dort hat Ursula von der Leyen klar herausgestellt, dass die Bundeswehr Diversity als Selbstverständlichkeit verstehen möchte.
24, ist Offiziersanwärter und studiert an der Bundeswehr-Universität München. Seit Mai 2019 ist er Vorsitzender des Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr. Der Verein hat knapp 250 Mitglieder und setzt sich für die Interessen queerer Menschen in der Armee ein.
Hat sich das auch in die unteren Ebenen niedergeschlagen?
Es ist seitdem natürlich viel passiert. Aber wie bereits erwähnt: Dieser Wandel in den Köpfen ist nicht von einem Tag auf den nächsten zu erreichen.
Und wofür ist die Stabsstelle für Chancengerechtigkeit gut, die von der Leyen ausgebaut hat?
Es gibt dort eine Ansprechstelle für Diskriminierung, an die sich jeder Soldat wenden kann – auch abseits des Dienstwegs. Man muss also nicht den Weg über den eigenen Chef wählen, mit dem man natürlich auch Probleme haben kann. Man kann dort Fachleute anrufen, die die Situation des Betroffenen analysieren und die dann auch direkt eingreifen können.
Was bleibt nach den bisherigen Schritten noch zu tun?
Die Bundesregierung hat 2017 beschlossen, dass Urteile auf Grundlage des abgeschafften Paragrafen 175 aufgehoben werden. Dagegen wurden Disziplinarmaßnahmen der Bundeswehr gegen homosexuelle Soldaten bis heute nicht aufgehoben, geschweige denn die Opfer entschädigt. Bis ins Jahr 2000 hinein durften Soldaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung weder Ausbildungs- noch Vorgesetztenpositionen bekleiden. Bis 1982 war Homosexualität sogar ein Ausschlussgrund.
Glauben Sie, dass Annegret Kramp-Karrenbauer hier handeln und den Weg ihrer Vorgängerin fortsetzen wird?
Das hoffen wir natürlich. Die Fortschritte, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, stehen auf einem gläsernen Fundament. Deswegen hoffen wir, dass AKK das Thema Bundeswehr und Diversity ernst nimmt.
Die Fortschritte stehen auf einem gläsernen Fundament? Es könnte also auch einen Backlash geben?
Wirklich Rückschritte im Sinne einer Wiedereinführung von Diskriminierung sind in der heutigen Gesellschaft kaum noch möglich. Aber eine Verteidigungsministerin kann natürlich beeinflussen, ob der bisherige Weg weitergeht oder ob es einen Stillstand gibt. Das hängt davon ab, mit welchem Nachdruck sie das Thema Diversity fördert.
In der Vergangenheit sprach sich Kramp-Karrenbauer gegen die Ehe für alle aus. Homosexualität verglich sie mit Inzest. Haben Sie sich nicht erschrocken, als Sie gehört haben, wer von der Leyens Nachfolgerin wird?
Natürlich ist Frau Kramp-Karrenbauer bisher nicht durch ihre LGBT-freundlichen Positionen aufgefallen. Aber wir sind offen für Gespräche und hoffen, dass auch sie sich von den Vorteilen eines ordentlichen Diversity-Managements in der Bundeswehr überzeugen lässt.
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