Proteste gegen Rechtsextreme: Kleiner, aber feiner werden
Was die Demonstranten eint, ist ihre Ablehnung der AfD. Aber reicht das, um mehr zu erreichen als ein kurzes Frühlingsgefühl?
J ede erfolgreiche Bewegung braucht einen linken Besserwisser, der sie schlechtredet, und damit herzlich willkommen in dieser taz-Kolumne. Tut mir leid, ich will wirklich nicht beim Feiern stören. Ihnen wäre es wahrscheinlich lieber, ich hätte diesen Text in Schriftgröße 7,5 auf das Flugblatt einer trotzkistischen Splittergruppe gedruckt und am Rand der Demo verteilt. Aber jetzt müssen wir da durch.
Ja, es ist fantastisch, dass über eine Million Menschen gegen die AfD protestiert haben. Es ist ein erhebendes Gefühl, mit fremden Menschen in der Sache verbunden zu sein, wenn man sich im Alltag mit dem Irrsinn doch meist allein fühlt. Aber jetzt kommt das Aber.
Was die Demonstranten eint, ist ihre Ablehnung der AfD. Das ist nicht nichts. Aber reicht das, um mehr zu erreichen als ein kurzes Frühlingsgefühl?
Bewegungen brauchen, um erfolgreich zu sein, die Erfahrung der Selbstwirksamkeit: Etwas zu erreichen, das über Bilder in der „Tagesschau“ hinausgeht. Das Gefühl, viele zu sein, ist für den Moment beruhigend, sogar berauschend. Aber wie das so ist mit dem Rausch, er lässt sich nicht wiederholen, ohne Kopfschmerzen zu bekommen.
Lässt sich nicht wegdemonstrieren
Vermutlich lassen sich die wenigsten AfD-Wähler von den Demos beeindrucken. Das zeigen vergangene Proteste: 2018 demonstrierten und feierten in Chemnitz über 60.000 Menschen unter dem Motto „Wir sind mehr“. Bei der folgenden Landtagswahl in Sachsen kam die AfD auf mehr als 25 Prozent.
Auch für ein AfD-Verbot ist die Zahl der Demonstranten irrelevant, zum Glück. Darüber entscheiden unabhängige Gerichte, und das kann Jahre dauern.
Es ist auch die von vielen Krisen bestimmte Weltlage, die Menschen dazu bringt, die AfD zu wählen. Das Gefühl der Schwäche des Nationalstaats, die Klimakrise, die Angst der Mittelschicht, abzusteigen. All das führt ja nicht nur in Deutschland zu einem Aufstieg der Rechtspopulisten und lässt sich nicht einfach wegdemonstrieren.
Ihr seid nicht allein
Ist also alles vergebens?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Nein, auf dem Sofa bleiben ist keine Option. Denn die Bedingungen, die die AfD stark gemacht haben, lassen sich verändern. Es war die Politik der Ampel, die die Rechtsextremen in einem knappen Jahr von 15 auf über 20 Prozent hob. Und die Ampel tut viel dafür, um die AfD weiter zu stärken: Sie entlastet Gutverdiener und verschärft die Abschiebepolitik. Wer gegen den Rechtsruck demonstriert, demonstriert auch gegen Ampel und Union. Natürlich dürfen die Demos nicht zu einer identitären Veranstaltung für Linke werden. Aber wenn sie inhaltlich beliebig werden, nur um niemanden abzuschrecken, ist auch nichts gewonnen.
Aktuell wird diskutiert, ob die Bewegung gegen die AfD unfreundlich gegenüber der CDU sei. Eine Verdrehung der Tatsachen. Gerade haben Linke und Liberale im Saale-Orla-Kreis unter Schmerzen ihr Kreuz beim CDU-Kandidaten gemacht, um einen AfD-Landrat zu verhindern. Ein CDU-Kandidat, der mit dem AfD-Programm Wahlkampf machte: Abschieben, Bürgergeld kürzen, Windräder verhindern. Und der Landrat, der den Linken seine knappe Wahl verdankt? Verlor darüber kein Wort.
Wenn der Protest nachhaltig erfolgreich sein will, muss er sich nicht nur von der Union, sondern auch von der Ampel abgrenzen. Es ist umso befremdlicher, dass mancherorts Vertreter von Parteien von der Bühne sprachen.
Genug gemeckert, einen Zweck haben die Demos erfüllt: Sie haben jedem vierten Deutschen, all jenen, die von den Deportationsfantasien der Rechtsextremen betroffen wären, gezeigt: Ihr seid nicht allein. Selbst wenn die Protestwelle schon bald bricht, dafür hätte es sich gelohnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut