Proteste in Belarus: Lukaschenkos Spiel auf Zeit

In Belarus lehnt die Opposition die vorsichtig einlenkenden Vorschläge von Präsident Lukaschenko ab. Immer mehr Staatsbeamte distanzieren sich.

Maria Koleskinova mit Megaphon vor einer Gruppe

Maria Kolesnikowa, Vertreterin von Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, spricht Foto: Dimitri Lovetsky/ap

KIEW taz | Die Opposition in Belarus lehnt die jüngsten Angebote von Präsident Alexander Lukschenko ab. Er könne sich eine Neuauszählung der Stimmen der letzten Wahl durchaus vorstellen, hatte Lukaschenko wissen lassen. Auch Neuwahlen sei er nicht mehr abgeneigt. Diese sollten jedoch nach einer Verfassungsreform durchgeführt werden, die wiederum vom Volk in einem Referendum gebilligt werden müsse.

Die Opposition sieht in den Angeboten nur einen Versuch des Staatschefs, auf Zeit zu spielen. Der Stab der offiziell unterlegenen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja ist gegen eine Neuauszählung der Stimmen. Wie könne man Stimmen neu auszählen, die eine Woche lang in der Wahlkommission aufbewahrt worden sind, fragt sich Anna Krasulina vom Tichanowskaja-Stab gegenüber dem TV-Kanal Ukraina 24. Es gebe Beweise, dass Stimmen verbrannt worden seien, so Krasulina.

Ab 10. September, wenn die derzeitige Amtszeit von Lukaschenko auslaufe, sei dieser kein legitimer Präsident mehr, sagt Krasulina. Jetzt gehe es vielmehr darum, den Widerstand gegen Lukaschenko zu verstärken. „Wir müssen vom friedlichen Protest zu Streiks übergehen. Die treffen das Regime da, wo es wehtut“, zitiert das weißrussische Portal telegraf.by die Tichanowskaja-Vertraute.

Auch Lukaschenkos Versprechen, die Präsidentschaftswahlen nach einer Verfassungsreform zu wiederholen, lehnt die Opposition ab. „26 Jahre hören wir von Lukaschenko die unterschiedlichsten Versprechungen. Nicht ein einziges Mal hat er sein Wort gehalten. Deswegen sehen wir in diesem Versprechen nur einen weiteren Versuch, um jeden Preis an der Macht zu bleiben“, erklärte Gleb Germantschuk vom Stab des inhaftierten und nicht zugelassenen Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko laut telegraf.by.

Rücktritt eingereicht

Unterdessen distanzieren sich immer mehr hoch gestellte Persönlichkeiten und Staatsbeamte von Lukaschenko. So reichte der weißrussische Botschafter in der Slowakei, Igor Leschtschenia, seinen Rücktritt ein. Zuvor hatte er erklärt, er sei schockiert von der Gewalt und der Folter an seinen Mitbürgern.

Auch zwei Angestellte des Außenministeriums, Wjatscheslaw Kosatschenok und Elena Popanewa, beteiligten sich an Aktionen der Opposition. Am Montag quittierte Andrej Buschilo seinen Dienst. Buschilo war bis zuletzt Chef der für Nordamerika zuständigen Abteilung im Außenministerium in Minsk. Ebenfalls am Dienstag verließ der Direktor des ältesten Schauspielhauses von Belarus, des Janka-Kupala-Theaters, Pawel Latuschko, seinen Posten.

In der Opposition wird bereits über Personen debattiert, die nach Lukaschenko Verantwortung im Land übernehmen könnten. Bei dieser Personaldebatte zeigen sich unterschiedliche Vorstellungen.

Auf dem Portal der Menschenrechtsorganisation Charta97 fordert Dmitri Bondarenko, Koordinator der Kampagne „Europäisches Belarus“, eine „Koalitionsregierung des nationalen Vertrauens“, die von den derzeit inhaftierten Politikern Nikolai Statkewitsch, Pawel Severinez, Sergei Tichanowski und Viktor Babariko angeführt werden solle. Auf keinen Fall, so Bondarenko, sollte man Swetlana Tichanowskaja zur „Ersatz-Präsidentin“ machen.

Führungsanspruch erneuert

Swetlana Tichanowskaja indes erneuerte ihren Führungsanspruch. Ihr Stab hat einen Koordinierungsrat von 35 in der belarussischen Gesellschaft geschätzten Personen einberufen, der die Übergabe der Macht von Lukaschenko an ihr Team umsetzen soll. Mit im Koordinierungsrat sitzen auch die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexeijewitsch und der Menschenrechtler Ales Beljatzkij.

Unterdessen gehen die Streiks im Land weiter. Auch am Dienstag, so Charta97, befanden sich hunderte Betriebe in einem landesweiten Streik.

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