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Prozess wegen AntisemitismusGil Ofarim legt Geständnis ab

Überraschende Wende: Ofarim gesteht, eine Falschaussage getroffen zu haben, und bittet um Entschuldigung. Der Zentralrat verurteilt Ofarims Verhalten.

28.11.2023, Leipzig: Gil Ofarim (M.) steht im Saal des Landgerichts zwischen seinen Verteidigern Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Leipzig taz | Es dauert auffällig lange, bis sich am Dienstag alle Beteiligten im Prozess gegen Gil Ofarim im Saal des Landgerichts Leipzig einfinden. Während dieser rund zweieinhalb Stunden des Wartens sind die Zu­schaue­r*in­nen merklich unruhig geworden. Dann wird der Grund für die Verzögerung klar: Alle Zeu­g*in­nen wurden ausgeladen, da der Angeklagte zu einer Aussage bereit ist. Gespannte Stille erfüllt den Raum. Nach kurzen technischen Problemen benötigt Gil Ofarim dann nur wenige Worte: „Die Vorwürfe treffen zu. Herr W., ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Es tut mir leid. Ich habe das Video gelöscht.“ Ohne zu zögern, nimmt W. die Entschuldigung an.

Der Hotelmanager W. trat in dem Verfahren gegen Ofarim als Nebenkläger auf. Der jüdische Musiker hatte W. im Oktober 2021 in einem Internetvideo vorgeworfen, ihn antisemitisch beleidigt zu haben. Der Hotelmitarbeiter bestritt das, der Fall landete vor Gericht. Ofarim musste sich unter anderem wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung verantworten.

Am Dienstag nun stimmte die Verteidigung einem Vergleich über Schmerzensgeldansprüche zu; das Verfahren wurde vorläufig eingestellt. Die Entscheidung begründete der Vorsitzende Richter Andreas Stadler mit der Glaubhaftigkeit des Geständnisses Ofarims, auch in Anbetracht der vorgelegten Beweise und Zeug*innenaussagen.

Weiterhin führte er aus, dass Ofarim dem Kampf gegen Antisemitismus erheblichen Schaden angetan habe. Deswegen muss der Musiker 10.000 Euro zahlen – jeweils 5.000 an die Jüdische Gemeinschaft zu Leipzig und an den Trägerverein des Hauses der Wannseekonferenz. Wenn das Geld innerhalb eines halben Jahres dort eingeht, ist das Verfahren endgültig eingestellt. Gleichzeitig betonte der Richter den Mut Ofarims, sich zu entschuldigen. Um den Ruf des Hotelmanagers wiederherzustellen, sei das wichtiger als ein Urteil durch ein Gericht.

„Antisemitismus ist eine Tatsache“

Richter Andreas Stadler stellte zudem klar, dass es in dem Fall keineswegs nur Verlierer gebe. Sondern das Gegenteil sei der Fall: Die Gesellschaft wisse nun die Wahrheit, Hotelmanager W. sei durch die Entschuldigung rehabilitiert und Ofarim habe durch sein Geständnis die Chance auf einen Neustart. Sie alle seien die Gewinner. Stadler endete mit den Worten: „Eines bleibt, wie es war: Antisemitismus ist eine Tatsache. Der Kampf dagegen ist eine Aufgabe.“

Dies unterstrich auch der Zentralrat der Juden in einer Reaktion auf das Ende des Prozesses. Ofarim habe nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die jüdische Gemeinschaft belogen und all denjenigen geschadet, die tatsächlich von Antisemitismus betroffen seien. Denn gerade in der aktuellen Situation würde der gesellschaftliche Antisemitismus zunehmen. „Wir verurteilen das Verhalten von Gil Ofarim“, hieß es in einer Mitteilung.

Der Vertreter der Nebenklage, Daniel Baumgärtner, betonte, sein Mandant, Hotelmanager W., sei froh, dass „die Wahrheit ans Licht gebracht werden konnte“ und er nun endlich sein Leben normal fortsetzen könne. Verteidiger Alexander Betz betonte hingegen, dass Ofarim unbescholten sei. „Die Beweislage war unübersichtlich und am Schluss hatte unser Mandant keine Kraft mehr.“ Beide Seiten wollten zu dem genaueren Inhalt des Vergleichs keine Aussage treffen.

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22 Kommentare

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  • Generation "Social Media & Shitstorm"

    Ob sich wohl auch die Demonstranten entschuldigen, welche übelst über das Hotel und sein Personal hergezogen sind?

  • Bärendienst



    Herr Ofarim hat den Juden in Deutschland und sich selbst mit seiner Lüge einen Bärendienst erwiesen. Dafür ist er meines Erachtens mit einer Geldstrafe viel zu mild davon gekommen.



    Der Hotelmitarbeiter, unschuldig, musste schlimme Monate durchleben.



    Ofarim hat sich auch selbst einen Bärendienst erwiesen, so eine "Künstler" will keiner mehr sehen.



    Wer zahlt jetzt eigentlich den enorm teuren Prozess?

  • Oh je. Wie ich schon sagte in beide Richtungen, abwarten. So wurde aus einem Fehlverhalten, welches auf hysterische Resonanz bis in die Politik a la Deutschland stieß, durch Medien eine Riesenangelegenheit. Hätte es nicht werden dürfen. Nach Tatsachenfeststellung kann man sich aufregen oder es bleiben lassen. Lernt man hier wohl nie.



    Am Angestellten klebt Makel sicher weiterhin aus Sicht mancher, an Ofarim sowieso, dann wird die jüdische Gemeinschaft mit reingezogen weil er, warum auch immer, die Karte gezogen hat. Ziemlicher Mist. Er hat für sich gehandelt, das ist seine Privatsache, hoffe es wird nicht propagandistisch ausgeschlachtet.

    • @sachmah:

      Das Thema wird propagandistisch ausgeschlachtet seit Ofarim genau das mit seinem Video getan hat.

  • Warum behauptet jemand so etwas? Und warum behält er diese Behauptung bis zum Schluss aufrecht, um dann in einer dramatischen Kehrtwende ein Geständnis abzulegen? Was stimmt mit dem nicht?

    Wie auch bei mehreren sogenannten Metoo-Fällen der letzten Zeit, bei denen es am Ende zu Freisprüchen oder nicht mal zu einer Anklage kam, wurde hier von Medien sehr schnell geurteilt und aus einzelnen Vorfällen, die es gar nicht gab, ein gesellschaftliches Phänomen behauptet.

    Da hat sich auch die taz nicht positiv hervorgetan: "Ein jüdischer Künstler hat in Leipzig nun einen dieser Ausbrüche von Judenhass öffentlich gemacht. Ein Hotelmitarbeiter wollte ihn, den durch ein Kette mit Davidstern sichtbaren vorgeblich Fremden, nicht einchecken lassen – jedenfalls nicht mit sichtbarer Kette. Das ist purer Judenhass." (taz.de/Alltaeglich...5801720&s=Ofarim/) Dieses Zitat lässt keinen Zweifel zu, dass es sich so zugetragen hat, es gibt keine Unschuldsvermutung. (Nach der Unschuldsvermutung ruft derselbe Autor erst dann sehr explizit in einem späteren Kommentar, als gegen Ofarim ermittelt wird).

    Ich würde mir wünschen, dass mein Kommentar trotz Kritik an der taz veröffentlicht wird und dass es hier vielleicht auch noch eine demütige Klarstellung gibt. Unschuldsvermutung ist eben auch für die Medien wichtig.

    • @Ruediger:

      Danke!



      Zeigt mal wieder auf wie wichtig es ist, unvoreingenommen zu berichten.



      Dieser Wichtigtuer hat der Debatte einen unglaublichen Schaden zugefügt.

  • Unabhängig von möglichen Konsequenzen können wir jetzt über das warum sinnieren...

  • Der Fall zeigt mehrere Dinge:

    1. Wie schnell Vorverurteilung geht und zwar in zwei Richtungen: Erst der Hotelmanager, dann Ofarim. Man mag sich die Kommentare unter den Artikel der taz anschauen, die vor zwei Jahre geschrieben wurde.

    2. Die persönliche Vorverurteilung (also ich als Privatperson bin der Auffassung, dass ...) ist damit nicht gemeint, sondern die mediale/öffentliche. Diese führt zu einer extremen Belastung eines Unschuldigen. Im konkreten Fall auch die Demonstrationen vor dem Hotel, in dem es darum ging, empört zu sein und jeder Versuch des Hotels, etwas gut zu meinen, als (weiteren) Beleg für Antisemitismus gedeutet wurde, um sich weiter empören zu können.

    3. Das mediale Reichweite als Druckmittel eingesetzt wird und missbraucht werden kann.

    4. Das man Unrecht klar als Unrecht benennen kann, auch wenn man (vermeintlich) zu einer Seite halten muss (Statement des Zentralrats).

    5. Eine Person, die sich als Opfer aufführt ohne Opfer zu sein, schadet einer guten Sache mehr wie 100 Gegner.

    • @Strolch:

      Fairerweise sei gesagt: Ich bin fest davon überzeugt dass die Demonstranten von damals heute abend (oder spätestens am Wochenende) wieder zu einer Kundgebung vor dem Hotel erscheinen und um Entschuldigung bitten werden

      • @Questor:

        Ja, da bin ich mir auch ganz sicher ;)

    • @Strolch:

      Zu Punkt 3 würde ich noch ergänzen, wie naiv etablierte Medien und professionelle Journalisten mit Informationen aus Social Media umgehen - Reichweite hin oder her.

  • Am Ende ein Sieg der Gerechtigkeit. Es war nicht immer einfach, hier still zu sitzen und ruhig zu bleiben. Es hat dem Antisemitismus nicht beseitigt. Geholfen, dass dies zukünftig weniger wird, hat es leider nicht.

  • Ofarim hat der jüdischen Gemeinde einen großen Schaden zugefügt. Er hat versucht, sich aus Eitelkeit als Opfer darzustellen und aus der rechten Ecke kommen jetzt erst recht die allzu bekannten Vorurteile gegen "die Juden" . Mag sein, das mit diesem Geständnis Ofarim moralisch etwas an Reputation zurückgewinnt. Der wahre Gewinner ist der Hotelmanager, der vermutlich schlimmsten Anschuldigungen ausgesetzt war.



    Verlierer ist die Jüdische Gemeinde und erst recht all jene, die tatsächlich Antisemitischen Äußerungen ausgesetzt sind weil ....."die lügen doch alle".

  • Warum um alles in der Welt hat er das gemacht?

  • Auch Verteidiger Alexander Betz betonte, dass Ofarim unbescholten sei. „Die Beweislage war unübersichtlich und am Schluss hatte unser Mandant keine Kraft mehr.“

    Moment, erklärt der Anwalt gerade dass Ofarim sein Schuldeingeständnis nicht ernst gemeint hat, sondern nur nicht mehr die Kraft hatte für die Wahrheit zu kämpfen?

    • 4G
      47351 (Profil gelöscht)
      @Questor:

      Er hatte nach dem vorläufigen Ergebnis der Beweisaufnahme keine Aussicht mehr gesehen, das die Geschichte geglaubt wird. Dabei hatte sich die Verteidigung doch solche Mühe gegeben, die Integrität des verleumdeten Zeugen W. in Zweifel zu ziehen.

      Reue ist nicht so sehr das Bedauern des Bösen, was wir getan haben, sondern die Furcht vor dem, was uns daraus erwachsen kann (La Rochefoucauld).

  • Ich weiß, falsche Anschuldigungen und Lügen sind was schlimmes. Aber hear me out!

    In Zeiten wie diesen, in denen Juden nicht mehr frei auf der Straße ihre Religion ausüben, weder einen Davidsstern um den Hals, noch eine Kippa tragen dürfen, ohne schief angeschaut zu werden kann auch ein Ofarim empfindlich reagieren. Dann sind falsche Anschuldigungen mal schnell passiert. Er hat sich entschuldigt und man sollte Verständnis zeigen. Über diese Übersensibilität dürft ihr euch übrigens bei den wahren Peinigern von damals bis heute bedanken, die die jüdische Bevölkerung grundlos schikaniert.

    Und ja, als radikaler Anti-Antisemit werde ich wieder alleine mit meiner Meinung stehen. Aber das macht mir nix. Als Deutscher habe ich die moralische Verpflichtung so zu handeln, weil unsere Geschichte so grausam war.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Ich stimme Ihnen sogar zu. Aber um Herrn Ofarim geht es hier gar nicht. Was ist mit der Meute, die eine völlig unbewiesene Anschuldigung aufgenommen und als bewiesene Tatsache behandelt hat? Vor solchen Menschen habe ich Angst und es sind sehr, sehr viele.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Naja. Ich wäre bei Ihnen, wenn die Entschuldigung nach 2Tagen, 2 Wochen oder wegen mir 2 Monaten gekommen wäre. Aber nach 2 Jahren. Ganz kurz: warum muss ein Hotelangestellter dafür herhalten?

    • @Troll Eulenspiegel:

      "Dann sind falsche Anschuldigungen mal schnell passiert." Ich glaube da sind Sie tatsächlich etwas zu nachsichtig mit dem Herrn Ofarim.



      Das aufnehmen und hochladen des Videos könnte man eventuell ja noch als eine Kurzschlussreaktion durchgehen lassen, aber dabei ist es ja nicht geblieben. Ofarim hat zwei Anzeigen gegen den Mitarbeiter erstattet. Er hat zwei Jahre lang darauf bestanden Opfer zu sein. Trotz der hohen Wellen die sein Video geschlagen hat.



      das waren deswegen eben nicht nur mal eben schnell gemachte Anschuldigungen.

  • Herr Ofarim hat kluge Anwälte, die erkannt haben, dass der Prozess nicht zu gewinnen ist und ihm dann geraten, ein Geständnis abzulegen. Die Entschuldigung ist in meinen Augen wertlos. Sie kommt nicht von Ofarim selbst, sondern von den Anwälten, um mit dem kleinstmöglichen Schaden herauszukommen.

    Hilft auch dem Hotelangestellten, der in den Augen der in Rekordzeit vor dem Hotel versammelten "wehrhaften Zivilgesellschaft" der klare Täter war und Morddrohungen erhielt, allerdings auch nicht wirklich weiter.

    • @SeppW:

      Wenn ich dem ganzen etwas Gutes abgewinnen will, was mir sehr schwer fällt, dann: "Lügen haben kurze Beine".



      Gut das die Wahrheit ans Licht gekommen ist.