piwik no script img

Psychotherapeutin über Klimaangst„Eine gesunde und normale Reaktion“

Angst vor dem Klimawandel ist menschlich und sollte nicht pathologisiert werden, fordert die Psychotherapeutin und Aktivistin Lea Dohm.

Am Freitag demonstrieren weltweit Aktivisten für das 1,5-Grad-Ziel Foto: Stefan Boness

taz: Frau Dohm, In diesem Jahr wurde an der University of Bath in England eine große internationale Studie zu Zukunftsfragen von unter 25-Jährigen veröffentlicht. Über die Hälfte der 10.000 Befragten aus zehn verschiedenen Ländern glaubt, die Menschheit sei „dem Untergang geweiht“. Trotzdem stört Sie der Gebrauch des Wortes „Klimaangst“. Wieso?

Lea Dohm: Dieser Begriff verkürzt das Thema, weil er das Grundproblem, nämlich die Klimakrise, pathologisiert und die damit verbundenen Sorgen als „hysterisch“ abstuft. Als müssten nur diese Sorgen behandelt werden und dann würde es schon irgendwie weitergehen. Das stimmt aber nicht. Angst verbunden mit der Klimakrise ist eine gesunde und normale Reaktion auf eine reale Bedrohung.

Die Klimakrise belastet vor allem Nachfolgenerationen. Nimmt die Angst bei jungen Menschen zu?

Sie bleibt auf einem konstant hohen Niveau. Die von Ihnen erwähnte Studie besagt auch, dass 75 Prozent der befragten jungen Menschen ihrer Zukunft beängstigt entgegen blicken. Die Klimakrise ist aber ein Problem, das alle Altersgruppen betreffen kann.

Die Studie befasst sich vor allem mit Zukunftsängsten, die eng mit dem Klima verknüpft sind. Ist der Entschluss vieler junger Ak­ti­vis­t:in­nen, keine Kinder bekommen zu wollen, ein Ausdruck dieser Zukunftsangst?

Es wäre zu einfach, dies als logische Konsequenz von Zukunftsangst zu sehen. Als ich Kinder bekam, habe ich die Bedrohung des Klimawandels noch nicht greifen können. Ich würde heute aber sagen, dass meine Kinder für mich ein Motor meines Aktivismus' sind.

Bild: privat
Lea Dohm

ist Psychotherapeutin in Stadt­hagen. 2019 gründete sie zusammen mit Mareike Schulze die Bewegung „Psychologists/Psychotherapists for Future“, ein Bündnis von Psycholo­g:innen und Psychotherapeu­t:innen, das sich dem Umgang mit der Klimakrise und der Förderung einer nachhaltigen Zukunft gewidmet hat.

Wer ist besonders von Klimaangst betroffen?

Vor allem Menschen, die sich besonders viel mit der Klima­krise beschäftigen. Hinzukommt, dass Kinder und Jugendliche mehr von den Folgen der Klimakrise mitbekommen werden und damit eher betroffen sind als andere Altersgruppen. Auch, weil sie als besonders vulnerable Gruppe gelten.

Wird das Problem überhaupt ernst genommen?

Offensichtlich nicht. Die beste Medizin gegen Klimaangst wäre eine konsequente Emissionsreduktion, die jedoch nicht erfolgt. Würde das ­passieren, würden mit Sicherheit Klimaängste in der Bevölkerung abnehmen.

Haben Sie 2019 deswegen Psychologists for Future gegründet?

Wir unterstützen nicht ausschließlich Aktivist:innen. Wir machen auch Aufklärungsworkshops und Informationsveranstaltungen. Meine Kol­le­g:in­nen und ich waren schnell der Ansicht, dass diese ganze Krise viel mit Psychologie zu tun hat.

Man könnte meinen, Angst, die in der Regel zu Vermeidung von Aktivitäten führt, und Aktivismus können gar nicht zusammenpassen …

Diese Annahme teilen viele, eben weil Klimaangst zu schnell als Krankheit gesehen wird. Die meisten Ak­ti­vis­t:in­nen nehmen jedoch die Angst wahr, halten sie aus und handeln. Man kann davon ausgehen, dass Ängste durchaus ein Treiber der Klima­bewegung sind. Viele sehen sich dadurch motiviert, zum Beispiel freitags auf die Straße zu gehen.

Versuchen Menschen, die den Klimawandel herunterspielen, ihre eigene Angst zu verdrängen?

Tiefenpsychologisch betrachtet: Ja. Aber Menschen wehren ständig ab. Das ist auch gut so, sonst würden wir alle von der täglichen Flut an gesellschaftlichen Problemen erschlagen werden. Es ist also erst einmal nicht schlimm, Angst herunterzuspielen. Es ist nur schlimm, wenn man danach handelt – oder besser gesagt: nicht handelt –, also die Klimakrise ignoriert.

Kann Klimaangst zu Extremverhalten führen, wie zuletzt kurz vor der Bundestagswahl, als junge Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen in Berlin in einen Durst- und Hungerstreik getreten sind?

Ich finde es dramatisch, dass es so weit kommen musste. Aber Klimaangst allein ist sicher nicht dafür verantwortlich. Psychologisch könnte das auf das riesige Ausmaß der Klimakrise und die gleichzeitig fehlende Aussicht auf adäquates politisches Handeln zurückzuführen sein.

Trotzdem hat keine der gerade für eine Ampelkoalition verhandelnden Parteien Lösungsvorschläge, wie das 1,5-Grad-Ziel umgesetzt werden kann. Könnte allein das die Klimabewegung radikalisieren?

Wenn politische Bewegungen nicht gehört werden, kann es tatsächlich zu Radikalisierung oder Resignation kommen. Beides ist aber in der Klimabewegung noch nicht die Regel. Als gefährlich empfinde ich das sogenannte Sich-Verschließen, den Fokus auf die eigene Bubble und den Rückzug ins Private.

Wer ist gefährdet, wenn sich Menschen verstärkt ins Private zurückziehen?

Unsere Demokratie. Diese ­beruht nämlich auf Partizipation.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 3G
    34936 (Profil gelöscht)

    Das Klima ist Folge natürlicher Gesetzmäßigkeiten und zuweilen auch Zufall. Der Mensch ist mit seinem Verhalten Teil der Ursachenkette, ein Rädchen im Getriebe des Klimas.

    Der Mensch steht aber nicht am Steuerknüppel. Da überschätzt er sich mal wieder gewaltig.

    Die Erde ist keine Scheibe und der Mensch nicht der Mittelpunkt des Universums.

    • @34936 (Profil gelöscht):

      Dieser Ansicht widersprechen quasi alle seriösen Wissenschaftler*innen, die sich mit dieser Frage befassen.



      Sie, aber, wissen es besser?

      • 3G
        34936 (Profil gelöscht)
        @J. H.:

        Ja.

  • 3G
    34936 (Profil gelöscht)

    Wer heute Klimaangst hat,



    der hätte vor 40 Jahren



    Pershingangst gehabt.

    Das Klima ist nur der Steigbügelhalter, aber nicht die Wurzel des psychopathischen Problems.

    • @34936 (Profil gelöscht):

      Andersherum gedacht:

      es gab auch früher schon erstzunehmende, existentielle Bedrohungen.

      Meine Mutter hatte als Kind Angst, dass der Kalte Krieg "heiß" werden könnte. Ich hatte als Kind mit Tschernobyl und saurem Regen zu tun.

      Die heutige Bedrohung durch die Klima-Krise entspricht mittel- und langfristig der Bedrohung durch einen weltweiten Atom-Krieg.

      Ich finde das selber schwer zu fassen, und neige auch zu Verdrängung, aber,



      die Angst ist berechtigt, auch wenn individuelle psychische Konstitutionen uns unterschiedlich damit umgehen lassen...

      • 3G
        34936 (Profil gelöscht)
        @J. H.:

        Zukunftsängste sind virtuell.

  • Sehr vereinfachte Sicht.



    Ist der Hungerstreik von Jugendlichen nicht bereits ein Beispiel für erschreckende Überreaktion?



    die-korrespondente...koerper-als-waffe/

  • Erschreckend, wie hier eine vermeintliche Fachkollegin die politische Brille nicht absetzen kann und das Feuer noch schürt, welches sie eigentlich löschen müsste. Das in einer aufgeklärten Welt solches möglich ist, überrascht. Natürlich ist der Klimawandel ein Problem, aber keines, welches echte Zukunftsangst rechtfertigt. Wer Angst het, handelt eben nicht mehr rational und vernünftig sondern rasch panisch und vermutlich falsch.

    Eine persönliche Klimaangst ist irrational und kann zu großem Leid führen. Solche Ängste sind der Menschheit nicht fremd, rühren aber in der Regel aus mystischer Unkenntnis her, wodurch vorhandene Gefahren über- und unterschätzt werden. Daraus kann auch eine Massenhysterie werden.

    Also, wenn unsere Kinder aufgrund mangelnder Validierung durch Erwachsene zunehmend ängstlich durch die Wlt laufen, dann sollte man dagegen steuern. Es gab schon genug Generationen "No Future", die mehr oder weniger Unsinn veranstaltet haben.

    Was glauben Sie eigentlich, was Millionen junge Menschen - quasi suizidal geworden - in Kriege und Tod treibt? Es ist Angst vor dem Feind, der ansonsten ...

    • @TazTiz:

      Ich denke, was junge Menschen vor allem in Krieg und Tod treibt, oder auch radikalisiert, ist eine fehlende Zukunftsperspektive.

      Lesen Sie eigentlich die TAZ auch, oder kommentieren Sie nur?

      Wo waren Sie in den letzten Monaten/Jahren, wenn Sie behaupten, der Klimawandel sei keine reale Bedrohung?

      Die Großbrände in vielen europäischen Ländern, die Flut-Katastrophe in Deutschland, ganz zu schweigen von den klimabedingten Veränderungen auf anderen Kontinenten.

      Was hat das bitte mit Mystik zu tun?!

    • @TazTiz:

      "Erschreckend, wie hier eine vermeintliche Fachkollegin..."



      Kennen Sie die Bedeutung von *vermeintlich*? (Ohne Ihnen auch noch etwas zu unterstellen)

      • @zeroton :

        "Vermeintlich" weil der therapeutische Auftrag/Anspruch in politische Agitation umgedeutete wird. Die genannte Psychotherapeutin ist in eigener Praxis und nicht in der Wissenschaft oder Forschung tätig. Inwieweit sie qualifiziert ist, o.g. Feststellungen und Behauptungen zu treffen, sei dahin gestellt. Somit "vermeintlich" oder dem Anschein nach.

        • @TazTiz:

          Sie haben aber *vermeintliche Fachkollegin* geschrieben und nicht vermeintliche Expertin für psychotherapeutische Öffentlichkeitsarbeit.

        • @TazTiz:

          Dem möchte ich widersprechen:

          Unsere Psyche ist nicht losgelöst von der Welt in der wir leben.

          Eine Therapeut*in, die eine begründete Angst versucht wegzutherapieren, wäre fachlich fragwürdig; Genauso wie eine Therapeut*in, die ihren Klient*innen Angst einredet (worauf es aber in diesem Interview keinerlei Hinweise gibt).

          Nur eine Therapeut*in, die eine Angst ernst nimmt, kann dann mit der Klient*in sowohl einen Umgang mit der Angst erarbeiten, als auch erforschen, welche ausgelösten Gefühlszustände oder disfunktionalen Lösungsversuche im Zusammenhang mit dem Thema eventuell auch noch andere Ursprünge haben.

        • 3G
          34936 (Profil gelöscht)
          @TazTiz:

          Sie ist noch vergleichsweise jung und braucht das Geld.

    • @TazTiz:

      Was wäre denn Zukunftsangst gerechtfertigt?

  • Umgekehrt wird ein Schuh daraus.

    Es ist an der Zeit, dass wir die Leugner und (noch schlimmer) die Verharmloser und die magisch Denkender (Lindner? Merz? Laschet? Scholz?) unter pathologischen Aspekten betrachten. Mit Gefährdungspotenzial.

    • @tomás zerolo:

      Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin pro-Klimaschutz, aber jene, welche sie als Leugner, Verharmloser und magisch Denkende bezeichnen, vertreten die Mehrheit d. Gesellschaft.

      Bei den letzten Wahlen haben ca. 20% d. Bevölkerung für stärkeren Klimaschutz gestimmt. Der Rest hat dagegen gestimmt.

      Das sind halt die Fakten, weswegen ich hier mit Harald Welzer bin: Wir werden weder irgendwelche 1,5° noch 2° Ziele erreichen, daher macht es viel Sinn sich zu überlegen, wie man langfristig mit einer erhitzten Welt umgehen wird können, und wie man dann schrittweise die Wirtschaft herunterfährt (wenn sie nicht davor von selbst zusammenbricht, was mir wahrscheinlicher erscheint).

      • @Shasu:

        Man sollte also nicht ein Narrativ vorbereiten, das ein klimapolitisches Versagen der nächsten Regierung bereits entschuldigt bevor diese überhaupt angetreten ist.

