Prozess gegen Anarchist*innen in Hamburg: Haftstrafen für einen Spickzettel

Die „Drei von der Parkbank“ sind wegen der Verabredung zu Brandanschlägen am Jahrestag des G20-Gipfels zu Freiheitsstrafen verurteilt worden.

Mehrere schwarz angezogene Menschen auf einer Demo, erleuchtet von roter Pyrotechnik

Demonstrant*innen fordern am Vorabend der Urteilsverkündung Freiheit für die „Parkbank-Crew“ Foto: Jannis Große

HAMBURG taz | Ein Schatten der Erleichterung huscht über das Gesicht von Felix R., als die Richterin das Urteil verkündet. Zwar sind ein Jahr und zehn Monate ohne Bewährung eine hohe Strafe, aber nach 16 Monaten Untersuchungshaft wiederum auch nicht mehr so viel. Die Haftbefehle werden erst mal ausgesetzt, die drei Verurteilten fallen sich in die Arme.

Nach über 50 Sitzungen ist am Donnerstag ein Mammutprozess der linken Szene in Hamburg zu Ende gegangen. Die „Drei von der Parkbank“ wurden wegen der Verabredung zu Brandanschlägen und Verstößen gegen das Waffengesetz am Jahrestag des G20-Gipfels in Hamburg zu Haftstrafen von einem Jahr und sieben Monaten bis zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.

Da zwei von ihnen bereits 16 Monate in U-Haft saßen, bleibt ihnen die Restzeit vielleicht erspart. Die dritte Angeklagte trifft das Urteil vergleichsweise hart: Sie muss, wenn es rechtskräftig wird, für ein Jahr und acht Monate ins Gefängnis. Wegen der „rechtsfeindlichen Gesinnung“ der Angeklagten setzte die Richterin die Strafen nicht zur Bewährung aus. Der Verteidiger Alexander Kienzle stellt eine Revision in Aussicht.

Genau zwei Jahre nach dem G20-Gipfel, am 7. Juli 2019 habe sich der 32-jährige R. mit dem Fahrrad auf den Weg zu einer Tankstelle gemacht, wo er Benzin in einen Kanister füllte, rekonstruiert die Richterin Sandra Paust-Schlote einen Tathergang in ihrer Urteilsbegründung. Auf dem Überwachungsvideo der Tankstelle sei er klar zu erkennen. Polizist*innen hatten ihn zudem acht Monate lang beschattet. Danach sei R. in eine Kleingartensiedlung gefahren, wo er das Benzin in vier PET-Flaschen gefüllt und diese mit Streichhölzern und Grillanzündern versehen habe.

Das Ziel: Die Immobilienwirtschaft

Am Abend sei er nach Hause geradelt, wo er Ingmar S. getroffen habe. Zusammen verließen sie die Wohnung um 23.16 Uhr in Richtung eines Parks. Dort trafen sie auf die junge Frau. Auf einer Parkbank nahmen die Ermittler*innen das Trio um Mitternacht fest. Alle drei hatten Feuerzeuge und Wechselkleidung dabei, aber keine Handys. R. trug neben den Brandsätzen noch einen Zettel mit vier Adressen bei sich, die die Richterin als Brandstiftungsziele wertet.

Das Trio habe es auf die Immobilienwirtschaft abgesehen und Autos sowie Büroräume des Wohnungskonzerns Vonovia und der Maklerfirma Grossmann + Berger anzünden wollen, sagt die Richterin. Die Wohnadresse der Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeld (SPD) stand ebenfalls auf dem Zettel. Im Unterschied zur Generalstaatsanwaltschaft hält die Kammer es aber nicht für bewiesen, dass der geplante Anschlag dem Wohnhaus gelten sollte.

„Allein das Eingreifen der Polizei verhinderte die Tat“, ist sich Paust-Schlote sicher. Das Strafmaß sei auch eine Konsequenz polizeilicher Arbeit. „Wäre es zu den Taten gekommen, würden die Strafen hier ganz anders aussehen“, sagt die Richterin. Eine vierte Person sei den Ermittler*innen entwischt. Sie kam vermutlich zu spät zur Parkbank und bemerkte die Polizist*innen in der Dunkelheit.

Obgleich alle Verteidiger*innen auf Freispruch plädiert hatten, ist das Urteil für sie ein Erfolg. Unter der bereits verbüßten U-Haft konnte die Richterin beim Strafmaß nicht bleiben, ohne die U-Haft unverhältnismäßig wirken zu lassen. Von der Forderung des Oberstaatsanwalts Ralf Schakau nach drei bis dreieinhalb Jahren Haft bleibt ihr Urteil weit entfernt.

Kristin Pietrzyk, Rechtsanwältin

„Hier wird eine Gesinnung angeklagt, das ist Feindesrecht und erinnert an die dunkelsten Zeiten“

An beide Seiten richtet sie deutliche Kritik: „Die Liste an unnützem Wissen, das hier angehäuft wurde, ist lang“, sagt Paust-Schlote. Die Tatsachen hätte man wesentlich schneller verhandeln können, stattdessen sei die meiste Zeit über eine politische Grundhaltung thematisiert worden. Darum gehe es in einem rechtsstaatlichen Verfahren aber nicht.

Die Verteidiger*innen Gerrit Onken, Kristin Pietrzyk und Franziska Flint hatten in ihren Plädoyers schwere Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft und die Kammer gerichtet. „Dass diese Anklage überhaupt vor Gericht gebracht wurde, ist ein Skandal“, konstatierte Flint. „Hier wird eine politische Gesinnung angeklagt, das ist Feindesrecht und erinnert an die dunkelsten Zeiten Deutschlands“, schmetterte Pietrzyk dem Staatsanwalt entgegen.

Für den Prozess waren sechs der renommiertesten linken Szeneanwält*innen Norddeutschlands zwei Mal wöchentlich unter anderem aus Jena und Kiel angereist.

Monatelange Observation ohne richterliche Anordnung

Der Oberstaatsanwalt Ralf Schakau hatte seinerseits keinen Zweifel daran gelassen, was er von Anarchist*innen hält. In seinem Plädoyer zählte er penibel auf, welche Poster und Flyer mit staatsfeindlichen Motiven bei den Hausdurchsuchungen der Drei gefunden worden waren. Das Trio bezeichnete er als „menschenverachtende Terroristen, denen jedes Mittel recht ist.“ Die Stimmung im Saal war über die 52 Verhandlungstage feindselig. Vor dem Gericht hatten linke Unterstützer*innen bei jedem einzelnen Termin ihre Solidarität demonstriert.

Ob die Staatsanwaltschaft das Urteil akzeptiert, hat sie noch nicht entschieden. Offen bleibt auch die Frage, ob die achtmonatige Observation von Felix R. rechtswidrig war und die Beweismittel damit eigentlich unzulässig sein müssten. In der Verhandlung kam heraus, dass es keine richterliche Anordnung für die Observation gab. „Ein monatelanger, verfassungswidriger Angriff auf die Grundrechte“, urteilte Verteidigerin Flint.

Dass Polizist*innen eigenmächtig Verdächtige observieren, will auch das Bundesverfassungsgericht nicht. Es erklärte deshalb 2016 das BKA-Gesetz für verfassungswidrig, das dem Bundeskriminalamt diese Befugnis zusprach. Daraufhin änderten die Bundesländer ihre Polizeigesetze, da sie den Landeskriminalämtern ebenfalls diese Befugnis zugesichert hatten. R. war beschattet worden, als noch das alte Hamburger Polizeigesetz galt, allerdings schon für verfassungswidrig erklärt worden war.

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