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Pro und Contra Neuwahl in ThüringenNochmal wählen?

Sollten die Thüringer*innen erneut wählen? Oder muss die Regierungskrise aus dem bestehenden Landtag heraus gelöst werden? Ein Streit.

Blumen im Thüringer Landtag. Sollte das Parlament aufgelöst werden? Foto: Hannibal Hanschke/reuters

K ramp-Karrenbauer will sie, die Thüringer Landes-CDU ist dagegen: Neuwahlen in Thüringen. Und was denkt die taz? Die Inlands-Redakteure Pascal Beucker und Tobias Schulze streiten darüber. Wäre es eine gute Idee, die Thüringer*innen ein zweites Mal wählen zu lassen?

Pro: „Die Wählerinnen und Wähler sollten das Urteil fällen“

Nach dem gelb-schwarz-braunen Desaster vom Mittwoch kann man nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren. Das war kein kleiner Betriebsunfall, den man mit ein paar Aufräumarbeiten wieder korrigiert kriegt. Das war eine Zäsur. Deswegen reicht es auch nicht, wenn der unselige FDP-Mann Thomas Kemmerich einfach nur seinen Platz in der Staatskanzlei wieder an Bodo Ramelow zurückgibt.

Die Bedingungen für eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung haben sich grundsätzlich verändert. Auf welcher Grundlage soll sie der CDU und der FDP denn noch weiterhin die Hand zur Zusammenarbeit reichen? „Ich habe mich zum Trottel gemacht, weil ich dachte, ich rede mit Demokraten“, hat Ramelow dem Spiegel gesagt. Das ist eine bittere Feststellung, der sich leider nicht widersprechen lässt.

Zu Trotteln haben sich aber vor allem diejenigen gemacht, die unter falschen Voraussetzungen bei der vergangenen Landtagswahl CDU oder FDP gewählt haben. Also jene aufrechten Demokraten, die den Beteuerungen von Mike Mohring und Thomas Kemmerich geglaubt haben, sie würden unter keinen Umständen mit der AfD kollaborieren. Tatsächlich hat sich bei der Ministerpräsidentenwahl vom Mittwoch gezeigt, dass es jenseits der Abgeordneten von Linkspartei, SPD und Grünen nur noch drei weitere Abgeordnete gibt, die nicht bereit sind, mit Faschisten zu paktieren.

Den Wählerinnen und Wählern in Thüringen sollte deshalb die Möglichkeit gegeben werden, an der Wahlurne ihr Urteil über diesen Tabubruch zu fällen. Deshalb sind vorgezogene Neuwahlen die einzig logische Konsequenz, wie es Linkspartei, SPD und Grüne unmittelbar nach der Skandalwahl Kemmerichs bereits gefordert haben.

Zu einem demokratischen Verständnis gehört, keine Angst vor den Wählerinnen und Wählern zu haben

Pascal Beucker findet Neuwahlen richtig

Das bedeutet keineswegs, dass das so ablaufen muss, wie Noch-Ministerpräsident Kemmerich sich das wünscht – also über eine Selbstauflösung des Landtags. Der Herr hat nichts mehr zu wünschen, er sollte einfach nur noch schnellstmöglich seine Sachen packen. Wenn er nicht von selbst die Vertrauensfrage stellt, muss er eben durch ein konstruktives Misstrauensvotum aus dem Amt gejagt werden.

Und dann sollte Wiederministerpräsident Ramelow an die Vorbereitungen von Neuwahlen gehen. Das Bundesland ist nämlich nicht braun: Eine übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger steht auf der Seite der demokratischen Kräfte. Wer sich die hohen Zustimmungswerte für Bodo Ramelow anschaut, der kann sich kaum vorstellen, dass die Thüringerinnen und Thüringer das schäbige Manöver der „bürgerlichen“ Parteien goutieren könnten, ihn mit Hilfe von Faschisten abgewählt zu haben. Zu einem demokratischen Verständnis gehört, keine Angst vor den Wählerinnen und Wählern zu haben. Pascal Beucker

Contra: „Das wäre Futter für die AfD“

Was immer die demokratischen Kräfte in Thüringen jetzt machen – eines können sie der AfD tragischerweise nicht mehr nehmen: den Triumph, das parlamentarische System vorgeführt zu haben. Der Antidemokrat Höcke und seine Gefolgschaft haben das demokratische Regelwerk dazu genutzt, einen Mann in die Staatskanzlei zu bringen, der von vornherein keine Aussicht auf eine parlamentarische Mehrheit für sein Regierungshandeln zu finden.

Wenn es ganz blöd läuft, steht am Ende ein neuer Landtag mit exakt der alten Sitzverteilung

Tobias Schulze hält Neuwahlen für eine schlechte Idee

Thomas Kemmerichs Scheitern war schon in seiner Wahl angelegt, sein Rückzieher 25 Stunden später war damit folgerichtig – aber deshalb nicht weniger skurril. Die AfD, die gerne Verachtung für den Parlamentarismus schüren möchte, konnte in dieser Woche dafür ihr propagandistisches Munitionslager auffüllen: Seht her, wie kaputt die Demokraten und ihr System doch sind!

Würde jetzt neu gewählt, dann könnte die AfD dieses Liedchen fröhlich weitersingen. Mehr noch: Sie erhielte frisches Futter. Wer als Wähler*in zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres ins Wahllokal gebeten wird, gewinnt sicher kein frisches Vertrauen in die parlamentarische Demokratie. Und wer garantiert, dass die Situation nach einer zweiten Landtagswahl weniger skurril wäre?

Es ist nämlich gar nicht klar, dass sich die Mehrheitsverhältnisse durch eine Neuwahl grundlegend ändern würden. Die Linke und ihr Märtyrer Bodo Ramelow könnten zulegen, allerdings am ehesten auf Kosten von SPD und Grünen – das rot-rot-grüne Lager würde also nicht gestärkt. Ebenso wenig klar ist, ob die 5-Prozent-FDP aus dem Landtag flöge. Ja, FDP-Kandidat Kemmerich hat sich zum Dressuraffen der AfD gemacht – seine potenziellen Wähler*innen stört das aber nicht zwangsläufig. Eine aktuelle Infratest-Umfrage zeigt, dass der Großteil der FDP-Anhänger*innen kein Problem damit hat, wenn ihre Partei mit den Rechtsextremen paktiert. Wie sich das Kemmerich-Debakel auf die Wahlergebnisse von FDP und CDU auswirken würde, ist offen.

Wenn es ganz blöd läuft, steht am Ende ein neuer Landtag mit exakt der alten Sitzverteilung – also immer noch ohne stabile Regierungsmehrheit. Zurück auf Anfang, die AfD lacht sich schlapp.

Die Alternative: Die Demokrat*innen im Landtag zeigen, dass auch sie das demokratische Regelwerk nutzen können. Kemmerich stellt die Vertrauensfrage – und verliert, allein schon deshalb, weil ihn die CDU nicht noch mal unterstützt. Der Landtag führt im Anschluss noch mal eine Ministerpräsidenten-Wahl durch und entscheidet sich diesmal mit der einfachen rot-rot-grünen Mehrheit für Ramelow. Die linke Minderheitsregierung zieht ihr ursprünglich geplantes Programm durch und holt sich durch Kompromisse mit CDU und FDP für einzelne Vorhaben parlamentarische Mehrheiten.

Zugegeben, eine gewisse Skurrilität hätte auch diese parlamentarische Extra-Runde. Die Ereignisse dieser Woche würden nicht ungeschehen gemacht, das Regieren wäre mühsam und die Unterscheidbarkeit der demokratischen Parteien würde durch die ständige Kompromisssuche weiter schwinden. Aber immerhin würden die demokratischen Kräfte eines zeigen: dass das System doch funktioniert. Tobias Schulze

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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14 Kommentare

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  • "„Ich habe mich zum Trottel gemacht, weil ich dachte, ich rede mit Demokraten“, hat Ramelow "...



    Meiner Meinung nach hat er sich zum Trottel gemacht, weil er sich bereits vor der Abstimmung als Sieger fühlte und auch schon fleißig Jobs an die ihm wohlgesonnenen verteilt hat.



    Aber seine einflußreichen Freunde im Westen haben es ja nun wieder für ihn in Ordnung gebracht.

    • @*Sabine*:

      Wie? Das verstehe ich nicht. Meinen Sie den Westfunktionär Kemmerich?



      Oder den Nazi-West-Import Höcke?



      Und was haben die, oder bringen die "in Ordnung"?

  • Wer als Wähler*in zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres ins Wahllokal gebeten wird, gewinnt sicher kein frisches Vertrauen in die parlamentarische Demokratie.

    Dem kann ich nicht zustimmen. Es kommt doch darauf an, warum ein zweites Mal gewählt werden soll. (ähnlich wie bei Brexit)

    Und wer garantiert, dass die Situation nach einer zweiten Landtagswahl weniger skurril wäre?

    Ein sehr undemokratisches Argument! So agiert gerade die Thüringer CDU, die nicht wählen lassen will, weil sie weiß, dass sie dann abstürzt. Es kann ja wohl nicht sein, dass man eine Wahl ablehnt mit demArgument, das Ergebnis könne eventuell nicht nach Wunsch sein. Das macht gerade die Thüringer CDU...

  • Mit dem gegenwärtigen Landtags-Wahlergebnis lässt sich nichts mehr anfangen. Denn die AfD könnte versucht sein, ihre Trickserei mit einer anderen Partei zu wiederholen. Sie hat ja schon durchblicken lassen, dass sie die „Altparteien“ gern am Nasenring durch den Polit-Zirkus zieht. Andererseits wird vermutet, Neuwahlen könnten hauptsächlich die Linkspartei und die AfD stärken; unklar ist nur, wer mehr gewinnt.



    Die Politiker in den anderen BL sollten rechtzeitig vor den nächsten Landtagswahlen Vorkehrungen treffen, um Possenspielen der gehabten Art vorzubeugen.

  • Mein Wunschtraum wäre es bei einer Neuwahl das die AfD unterhalb der 5% bleibt. FDP so wieder 5,001% und dann sich tatsächlich auch als Demokraten beweisen dürfen. CDU 15% . Zuwachs bei der SPD, Grüne und Linke etwa gleich bzw. kleines Plus.



    Aber eigentlich wäre das Beste Neuwahl des MP wieder mit Ramelow, der beliebteste MP seit Bernhard Vogel, der Ratzinger Thueringens.

  • Pro! Aktuelle Forsa-Umfrage zu Neuwahlen: Satte 2/3 Mehrheit für r2g! Linke: 37%, CDU: 12%, FDP draußen, AFD +0,6%. Da kann kein CDU/FDP Parlamentarier für Neuwahlen sein.

  • Neuwahlen sind auf Bundesebene und auch auf Länderebene nichts Neues!

    Die Argumentation der Angst "die AfD lacht sich schlapp", wenn eine Neuwahl ein gleiches Stimmverhältnis ergeben würde, d a r f nicht das Kriterium sein. Allein diese Argumentation löst schon Begeisterung bei der AfD über ihre angedichtete Machtstellung aus, ohne dass eine Entscheidung über eine Neuwahl getroffen wurde. Diese Argumentation folgt einer angstbestimmten Logik, und hat nichts selbstbewusstem Demokratieverständnis zu tun.

    Es ist die Argumentation der CDU, die ihre konservativen Werte aus Angst vor der AfD seit Jahren auf den Strich schickt, um daraus politische Rendite zu machen!

    • @Drabiniok Dieter:

      "Diese Argumentation folgt einer angstbestimmten Logik, und hat nichts selbstbewusstem Demokratieverständnis zu tun."

      Volle Zustimmung!

  • Ist es wirklich so unwahrscheinlich, dass der CDU ein Teil ihrer Wähler nach links wegbricht? Vielleicht eher nicht zur Linken, aber (je nach sozio-kulturellem Milieu) zu SPD und Grünen? Ein paar wird es doch sicherlich geben, für die diese Aktion das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wenn es dann für RRG reichen würde, wäre das doch allemal besser als eine Minderheitsregierung, die auf das Wohlwollen dieser AFD-Kollaborateure angewiesen wäre.

  • nach einer aktuellen umfrage würden cdu und fdp bei neuwahlen viele stimmen verlieren!

    www.zeit.de/politi...n-mehrheit-neuwahl

  • "Die Linke und ihr Märtyrer Bodo Ramelow könnten zulegen, allerdings am ehesten auf Kosten von SPD und Grünen – das rot-rot-grüne Lager würde also nicht gestärkt."

    wohin geht eine cdu-wählerin /ein cdu wähler die oder der nicht damit einverstanden ist dass der cdu -landesverband mit der afd kollaboriert hat.?

    garantiert eher nicht zur linkspartei,aber vielleicht zu den grünen oder zur spd.



    also würde das rot-grün- "rote" lager doch gestärkt.



    zwischen spd und cdu gibt es auf bundesebene kaum unterschiede.beide parteien machen dieselbe neoliberale politik.das ist ja der grund für die krise der spd.aber in thüringen gibt es im hinblick auf das verhältnis dieser beiden parteien zur afd einen bedeutenden unterschied:teile der thüringer cdu kollaborieren mit der afd oder tendieren dazu .in der spd gibt es auch aber nicht nur in thüringen keinerlei solche tendenzen

    also wären neuwahlen eine chance die cdu in thüringen zu schwächen

  • Ich denke, es ist absolut unumgänglich, dass neu gewählt wird. Sonst haftet einem doch noch(!) gewählten Bodo Ramelow an, dass er seine Wahl nur dem Umstand zu verdanken habe, dass der rechtlich-demokratisch einwandfrei gewählte Thomas Kemmerich von außen zum Verzicht gezwungen wurde.



    Auch wahltaktisch sehe ich das Problem nicht: Wenn man die zitierte Infratest-Umfrage genau liest, wird die AfD vielleicht 1 Prozentpunkt hinzugewinnen - sie hat ihr Wählerpotezial ansonsten weitgehend ausgeschöpft. Die FDP wird die 5-%-Hürde nicht noch einmal überwinden und die CDU wird erneut deutlich dezimiert. SPD und Grüne haben sich nichts zuschulden kommen lassen und Bodo Ramelow kann mit seiner Beliebtheit punkten und möglicherweise Nichtwähler aktivieren, die sich das Schmierentheater, das da jetzt gespielt wurde, nicht gefallen lassen wollen. Es ist in meinen Augen hochwahrscheinlich, dass die Linke nach einer Neuwahl eine Mehrheitsregierung bilden kann!

  • Es gibt einfach keine Variante, die der AFD auf die Füße fallen kann, leider.

    • @nutzer:

      Das das Manöver vom Mittwoch die AfD nicht gestärkt hat stimmt aber auch. In den Umfragen bleibt sie konstant.