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Protest der Letzten Generation in BerlinDie Polizei weiß Bescheid

Die Beamten rücken in Berlin schnell an – mit Pinsel und Speiseöl. Zuletzt gab es Kritik an Äußerungen der Polizeisprecherin.

Inzwischen Routine: Polizisten lösen die Hand einer Aktivistin mit Pinsel, Aceton und Spatel vom Asphalt Foto: Fritz Engel

Berlin taz | Die Berliner Polizei hat im vergangenen Jahr eine Routine mit den Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation entwickelt. Schnell ist sie vor Ort, wenn wieder Menschen auf der Straße kleben, mit Pinsel und Speiseöl werden die festgeklebten Hände meist in wenigen Minuten gelöst. Zu besonders rabiatem Vorgehen oder einer Eskalation zwischen den friedlichen Ak­ti­vis­t:in­nen und den Po­li­zis­t:in­nen kommt es dabei in der Regel nicht.

Doch der angekündigte Plan der Gruppe ab Donnerstag, die Stadt mit bis zu 1.000 Ak­ti­vis­t:in­nen zum Stillstand zu bringen, mit womöglich Dutzenden parallel stattfindenden Blockaden, stellt auch die Polizei vor ganz neue Herausforderungen. Auf Anfrage teilt sie mit, im Stadtgebiet eine „Vielzahl von Polizistinnen und Polizisten“ bereitzuhalten, die „Verkehrsknotenpunkte sowie Zu- und Abfahrten zur Stadtautobahn im Blick behalten“. Auch Parlaments- und Regierungsgebäude, Medienhäuser und andere symbolträchtige Orte möchte die Polizei nach eigenen Angaben besonders schützen. Zusätzliche Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern haben die Behörden aber nicht angefordert.

Sogenannte Gefährderansprachen bei bekannten Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation seien nicht wiederholt worden, heißt es weiter. Dagegen kündigt die Polizei an: „Wir werden Straftäterinnen und Straftäter konsequent zwecks richterlicher Anordnung eines Gewahrsams zur Gefahrenabwehr oder von Untersuchungshaft vorführen.“

Eine Kontroverse gibt es indes um eine Aussage der Polizei-Sprecherin Beate Ostertag. Diese hatte am Dienstag der RBB-Abendschau gesagt: „Im Idealfall können wir die Blockaden und Aktionen verhindern.“ In Reaktion darauf hat der rechtspolitische Sprecher der Berliner Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, einen Brief an Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geschrieben, der der taz vorliegt. Schlüsselburg argumentiert darin, diese Äußerung stehe „nicht im Einklang mit den gesetzlichen Festlegungen im Versammlungsfreiheitsgesetz“, das die Polizei dazu verpflichtet, „friedliche Versammlungen zu schützen“.

Klebeverbot nicht rechtmäßig

Ob die Protestform etwa wegen einer „verwerflichen Nötigung“ ihren Grundrechtsschutz der Versammlungsfreiheit im Einzelfall verliert, müssen, so Schlüsselburg, „Gerichte und am Ende wahrscheinlich wieder Verfassungsgerichte entscheiden“. Bis dahin jedoch gelte, dass der „Versammlungsbegriff in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes offen auch für provokante und non-verbale Demonstrationsformen ist“.

Um Proteste von vornherein zu verhindern, hatte die Berliner Polizei zuletzt gegen 17 Menschen, bei denen sie davon ausgeht, dass sie erneut Straftaten begehen könnten, halbjährige Klebeverbote erteilt. Bei Verstößen gegen diese Anordnung drohte sie den Ak­ti­vis­t:in­nen Zwangsgelder in Höhe von je 2.000 Euro an. Doch am Montag musste die Polizei in einem Fall eine Schlappe vor dem Berliner Verwaltungsgericht erleiden, bei der sich eine Aktivistin gegen die Androhung per Eilantrag zur Wehr gesetzt hatte.

Das Gericht entschied: Der Anfang Dezember ergangene Verbotsbescheid, sich im Stadtgebiet „festzukleben, einzubetonieren oder in ähnlicher Weise dauerhaft mit der Fahrbahn zu verbinden“, wird aufgehoben, denn er sei „nicht hinreichend bestimmt“. Die Betroffene könne nicht sicher entnehmen, was von ihr verlangt werde, etwa für welche Straßen das Verbot gelte. Die Polizei hat gegen den Beschluss Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt; das Verbot gilt damit vorerst weiter.

Nach aktuellen Zahlen, die zuerst die Welt veröffentlichte, waren Po­li­zis­t:in­nen in der Hauptstadt seit Beginn der Klebeaktionen Anfang 2022 insgesamt rund 302.000 Stunden wegen Blockaden und ähnlichen Aktionen von Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen im Einsatz. Dabei wurden insgesamt 3.000 Strafanzeigen gegen 805 Tatverdächtige gefertigt, darunter gegen 67 Personen, die mehrfach auffielen. 57 Mal wurde Gewahrsam angeordnet, der in Berlin derzeit maximal zwei Tage betragen darf. Die Hälfte der Anzeigen betrifft „Nötigung im Straßenverkehr“.

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16 Kommentare

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  • So wird das nie was, letzte Generation

    1) Es wird nie wieder ein 9€ Ticket geben, auch wenn selbst ich es gut fand.

    2) Es wird unter der FDP niemals ein Tempolimit geben, egal was man davon hält.



    Und jetzt, klebt ihr euch für alle Zeiten auf der Straße fest, wohl wissend dass ihr überhaupt nichts verändern werdet, außer dass ihr nach und nach ins Gefängnis kommt, aber nichts erreicht habt ?



    Ihr seit echt die letzten, die allerletzten die es kapieren.

  • Ich sag ja: Kleben lassen.



    I'wann wird's langweilig,



    i'wann kommen Hunger und Durst.



    I'wann drücken Blase und Darm.

    Aber man muss schließlich Opfer bringen.

    • @Bolzkopf:

      Das hat in Österreich bei den Schneeflöckchen auf dem Straßenschild auch schon gut funktioniert. Das Problem ist aber, dass diejenigen, die auf der Straße kleben eben alle anderen stören.

  • In deutschen Millionenstädten gibt es hinreichenden ÖPNV.



    Niemand muss hier mehr ohne Not die Stadt mit Abgasen eindecken!



    Der Mensch braucht saubere Luft und keine Assis in Fossil-Stinkern!

  • Wenn das unter Versammlungsrecht fällt sollten sich alle Rentner/innen und Geringverdiener auf die Strassen kleben.



    Das dauert Wochen soviele von der Polizei entkleben zu lassen.



    Bei dieser Menge an Leuten geht es auch ums Überleben.

  • "Der ... Verbotsbescheid, sich im Stadtgebiet „festzukleben, einzubetonieren oder in ähnlicher Weise dauerhaft mit der Fahrbahn zu verbinden“, wird aufgehoben, denn er sei „nicht hinreichend bestimmt“. Die Betroffene könne nicht sicher entnehmen, was von ihr verlangt werde, etwa für welche Straßen das Verbot gelte."

    das ist schon irgendwie Realsatire 🤣

    • @nutzer:

      wegen der Kürzung klingt es absurd, aber es ging um "übergeordnete Straßen" und es war wohl ein Plan dabei, um welche es geht - nur war der leider nicht lesbar. Der Fehler lässt sich wohl korrigieren, im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung wäre es sogar möglich, einfach sämltliche gemeinte Straßen aufzulisten und die Datei zu pflegen. In irgendeiner unbedeutenden Neben- oder gar Spielstraße könnte man sich durchaus weiter ankleben.

      • @Dr. McSchreck:

        naja, das ist bestenfalls juristisch ungenau. bestenfalls.



        die Aussage "Es ist untersagt sich im Stadtgebiet .. dauerhaft mit der Fahrbahn zu verbinden" ist für den Nichtjuristen sehr eindeutig.



        es bleibt Realsatire 🤪

        • @nutzer:

          Die Aussage "Es ist untersagt sich ... dauerhaft mit der Fahrbahn zu verbinden" ist auch nicht der ungenaue Bestandteil des Verbots.

          Der räumliche Geltungsbereich war nicht klar. Denn es war den Klimaklebern eben gerade nicht "im Stadtgebiet" untersagt sich festzukleben. Das wäre eindeutig gewesen (Stadtgebiet = ganz Berlin), sondern die Polizei verbot das Festkleben auf den "Straßen des übergeordneten Straßennetzes (Bestand 2021, als Anlage zum Bescheid beigefügt)". Und diese beigefügte Anlage war so stark verkleinert, dass nicht erkennbar war, für welche Straßen das nun genau gilt.

          Mit anderen Worten, nicht die verbotene Handlung war unklar, sondern der Ort, wo sie verboten sein sollte. Denn die Klimakleber können ja nicht raten, welche Straße die Polizei Berlin als Teil des "übergeordneten Straßennetzes, Bestand 2021" sieht. Und das muss eben klar sein.

          Und ein Verbot sich im ganzen Stadtgebiet auf öffentlichen Straßen festzukleben, wäre wohl wegen Unverhältnismäßigkeit kassiert worden, weil es für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vollkommen irrelevant ist, ob man sich in Mahlow in eine Sackgasse festklebt oder in Zehlendorf eine Einfahrt blockiert.

          Deswegen musste das Verbot eingeschränkt werden, was aber offenkundig ziemlich dilettantisch geschah.

          • @Kriebs:

            Realsatire...



            Ihre juristischen Feinheiten verstehe ich schon und kann sie auch nachvollziehen, dennoch gibt sich die Juristerei mit diesen Finessen der Satire preis. Ist halt so, muß sie mit leben, alle anderen dürfen lachen...

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Wenn Polizei und Stadtverwaltung vom Verwaltungsgericht gezwungen werden muss, Grundrechte nicht mittels dubioser Begründungen außer Kraft setzen zu wollen, dann ist etwas faul im Staate.



    Oberfaul.



    Das Recht und gerade Grundrechte sind keine Gummibänder, die mit hanebüchenen Begründungen durch den Staat und seine Organe gedehnt werden dürfen.



    Das sollte gerade den Einrichtungen der Rechtspflege das eigene Selbstverständnis verbieten.



    Vielmehr sind sie die äußerste Grenze, zu der Staa, Polizei und Gerichte in ihrem Handeln noch einen Respektsabstand wahren sollten.



    Krude Argumentationen wie die, bei denen und durch die gewaltlose Sitzblockaden zu Gewaltaktionen umargumentiert werden, zeugen von mangelndem Respekt vor den höchsten Rechtsgütern.

  • Eine rechtmäßige Versammlung und eine Nötigung schließen sich gegenseitig aus, den eine rechtmäßige Versammlung kann nicht den Tatbestand der Nötigung erfüllen. Jede Nötigung darf durch die Polizei und jeden anderen unmittelbar beendet werden. Die Argumentation von Herrn Schlüsselburg ist Quatsch.

    • @DiMa:

      Argumente schlicht als "Quatsch" zu bezeichnen, setzt gegebenenfalls eine gewisse juristische Expertise voraus. Dies ist im vorliegenden Fall aber selbst für Juristen nicht so einfach. Ich zitiere einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2011 (1 BvR 388/05):

      "... Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. (...) Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird. (...)



      Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden.

      (...) Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen."

      Zumindest ihre Feststellung, eine rechtmäßige Versammlung und eine Nötigung würden sich ausschließen, steht auf tönernen Füßen, dazu wird sich das BVerfG sicherlich erneut äußer müssen, bevor man von einer Rechtssicherheit sprechen kann. Zumal die Dauer der Verkehrsbehinderung durch das angepasste Handeln der Polizei mittlerweile auf eine eher kurze Zeitspanne beschränkt wird.

      • @Cerberus:

        Die jeweilige strafrechtliche Nötigung genießt nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit, den ansonsten wäre diese strafrechtlich gerechtfertigt und nicht strafbar. Liegt der Nötigungstatbestand dann erst mal vor, darf diese durch Jederman (einschl. der Polizei) beendet werden.

        Richtig ist, dass eine ansonsten vorliegende Versammlung nicht durch einzelne Straftaten insgesamt rechtswidrig werden muss. Das habe ich auch nicht behauptet.

  • Ich kann die Argumentation von Schlüsselburg nicht nachvollziehen. Wenn von vorneherein klar ist, und diese Ansage gab es ja explizit als Aufruf im Vorfeld, dass es um die Störung des öffentlichen Lebens und den Stillstand der Stadt gehe, dann handelt es sich eben nicht um eine bloße "Versammlung" wie bei einer angemeldeten Demo. Man kann sich seine 'Argumente' auch zurecht biegen, richtiger werden sie damit jedoch nicht.

    • 0G
      06364 (Profil gelöscht)
      @White_Chocobo:

      Für mich sind Autobahnen und entsprechende Staus Störungen und Stillstand des öffentlichen Lebens. Ich hätte viel lieber mehr Grünanlagen, die nicht nur lebenswerter, sondern auch klimafreundlicher wären. Ich fahre nie Auto und bin trotzdem "erfolgreich". Die Sache ist doch klar. Die Kleber haben eine Variante, die überlegen ist und das Grundgesetz herausfordert. Aber da Vernunft nicht entscheiden wird, sondern Macht, wissen wir ja, wie es weitergehen wird.