Professorin Jana Kühl über Radverkehr: „Wir sind aufs Auto sozialisiert“
Jana Kühl ist ab November die erste Radprofessorin Deutschlands. Jede Maßnahme für das Fahrrad führe zu einer Grundsatzdebatte, kritisiert sie.
taz: Frau Kühl, Sie treten die erste deutsche Professur für Radverkehr an, wenn Sie am 1. November zur Ostfalia Hochschule in Salzgitter wechseln. Was machen Sie als Professorin für Radverkehrsmanagment?
Jana Kühl: Wir wollen kluge Köpfe von morgen ausbilden, die es verstehen, Radverkehr zu fördern. Die sensibel sind für Fragen der Gerechtigkeit im Verkehr und für ökologische Probleme. Es gibt in Kommunen einen großen Bedarf an Personal, das Radverkehrsförderung praktisch umsetzen kann. Wir hören immer wieder, dass Kommunen keine Leute haben, um Fördergelder für Radinfrastruktur, die zunehmend bereitgestellt werden, abrufen und in Maßnahmen umsetzen zu können.
Ist Radverkehr an deutschen Hochschulen nicht vorgekommen?
Den Schwerpunkt Rad mit der zentralen Stellung, wie sie jetzt durch die Radverkehrsprofessur möglich wird, gab es bisher nicht. Es gibt viele Professuren, die sich mit Verkehrsmanagement und Verkehrsplanung beschäftigen. Traditionell, das hat sich in den vergangenen Jahren zum Glück etwas geändert, sind sie vom motorisierten Individualverkehr, sprich vom Auto, ausgegangen. Der Radverkehr hat dort keine starke Stellung – es sei denn, es gibt Personen, die sich dafür starkmachen.
Am 1. November erhält das Radfahren akademische Weihen: Die Geografin Jana Kühl tritt ihre Professur für Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter an. Sie wird die erste RadprofessorIn in Deutschland. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat im Februar sieben Stiftungs-Radprofessuren vergeben, für die sich 33 Hochschulen beworben hatten. Das Bundesverkehrsministerium stellt insgesamt 8,3 Millionen Euro für die Professuren zur Verfügung. Ziel ist es, den Radverkehr in Forschung und Lehre zu verankern – von der Planung der Infrastruktur über das Management von Mobilität bis hin zur Gesetzgebung.
Den Zuschlag bekamen neben der Hochschule Ostfalia die Bergische Universität Wuppertal, die Frankfurt University of Applied Sciences, die Hochschule Technik und Wirtschaft Karlsruhe, die Hochschule RheinMain Wiesbaden, die Technische Hochschule Wildau in Brandenburg und die Universität Kassel. Die Professuren haben unterschiedliche Schwerpunkte, sie sollen sich vernetzen und ergänzen. Die Hochschule Ostfalia etwa ist unter anderem für Radverkehrsmanagement zuständig. An der Universität Kassel geht es zum Beispiel um Verkehrssicherheit, Radverkehr im ländlichen Raum und die Planung von Anlagen im Rad- und Fußverkehr. (akr)
Nicht nur die deutsche Gesellschaft, auch die Hochschullandschaft ist also autodominiert. Haben Sie keine Angst, zum Feigenblatt zu werden?
Nein. Die Studierenden sollen dazu in der Lage sein, Bedarf an Radinfrastruktur zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu finden, damit es Menschen leichter fällt, Rad zu fahren. Sie sollen Lösungen finden speziell für den Umweltverbund, also den Radverkehr, Fußverkehr und ÖPNV. Die Professur bietet so die Möglichkeit, in den teils noch angestaubten Verwaltungsstrukturen, die ja noch aus der Zeit der Verkehrsplanung der autogerechten Stadt kommen, neue Impulse zu geben. In der Verwaltung gibt es zwar Menschen, die sich dafür einsetzen, dass sich etwas ändert. Aber es ist schwer, noch sind die politischen Mehrheiten nicht da.
Künftig werden Master of Radverkehr diese Impulse setzen?
Nein. Es gibt nicht den Masterstudiengang Radverkehrsmanagement. Ob es den geben wird, wird sich zeigen. Zunächst binden wir das Radverkehrsmanagement in die bestehende Lehre verschiedener Studiengänge ein, zum Beispiel Wirtschaftsingenieurswesen, Mobilität und Verkehr oder Tourismus. Das Thema Mobilität ist bereits Gegenstand bestehender Studiengänge. Neu ist die Zuspitzung auf Radverkehrsthemen.
Welche Reaktionen gab es auf die Einrichtung Ihrer Professur für Radverkehr?
Es gibt ein großes mediales Interesse. Bezeichnend sind Wortmeldungen in den Kommentarspalten im Internet: Wegen des kleinen Worts „Rad“ – Verkehrsprofessuren gibt es ja schon – wird dort das Ganze infrage gestellt, als völlig absurd und illegitim bezeichnet. Das zeigt, wo der Radverkehr in der Debatte immer noch steht. Auf der anderen Seite gibt es auch eine Gruppierung, die sagt: Klasse, darauf haben wir gewartet, das brauchen wir, um weiterzukommen.
Gibt es einen Kulturkampf ums Rad?
Definitiv. Wir sind aufs Auto sozialisiert. Wir haben eine starke Autokultur über Jahre hinweg erlernt. Das war politisch gewollt, aus wirtschaftlicher Sicht steht ja auch viel hinter dem Auto. Dass der Autoverkehr infrage gestellt wird, hatten wir schon einmal nach der Ölkrise in den 1970ern. Daran anschließend gab es eine Debatte über Ökologie, aber auch über die gerechte Verteilung des Stadtraums, Gefährdung durch Autoverkehr und so weiter. Diese Debatten sind nicht neu, jetzt flammen sie wieder auf. Ich finde es sehr schade, dass die Auseinandersetzung oft gar nichts mit Meinungsaustausch zu tun hat, sondern mit einem Nebeneinanderstellen von Meinungen. Diese Nichtdiskussionen werden teilweise sehr ruppig geführt.
Woher kommt das?
35, ist Geografin und die erste Rad-Professorin Deutschlands. Die Ostfalia Hochschule hat die Professur für Radmanagement eingerichtet. Kühl hat bislang an der Uni Kiel über Nahverkehr geforscht.
Vielleicht daher, dass wir noch in einem Stadium sind, in dem das, was bisher als normal galt, plötzlich erschüttert wird und Unsicherheiten entstehen. Ich kann das auch verstehen: Wenn jemand sein Leben auf dem Land aufs Auto ausgerichtet hat, es gibt keinen ÖPNV, und jetzt sagt man, er oder sie darf nicht mehr mit dem Auto in die Stadt fahren, ist das schwierig.
Ihre Professur ist eine von sieben, die Bundesverkehrsminister Scheuer fördert. Zeigt das eine neue Wertschätzung des Radverkehrs durch die Politik?
Das ist zu hoffen. Die Professuren sind ein Statement zur Ernsthaftigkeit des Radverkehrs. Dieses Zeichen ist wichtig. Damit besteht die Möglichkeit, Radverkehr in Lehre und Forschung endlich ernsthaft zu behandeln und nicht mehr als Randthema.
Die Bundesregierung stellt fast eine Milliarde Euro für neue Radinfrastruktur zur Verfügung. Steht Deutschland vor einem Radwegboom?
Schön wäre es. Aber: Es gibt das Personalproblem, dass die Gelder nicht abgerufen werden können. Außerdem ist die Umsetzung zum Teil sehr langwierig. Wir müssen noch sehr geduldig sein und weiter daran arbeiten, dass die Förderung der Radinfrastruktur mit einem anderen Selbstverständnis durchgesetzt wird. Momentan ist jede Maßnahme fürs Rad ein Kampf, der eine grundsätzliche Debatte auslöst. Warum denn jetzt Radverkehr, was soll denn das?, heißt es dann. Das blockiert vieles. Von diesen Grundsatzdebatten müssen wir wegkommen. Wir könnten vieles schneller erreichen. Was geht, sieht man ja an den Pop-up-Bikelanes, den temporären Radwegen, die vielerorts in der Coronakrise entstanden sind.
Was muss besser werden?
Ganz wesentlich ist die Infrastrutur. Man muss leiderprobt sein, wenn man mit dem Rad unterwegs ist: Da sind zum Beispiel die berühmt-berüchtigten Radwege, die einfach aufhören, oder das unangenehmen Gefühl, wenn der Lkw neben einem steht und rechts abbiegen will. Das Thema Sicherheit spielt eine große Rolle, aber auch genügend Platz zu haben als Radfahrende. Es wird immer noch versucht, das Radfahren als Ökotum abzutun oder die Radverkehrsförderung als Klientelpolitik abzustempeln.
Etliche Autofahrende und auch FußgängerInnen sind sehr schlecht auf Radfahrende zu sprechen. Sind RadlerInnen mitunter nicht auch unangenehme VerkehrsteilnehmerInnen?
Ja und nein. Ich fahre sehr viel Rad und habe vielfach Situationen erlebt, in denen ich bepöbelt wurde, als ich darauf beharrt habe, bei Grün unversehrt über die Straße zu kommen. Es ist manchmal dieses eingebaute Recht auf Vorfahrt der Autofahrenden, das erschüttert wird. Es hat sich ein bisschen eingespielt, dass die Radfahrenden dann zum Feindbild werden. Es gibt aber wie unter den Autofahrenden leider auch rücksichtslose Radfahrende, die andere Leute belästigen oder gefährden. Andererseits entsteht durch fehlende Radinfrastruktur eine gewisse Anarchie, kreuz und quer zu fahren. Das rührt aber auch daher, dass Radfahrende sich häufig gar nicht an Regeln halten können, weil es vielfach nicht funktioniert. Wenn der Radweg zu Ende ist oder sich eine Baustelle auf einem Radweg befindet, müssen sie reagieren. Das wird von Autofahrenden als anarchisches Verhalten wahrgenommen. Wenn wir wirklich dazu kommen, dass der Radverkehr zunimmt, muss sich auch in der Kultur des Radfahrens etwas ändern.
Sie haben fünf Fahrräder.
Nicht ganz freiwillig. Ich würde mir wünschen, dass ich mindestens zwei nicht besitzen müsste. Das eine ist ein Lastenrad, ich brauche es nicht täglich, sondern für Einkäufe und um meinen alten Hund von A nach B zu bringen. Dafür bräuchte ich kein eigenes Rad, ich fände es toll, wenn es diese Räder als Leihräder gäbe. Das zweite ist ein Faltrad, was ich vor allem benötige, wenn ich mit dem ÖPNV unterwegs bin und nicht ans Ziel komme. Besser wäre, diese Wegketten zu schließen.
Und die anderen drei?
Ein Mountainbike für Sport und Spaß. Außerdem habe ich ein gutes Rad für weite Distanzen. Und eines, das am Bahnhof stehen bleiben kann und hinterher noch da ist.
Ein Auto?
Ein Auto habe ich nicht. Aber mit zwei Nachbarn zusammen eine Garage, in der wir unsere Räder abstellen.
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