        Auch die 20% haben wie der Rest der Wähler gestimmt für einen Klimaschutz der nicht weh tun darf.

        Spahn war mit Corona bereits sehr effektiv. Das kann also auch mit dem Klima klappen und den Grünen 🤓

      • @Shasu:

        "daher macht es viel Sinn sich zu überlegen, wie man langfristig mit einer erhitzten Welt umgehen wird können"



        Die Antwort gibt es längst: gar nicht. Genau diese Überlegung ist nämlich der Hintergrund der 2° Grenze. Bis dahin wird eine Anpassung nach Stand der Wissenschaft noch für möglich gehalten, wenn auch unter massiven sozialen, politischen, ökonomischen und vA ökologischen Verwerfungen. Jenseits der 2° werden die Folgen der Erderwärmung derart massiv, dass ein Umgang damit schlicht nicht mehr möglich ist.

        • @Ingo Bernable:

          Kurz nur vorweg. Mich brauchen Sie nicht von 1,5° Zielen zu überzeugen. Mein Kommentar bezog sich rein auf das aktuelle nationale und internationale politische Geschehen, und die Möglichkeit solche Ziele zu erreichen.

          "Jenseits der 2° werden die Folgen der Erderwärmung derart massiv, dass ein Umgang damit schlicht nicht mehr möglich ist."

          Das würde ich so anzweifeln. Es ist richtig, dass die Wahrscheinlichkeiten für Dürren, Unwetter etc. pp. prozentual zunehmen werden, und dass die Meerespiegel weiter ansteigen werden, und, und...

          Aber, nix davon bedeutet die Ausrottung der menschlichen Rasse. Daher wird man damit umgehen können bzw. müssen. Aber, wenn Sie sich mit der Aussage auf das heutige Wirtschaftssystem beziehen, dann gebe ich Ihnen gerne recht. Dieses entweder stark reduziert wird oder einbrechen.

          (Eigentlich die einfachste Lösung von allen: De-Growth)

          Aber, dass der Status Quo noch die nächsten paar Jahrzehnte gehalten werden kann glaubt keiner der sich mit dem Thema etwas beschäftigt. Problem ist nur: Viele tun es nicht, und stecken da lieber den Kopf in Sand. Eine vollkommen natürliche Abwehrreaktion gegen Änderung (was auch mit ein Grund für einen zunehmenden Rechtsruck in der Gesellschaft ist).

      • @Shasu:

        Sie glauben wirklich dass selbst in einer Dystopie die Menschen aufhören werden zu handeln und zu konsumieren?

        • @Karlchen:

          Nein? Die Menschen haben vor paar tausend Jahren auch schon gehandelt und konsumiert. Nur war die Skala eine andere.

          Ich glaube nicht, dass die Klimakatastrophe die Menschheit ausrotten wird. Ich glaube aber auch nicht, dass man bei 2°, 3°, oder was auch immer noch 8 Mrd. Menschen auf diesem Planeten haben wird. Und die amerikanischen Geheimdienste geben mir da auch recht durch ihre letzte Einordnung d. Gefahr durch die Klimakatastrophe.

          Wir wissen alle was passiert wenn Ressourcen knapp werden. Und Trinkwasser, fruchtbarer Boden sind genauso Ressourcen wie Öl oder Gas.

  • Pathogen ist der Klimawandel. Symptomatisch ist aber auch, dass Leugner und Beschwichtiger jeden Versuch unternehmen, Aktivisten und Sympathisanten als krank darzustellen. Allen voran ist Greta Thunberg diesem ausgesetzt. Hysterie und Angst sind semantische Geschwister. Zweiteres muss aber nicht in Ersteres münden, und es ist schade, dass eine völlig natürliche erst einmal nicht pathogene Gefühlsregung sofort als krank dargestellt wird. Und so schnell gerät eine Bewegung in Selbstzensur, wo doch die Verleumdungssucht derer, die da Krankheit attestieren, die eigentliche Krankheit ist.



    Nichtsdestotrotz darf man eine zumindest aufkommende Dysthymie durch den Klimawandel nicht leugnen, sondern Betroffene sehr ernst nehmen, denn die Gründe dafür sind zu einem Großteil exogener Natur. Einem jungen Menschen eine schwer gestörte zukünftige Umwelt in Aussicht zu stellen, wem könnte man seinen Missmut verdenken? Sei es drum: Statt "Klimaangst" schlage ich eine normale Reaktion darauf vor, die "Klimawut".