Protest gegen Klimawandel: Kontrabass statt Kartoffelbrei
Carlotta Sarina nutzt ihre Stimme und ihren Kontrabass, um auf den Straßen und den Bühnen Europas Menschen auf den Klimawandel hinzuweisen.
Lotta Sarina zieht eine Blockflöte aus ihrer Tasche hervor. Sie wird doch wohl nicht …? Das Publikum erstarrt. Manche weichen ein paar Zentimeter zurück. Ungerührt pustet Lotta in das Instrument, schrille Töne erklingen. Sie hält inne. „Nein, Lotta“, sagt sie, „das hat mein Musiklehrer auch gesagt.“ Das Publikum atmet auf. „Er hat mir gesagt, ich soll lieber singen.“ Und dann setzt Lotta zu „Bella ciao“ an, dem Widerstandslied aus dem Zweiten Weltkrieg, das auch auf Klimademonstration gesungen wird.
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Lotta Sarinas Stimme füllt den Raum bis an die weiß gestrichene Holzdecke. Während sie singt, verwandelt sie sich mal in die talentierte Schülerin, die der Musiklehrer von Volksfest zu Volksfest schleppt, mal in eine Patriotin, die mit Pathos eine politische Hymne anstimmt, mal in eine angehende Opernsängerin, die ihre Stimmbänder schwingen lässt.
Denn Lotta, eigentlich Carlotta, Sarina, ehemalige Studentin der Musikhochschule in Mailand, will sich nicht auf eine einzige Sache beschränken. An diesem Abend singt sie, spielt Kontrabass, erzählt und schauspielert, vereint Kunst und Klimaaktivismus.
Musikerin aus Leidenschaft und Aktivistin aus Berufung
„Ich bezeichne mich als Musikerin aus Leidenschaft und Aktivistin aus Berufung“, sagt sie nach der Aufführung. Sie sitzt im Schneidersitz auf dem weißen Parkettboden, auf dem sie eine halbe Stunde zuvor ihre „Detonazione“, ihre Explosion, dargeboten hat. Eine Musikerin, die mit ihren Mitteln auf die Erderhitzung aufmerksam macht und dafür weite Strecken durch Europa reist. Eine andere Protestform als die, sich auf Straßen festzukleben.
Alles beginnt am 6. Juli 2022 in einem Kanu auf dem Rhein vor dem Europaparlament in Straßburg. Lotta Sarina demonstriert zusammen mit Fridays for Future und anderen NGOs gegen die Anerkennung von Erdgas und Atomkraft als nachhaltig. Doch die Polizeiboote sind in kürzester Zeit da und schleppen die Aktivist:innen in den Kanus ab.
„Aber es ist nicht wie im Film, wo sie dich in der einen Szene erwischen und in der nächsten bist du schon im Gefängnis. Nein, dazwischen mussten wir zwanzig Minuten ans Ufer paddeln. Es kam mir endlos vor.“ Die Polizei ist von den Protesten der Aktivist:innen verärgert, erzähltsie, aber Lotta Sarina will zeigen, dass sie mit ganzem Herzen dabei ist.
Angst davor, auf der Straße zu singen
Also beginnt sie „Bella ciao“ zu singen, und zu ihrem Erstaunen stimmt der Polizist im Polizeiboot vor ihr in ihren Gesang ein. Als sie am Ufer ankommen, lobt er ihre Stimme und lässt sie gehen. „Das war meine detonazione, mein Urknall.“
Kaum ist sie aus Straßburg zurück in ihrem Heimatort Salsomaggiore Terme in der Nähe von Parma, beginnt sie, ihr Stück zu schreiben. Doch es gibt ein Problem: „Ich hatte Angst davor, auf der Straße zu singen“, sagt Lotta Sarina. Es seine eine Sache, mit dem Orchester auf der Bühne zu performen, in einer Gruppe mit Dutzenden Musiker:innen und vor einem Publikum, das sich bewusst für einen Konzertabend entschieden hatte.
Auf der Straße sei es ganz anders: „Jede Person, die weitergeht, ist ein Schlag ins Gesicht. Mache ich etwas falsch? Singe ich nicht gut genug?“ Im Umkehrschluss bedeutet das für sie: Weil sie Angst vor ihrem Heimatort hatte, musste sie sich Größeres vornehmen. „Dann wäre danach alles leichter.“ Sie plant eine Interrail-Europatournee, erster Stopp: Paris, vor dem Eiffelturm. Dann Berlin, Prag und Wien.
Fast Fashion, Konsumsucht und Klimawandel
Sie reist mit ihrem Kontrabass und einem Filmemacher, der das Abenteuer dokumentiert, finanziert sich über Spenden. Wenn Lotta Sarina von ihrer Reise spricht, kommt ein Wort immer wieder vor: „bello“. Die Straßenmusikerin vor dem Berliner Dom, die für sie Platz machte, als sie hörte, dass es ihr ums Klima ging? „Bello!“ Wie viele Leute für ihren Kontrabass stehen blieben, obwohl es vor Straßenkünstler:innen nur so wimmelte? „Bello!“ Die Vielzahl an veganen Optionen in Berliner Cafés? „Bello, bello!“
Dabei ist ihr Anliegen ernst. „Detonazione“ erzählt von Klimawandel und Fast Fashion, Umweltverschmutzung und Konsumsucht. Carlotta Sarina bricht diese komplexen Themen auf einen inneren Konflikt in ihr herunter, zwischen Carli und Lotta: Carli denkt an Aperitivi, Konzerte und Dates, während Lotta Studien über den Klimawandel liest und vor der 1,5-Grad-Grenze warnt.
Carli möchte stets neue Outfits für ihren Instagram-Feed, Lotta erinnert an die tausenden Todesopfer in den Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan. Sie untermalt ihre Erzählung mit Stücken am Kontrabass und Gesang. Lotta Sarina singt „Million Reasons“ von Lady Gaga, „Libiamo ne’ lieti calici“ aus Verdis „La Traviata“ – und „Freedom“ von Beyoncé, während hinter ihr eine Gruppe Tänzerinnen mit strengem Dutt und schwarzen Tops im Takt marschiert.
Die wahren Kriminellen sind die Staaten
Sie verlangt, die Überschwemmungen in ihrer Heimatregion Emilia-Romagna eindeutig zu benennen: als Auswirkungen der Klimakrise. „Worte prägen unser kollektives Bewusstsein, und wenn wir anfangen, von Krise zu sprechen, fangen wir auch an, sie als solche zu behandeln. Unwetter reicht nicht.“
Natürlich kennt sie die Vorwürfe, die Klimaaktivist:innen immer wieder gemacht werden: zu laut, zu störend, zu destruktiv. Aber, sagt sie, „welche Revolution hat jemals in Stille stattgefunden?“ Sie steht an der Seite der Aktivist:innen der Letzten Generation, die für ihre Aktionen als kriminell bezeichnet werden. Sie sagt: „Wir haben versucht, vor das Europäische Parlament zu gehen, ich war dort! Aber es hat nichts gebracht, niemand hat darüber gesprochen.“
Für sie sind die wahren Kriminellen die Staaten, die weiterhin in fossile Brennstoffe investieren oder Kohlekraftwerke wiedereröffnen. „Und wenn die einzige Möglichkeit, uns Gehör zu verschaffen, ist, Tomatensuppe auf ein Gemälde zu werfen, dann werden wir das tun.“
Diese Aktionen sind umstritten, aber, sagt Lotta: „Seit Letzte Generation und Extinction Rebellion mit zivilen Ungehorsam angefangen haben, haben sich ihnen sehr viele Menschen angeschlossen. Es hat zu einer starken Polarisierung geführt, aber es ist uns egal, ob wir geliebt oder gehasst werden, wichtig ist, dass darüber gesprochen wird.“
Sie hat einen anderen Weg eingeschlagen. „Ich glaube, dass ich mit der Musik mehr geben kann“, sagt sie. Der Titel „Detonazione“, Explosion, das klingt nach Bomben, nach Millitanz. Dabei stehen am Ende des Abends nur Menschen von Holzstühlen auf und gehen nach Hause. Aber sie wurden durchgeschüttelt. Aufgerüttelt, vielleicht.
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