Pro&Contra zu Dieselauto-Verboten: Senator: Kauft keine Dieselautos!
Hamburgs Grüner Umweltsenator Jens Kerstan warnt vor dem Kauf von Dieselautos. Er droht, die Fahrzeuge aus den Städten zu verbannen. Ist das sinnvoll?
BREMEN/HAMBURG taz | Ist es sinnvoll dass Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) damit droht, Dieselautos aus der Stadt zu verbannen?
Ja!
Alexander Dobrindt (CSU) hat Recht: Der Mann, der im Kabinett Merkel III für Verkehr zuständig wäre, nennt Fahrverbote einen „falschen politischen Ansatz“. Und es stimmt: Dass Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan wie sein Bremer Amtsbruder Joachim Lohse (beide Grüne) ankündigt, die City künftig für Dieselfahrzeuge sperren zu müssen, ist kein politischer Ansatz. Es ist Notwehr.
Notwehr gegen eine untätige Bundespolitik: Dobrindt, darin ist er dem Dekubitus-Kurs seines Vorgängers und Parteifreundes Peter Ramsauer treu, will von Dieselproblemen nix wissen. Er hält an einer Politik fest, die ermöglicht hat, dass Autobauer mit Schummel-Technologie das Trugbild „Clean Diesel“ entwarfen. Eine im Resultat standortschädliche Politik, die auch der VW-Konzern erst noch überleben muss.
Vor allem aber richtet sie sich gegen die Menschen. Denn Diesel ist tödlich. Längst bewertet die Weltgesundheitsorganisation Luftverschmutzung als vierthäufigste Todesursache der Welt. An ihren Folgen starben laut Europäischer Umweltagentur allein 2012 in Deutschland fast 72.000 Menschen. Deutschland ist nämlich – dank des Dieselwahns – Europameister im Luftverpesten. Und Hamburgs Luft ist fast die schlechteste der Republik.
Die Dieselfixierung ist auch Folge von Fehlanreizen: Zwar kostet es mehr, einen Dieselwagen zu kaufen, und die KfZ-Steuer liegt etwas höher. Aber das amortisiert sich flott: Die Abgaben auf den Kraftstoff sind ja viel niedriger. Folge: Ab rund 50 Kilometern täglich – und wer weniger fährt, braucht kein Auto – spart man mit Diesel Geld. Auf Kosten der Umwelt.
Als Senator hat Kerstan geschworen, für das Wohl der Freien und Hansestadt zu sorgen. Also auch für das ihrer BürgerInnen. Und weil auch HamburgerInnen Luft holen müssen, kann er nicht warten, bis Dobrindt kapiert, dass hier mal etwas zu tun wäre: Wenn oben die Quelle nicht verstopft wird, muss unten wenigstens jemand den Schirm aufspannen.
Und den Schirm aufspannen, das geht auf landespolitischer Ebene nur durch Einschränkung des Rechts, die Luft zu verpesten. Das ist arg für alle, deren Hobby das ist. Und bitter für all jene, die sich – ermutigt durch die stinknormale Bundespolitik – einen Diesel zugelegt haben, aber: Sorry, Atmen hat Vorfahrt! Benno Schirrmeister
Nein!
Die Androhung von Hamburgs grünem Umweltsenator Jens Kerstan in einem NDR-Interview, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in der Stadt in Erwägung zu ziehen, ist höchst ärgerlich. Letztendlich geht es Kerstan um die Umsetzung des Vorstoßes einer „blauen Plakette“ für Fahrzeuge mit wenig Stickoxid-Emissionen, wie er auf Initiative des Bundesumweltministerium mit den Ministern der Länder angeschoben wurde.
Man könnte das Notwehr nennen – gegen die ungesunde Hamburger Luftverschmutzung und vor allem gegen die giftige Politik von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Doch davon kann hier keine Rede sein. Denn für Notwehr muss als Verteidigung das mildeste Mittel gewählt werden. Ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge aber ist kein mildes Mittel. Heute fährt fast jedes zweite neu zugelassene Auto mit Diesel. Gekauft vornehmlich von Vielfahrern, die beruflich oder auf dem Land unterwegs sind, wo es bislang verpasst wurde, den öffentlichen Personennahverkehr annehmbar auszubauen.
Fahrverbots-Maßnahmen träfen Hunderttausende und gerade jene, die anders als die städtischen SUV-Cowboys auf das Auto angewiesen sind. Es zielt auf die Verbraucher statt auf die Industrie. Das ist ärgerlich, denn spätestens seit den bekannt gewordenen Abgasmanipulationen sollten es die Auto-Hersteller sein, auf die Verbotsandrohungen zielen.
Klar: Das wäre Aufgabe des Bundesministers Dobrindt, der zum Kapital so hart ist, wie ein weichgekochtes Ei. Aber nicht einmal Kerstans Freunde im rot-grün regierten Nachbarland Niedersachsen haben es wegen des Abgasskandals geschafft, Volkswagen die Zähne zu zeigen und als Großaktionär eine Klage einzureichen.
Es stimmt: Ein Hamburger Umweltsenator kann vor allem in Hamburg agieren. Genau hier sollte er konsequent sein: Etwa eine massive Aufrüstung der Radverkehrs-Infrastruktur Hamburgs voranbringen oder einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr anschieben.
Mit der blauen Plakette aber dreht man sich im Kreis. Sie legt die immer strenger werdenden Euro-Abgasnormen zu Grunde, und bringt demnach nichts, wenn Fahrzeuge die Normen weiterhin nur auf den Messständen erfüllen. Jean-Philipp Baeck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich