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Psychologin zur Coronakrise„Weihnachten ist die Heilige Kuh“

Die Akzeptanz der Coronamaßnahmen hat viel mit Vertrauen zu tun, so die Gesundheitspsychologin Cornelia Betsch. Die Krise erfordere Anpassung.

Corona im Weihnachtsambiente Foto: Christian Ohde/imago
Interview von Daniel Godeck

taz: Frau Betsch, die Weltgesundheitsorganisation konstatiert länderübergreifend eine pandemic fatigue, eine Pandemiemüdigkeit. Seit Ausbruch im Frühjahr befragen Sie und Ihr Team alle ein bis zwei Wochen Menschen in Deutschland zur Coronapandemie. Rückt das Virus auch bei den Leuten hierzulande in den Hintergrund − trotz zweiter Welle?

Cornelia Betsch: Wir haben über den Sommer hinweg tatsächlich eine gestiegene Pandemiemüdigkeit festgestellt. Also der Anteil der Leute, die wenig Risiko wahrnehmen und wenig Schutzverhalten zeigen, war gestiegen. Durch die erhöhten Fallzahlen im Spätherbst ist die pandemic fatigue aber wieder zurückgegangen.

Das Virus wird wieder ernster genommen?

Die Risikowahrnehmung ist jetzt ungefähr so hoch wie Mitte April − bei heute deutlich mehr Fallzahlen. Insofern ist die Risikowahrnehmung jetzt im Verhältnis niedriger als zu Beginn der Pandemie. Man gewöhnt sich doch wieder sehr schnell an die hohen Zahlen.

Im Interview: Cornelia Betsch

41, ist Gesundheitspsychologin und Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt.

Der seit Anfang November geltende Teillockdown stößt also auf weniger Akzeptanz als die viel weiter gehenden Einschränkungen im Frühjahr?

Also im Frühling hatten wir alle einfach mehr Angst. Da wusste man insgesamt sehr wenig über das Virus. Stark einschränkende Maßnahmen wie Schulschließungen waren da relativ gut akzeptiert. Aber ab April ging das wieder deutlich runter. Ab Mitte Oktober ist die ganze Akzeptanz von solchen Maßnahmen wieder deutlich gestiegen. Mit Ausnahme der Schulen, da sagen die meisten Leute schon: Die wollen wir nicht alle vorsorglich schließen.

Am Mittwoch werden Bund und Länder erneut beraten. Bei dauerhaften Maßnahmen wie den AHA-Regeln ist die Akzeptanz ja durchgehend hoch. Was muss gewährleistet sein, damit auch zeitlich begrenzte Freiheitseinschränkungen oder die Schließung von Kneipen akzeptiert werden?

Der Faktor, der überall mitspielt, ist Vertrauen in die Institutionen. Wer mehr Vertrauen hat, stimmt dem Ganzen auch eher zu oder macht freiwillig mit. Auch die Einheitlichkeit von Regeln ist wichtig, und je besser die Leute darüber Bescheid wissen, desto eher halten sie sich daran. Was auch relevant ist: Die Leute, die mehr Sorgen haben oder sich mehr fürchten, machen häufiger mit. Insgesamt sind das eher Frauen, ältere Leute und Menschen in kleineren Städten.

Was bedeutet es für die Akzeptanz, wenn − wie bislang − trotz strenger Maßnahmen die Zahl der Neuinfektionen kaum zurückgeht? Der Erfolg also auf sich warten lässt?

Dass Zahlen nicht runtergehen, obwohl man sich einschränkt, kann zu gefühlter Hilflosigkeit führen. Und die ist schlecht für die Akzeptanz und die Bereitschaft mitzumachen. Schneller Erfolg ist leider etwas, das es kaum gibt in dieser Pandemie. Aber auch das Wissen um langfristige Konsequenzen ist wichtig.

Haben Sie ein Beispiel?

Nur 50, 60 Prozent der Leute wissen, dass je früher die Maßnahmen beginnen, desto schneller können sie aufgehoben werden und desto weniger Schaden richten sie an. Wer das aber weiß, akzeptiert auch eher die Maßnahmen. Und: Überall, wo es nur Gebote und keine Verpflichtungen gibt, brauchen wir massig Verhaltensbeispiele, das schafft auch Sicherheit. Ich weiß aber nicht, woher die kommen sollen …

… Medien wie die taz kennen ja seit Beginn der Pandemie kaum ein anderes Thema. Auch die Regierung fährt breite Aufklärungskampagnen, Kanzlerin und RKI-Präsident melden sich häufig zu Wort. Das Vertrauen in diese Institutionen ist Ihren Befragungen zufolge ja auch sehr hoch.

Aber die Informationen können nicht nur von denen kommen. Es gibt immer 25 Prozent, die sagen: Ich lehne die Maßnahmen ab, und vertraue diesen Institutionen nicht. Die aber trotzdem wissen wollen, was sie machen sollen. Deswegen braucht es viel mehr Beteiligung anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen. Kirchen, Vereine, Arbeitgeber. Vielleicht müssen Bäcker Informationen auf ihre Tüten drucken. Im besten Fall kommen die Informationen von alleine ins Haus auch zu denen, die nicht selbst danach suchen.

Bemerkenswert: Eine große Mehrheit gibt an, gegenwärtig auf private Feiern zu verzichten. Bei Weihnachten sieht das völlig anders aus.

Also Weihnachten ist so ein bisschen die Heilige Kuh. Das hatte ich selbst etwas unterschätzt. Wir haben die Leute nach Ideen gefragt, wie sie Weihnachten sicher feiern wollen. Und ohne dass sie danach gefragt wurden, haben 10 Prozent gesagt: Wehe, es gibt Verbote! Bei Partys war das total anders, da sagten viele: Ja, muss man halt verbieten. Weihnachten aber nicht.

Was schließen Sie daraus?

Man sollte Weihnachten nicht als Karotte vor unsere Nase hängen, und sagen: Wenn ihr alle schön brav seid, dann gibt es Weihnachten − um dann ein oder zwei Wochen vorher zu sagen: Wird leider doch nichts. Dann lieber jetzt nicht in Aussicht stellen und damit sehr sensibel umgehen – momentan passiert das auch weitgehend so.

Zum Schluss: Was haben Sie in den Befragungen am meisten über die Menschen gelernt?

Vor allem ihre große Anpassungsfähigkeit. Dass die Leute nicht aufgeben und nicht verzweifeln, ist ja erst mal etwas Hoffnungsvolles. Wir sehen in den Daten aber auch: Die Leute reagieren erst, wenn etwas passiert. Das sagt wiederum über andere Krisen viel aus, die Klimakrise etwa. Solange es bei uns nicht ins Haus reinregnet oder stürmt, ist es uns egal. Unser Land wird kaum unter dem Meeresspiegel verschwinden. Die Klimakrise hat da kaum eine Chance. Dass Lernen durch schmerzhafte Erfahrung so relevant ist, ist eigentlich ein bisschen traurig.

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11 Kommentare

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  • Vielleicht sollte man eher sagen "Weihnachten ist der Guayota".

    Aber der altkanarische Herr der Unterwelt, zu dessen Beschwichtigung die Guanchen ihre "Alten und Vorerkrankten" in Vulkankrater und Schluchten warfen, um anschließend mit einem Festmahl das Leben zu feiern, ist leider nicht allgemein bekannt.

  • Nun, wenn ich die Nachrichten recht verstanden habe, planen ca, 50 Millionen US-Amerikaner anläßlich Thanksgiving, der Tradition folgend eine Reise zu Verwandten. Lehnen wir uns also ganz gelassen zurück und beobachten, wie sich die Corona-Infektionszahlen runde 10 Tage nach dem Zelebrieren der Familientreffen entwickeln. Die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen werden dem jeweilig intelligenzgestützen Ausprägungsgrad an Vernunft der Menschen auch hierzulande angemessen sein. ;-) Und bis Weihnachten bleibt für Überlegungen dann noch genügend Zeit.

  • Die gesamte Diskussion über Weihnachten oder Silvester hätte man sich schenken können, wenn man über den Sommer eine vernünftige, einheitliche Strategie entwickelt hätte und nicht schon kurz nach dem ersten Lockdown wieder fast Alles genehmigt hätte.

    Urlaubsreisen in Rikogebiete, öffentliche und private Großveranstaltungen, keine Aufstockung im ÖPNV, seit Jahren bekannte Zustände in den Schlachthöfen und bei Saisonkräften, mangelhafte Testverfahren und Datenübermittlung.

    Es war für jeden abzusehen, dass jetzt im Herbst genau diese Situation eintritt. Und wenn die Menschen zunehmend verärgert sind, dann ist das nicht zuletzt ein Ergebniss dieser Nachlässigkeiten und gleichzeitigem Verkünden von "Alternativlosigkeiten".

    Die meisten Menschen sind durchaus bereit einfache Regeln zu befolgen und Beschränkungen zu akzeptieren. es muss aber auch erkennbar sein, dass diese einer sinnvollen Strategie folgen.

  • Ich feiere schon seit vielen Jahren Weihnachten alleine, einfach weil ich es möchte. Für mich ist Weihnachten das, was es ursprünglich feiert: Gottes Menschwerdung.

    Das Problem ist aber nicht nur, dass die wenigsten Menschen tatsächlich Weihnachten feiern, sondern einfach ein Familienfest mit zig Traditionen, die sich eingebürgert haben, sondern dass uns auch regelmässig suggeriert werden soll, dass dieses Fest DAS Fest mit Familie sei - und wehe, man ist allein. Alleinsein wird hier nicht selten ausschliesslich als Einsamkeit definiert und diese allein negativ konnotiert, was schon in Zeiten ohne Corona ein Problem darstellt. Denn dadurch ist das Fest so aufgeladen, dass es einiger Arbeit bedarf, es wieder zu "entladen".

    Ich habe das schon vor vielen Jahren getan und geniesse das, ganz ohne Baum, Geschenken und anderen Dingen, die tatsächlich wenig mit dem Ereignis der Weihnacht zu tun haben. Aber natürlich ist es ein Unterschied, ob sich ein Mensch freiwillig und mit Freude daran macht, oder ob es durch ein Pandemie erzwungen ist. Jedoch halte ich es für hochproblematisch, das Fest dermassen aufzuladen, so dass dieser Schritt schwerer und schwerer wird. Das Virus ist nicht gläubig und es macht auch keinen Unterschied zwischen (religiösem) Fest und Alltag.

    Es ist also mehr als Unsinnig, Ausnahmen für das Fest einführen zu wollen, mit dem wahrscheinlichen Ergebnis, dass das Festessen mit Familie und/oder Freunden für nicht wenige zur Henkersmahlzeit werden kann.

    P.S.: Gott - so man denn daran glaubt - hat uns unseren Verstand nicht dafür mitgegeben, dass wir ihn ungenutzt zurückgeben!

  • Die Risikowahrnehmung ist jetzt ungefähr so hoch wie Mitte April.



    Dies kann ich in meinem Umfeld so nicht wahrnehmen. Im März/April Unsicherheit und Angst, jetzt Unverständnis und Verärgerung.

  • "Heilige Kuh Weihnachten"



    die heilige Kuh und mit das größte Infektionsrisiko sind seit dem Frühjahr die Urlaubsfahrten. Wie schön war es im Frühjahr als die Flughäfen so gut wie geschlossen waren. Aber nein, Statussymbol Urlaub darf ja nicht ausfallen.

  • Ich hoffe, dass bald alles besser wird.

  • Ich kann jetzt schon vorhersagen wie die Kurven 2-3 Wochen nach Weihnachten im Januar 2021 aussehen werden... von wegen Eigenverantwortung und so

    • @danny schneider:

      Richtig – und dann noch einmal eine Woche drauf nach dem eigenverantwortlichen Silvester ...

      • @Markus Wendt:

        Mir erschließt es sich auch nicht, wieso die CDU-regierten Länder gegen das generelle Böllerverbot an Silvester sind. An den paar Steuern, die da eingenommen werden bzw. wegfallen würden, kann es nicht liegen. Ich sage voraus, dass an Silvester die Zahl der Unfälle und Brände die Rettungskräfte und Krankenhäuser wieder beanspruchen/belasten werden - zusätzlich zu Corona. Auf der einen Seite müssen Gastronomen und Hotels, die Maßnahmen gegen Infektionen getroffen haben, schließen, auf der anderen Seite darf in Gruppen herumgestanden, gesoffen und rumgeballert werden. Kein Wunder, dass viele den Sinn der Anti-Corona-Maßnahmen in Frage stellen.

        • @Jossi Blum:

          Die Länder sind mehrheitlich gegen ein Böllerverbot, weil dieses selbst mit Mobilisierung des allerletzten Hilfspolizisten nicht ansatzweise in der Fläche durchsetzbar wäre. Es wäre ein einziger Offenbarungseid der Ohnmacht des (Rechts?)Staates, gegen den punktuelles Versagen wie die unsägliche "Silvesternacht von Köln" wie ein Lärcherlschaas wirken würde.



          Das hat nicht unbedingt etwas mit der CDU als solcher zu tun.