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Portrait von Regisseurin Pınar Karabulut„Ohne Kultur gibt es keine Demokratie“

Pınar Karabulut steht für pompös-kitschige Theater- und Operninszenierungen. Hier spricht sie über ihren Werdegang und die Gefahren der Kulturkürzung.

Pınar Karabulut liebt das Weltverständnis der italienischen Oper Foto: Miriam Klingl

Die Geschichte, wie sie ans Theater gekommen ist, sei nicht so aufregend, behauptet die Frau im violetten Blazer, während sie eine Hand mit knallbunten und kunstvoll verzierten Nägeln nach der Apfelschorle vor sich ausstreckt. Pınar Karabulut ist aktuell eine der interessantesten Bühnenregisseurinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre Theater- und Operninszenierungen sind pompös, mit aufwendig gestaltetem Kostüm und Bühnenbild, meist in kitschigen Bonbontönen oder farbgesättigt wie in Technicolor.

1987 geboren und aufgewachsen in Mönchengladbach, besuchte Karabulut die Theater-AG ihres Gymnasiums. „Da waren die Coolen drin“, erinnert sie sich im Gespräch mit der taz. Unter anderem auch Charlotte Roche: „Ich wollte unbedingt spielen, was sie gespielt hat“, schwärmt sie. So richtig aufgeblüht sei sie dann im Jugendclub des Stadttheaters. Später studierte sie Theaterwissenschaften, Literatur sowie Kunstgeschichte und assistierte an verschiedenen Bühnen.

Die Tochter sogenannter Gastarbeiter aus der Türkei weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig Räume sind, in denen sich Kinder und Jugendliche abseits des Klassenzimmers und der familiären Umgebung ausleben und ihre Identität finden können. „Ich weiß nicht, ob ich ohne diese Angebote auch dort gelandet wäre, wo ich heute bin“, sagt sie.

Die anstehenden Haushaltskürzungen von Bund und Ländern, die auch Kulturräume für Heranwachsende betreffen, kritisiert sie scharf. Gerade Kinder, die zu Hause keinen Zugang zu Kultur hätten, würden so benachteiligt. Wie wichtig Kultur für den Erhalt einer demokratischen Gesellschaft ist, wird dieser Tage oft betont. Auch Karabulut ist sich sicher: „Ohne Kultur gibt es keine Demokratie und die schieben wir grad durch die Hintertür ab.“

Machtmissbrauch, ­Rassismus und sexualisierte Gewalt

Die Demokratie fördern – wenigstens im Kleinen – scheint der Theater- und Opernregisseurin ein Anliegen zu sein. Bei ihren Produktionen versuche sie Räume zu schaffen, in denen offen und ohne Angst gesprochen werden könne. Was eigentlich selbstverständlich klingt, ist hinter der Bühne noch lange nicht so.

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder von Machtmissbrauch, ­Rassismus und sexualisierter Gewalt am Theater berichtet. Auch wenn bisherige Vorwürfe nicht nur männliche Theatermacher trafen, etabliert wurde das patriarchale System, das auch vor der Kultur nicht Halt macht, über Jahrhunderte von Männern.

„Kleinreden, unterdrücken und schreien, wenn etwas nicht passt“, so etwas erlebte Karabulut auf ihrem beruflichen Lebensweg mehr als einmal. Gelernt hat sie daraus, dass ihre eigenen Produktionen auch ein Safe Space für die darin Arbeitenden sein sollen. „Ich finde es wichtig, dass auch Raum dafür ist, über private Themen zu sprechen“, schließlich profitiere Schauspiel aus eigenen Erfahrungen. Da werde dann beispielsweise schon mal eine halbe Stunde über die Menopause gesprochen, verrät die Regisseurin.

Visualität ist elementarer Bestandteil von Karabuluts Arbeit, ob am Theater oder in der Oper. Sie betrachte die Bühne wie ein Gemälde sagt sie. In „Ulrike Maria Stuart“ etwa, das gerade am Deutschen Theater zu sehen ist, gleicht die Bühne (von Michela Flück) einer Unterwelt, aus der die Darstellenden als bluttrinkende Zombies aus Gräbern emporsteigen. Zwischen Märchen und Horrorfilm verortet Karabulut selbst ihre Ästhetik.

Zombiereferenzen und die Untoten der RAF

Pompös sind auch ihre bisherigen Operninszenierungen: 2021 feierte sie mit „Greek“ von Mark-Anthony Turnage ihr Debüt an der Deutschen Oper Berlin. Zwei Jahre später wurde ebendort ihre Version von Puccinis „Il trittico“ gezeigt. Oper sei für sie so spannend, da Emotionen dort – anders als im Schauspiel – weniger über Text als über die Musik übertragen würden.

Das Weltverständnis der italie­nischen Oper ist absolut konträr zum deutschen Theaterkosmos.

Pınar Karabulut

Privat höre sie zwar eher Beyoncé oder Lady Gaga, doch das Kitschige und Überhöhte der Oper fasziniere sie: „Das Weltverständnis der italie­nischen Oper ist absolut konträr zum deutschen Theaterkosmos.“

In Letzterem scheut Karabulut nicht die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen. So lässt sich „Ulrike Maria Stuart“, das im Februar dieses Jahres Premiere feierte, auch als Parabel auf eine sich selbst zersetzende Linke, wie wir sie seit dem 7. Oktober 2023 erleben, interpretieren.

Der Text von Elfriede Jelinek verknüpft Schillers Maria Stuart und Elisabeth I. mit den beiden weiblichen Galionsfiguren der RAF, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Die Zombiereferenz stehe, so Karabulut, beispielhaft für die deutsche Geschichte, die einem ähnlich im Nacken sitze, wie es die Untoten im Stück täten.

Intendanz am Schauspiel Zürich

„Ich erinnere mich, wie in meinem Geschichtsbuch ein kleiner Kasten zur RAF stand, mehr nicht.“ Auf ihre Nachfrage habe der Lehrer ausweichend geantwortet und auf den Lehrplan hingewiesen, der eine Auseinandersetzung mit diesem Teil jüngerer Geschichte nicht vorsah. Über manches lässt sich erst mit Abstand sprechen.

Ihre neueste Inszenierung, die am 19. Dezember ebenfalls am Deutschen Theater Premiere feiern wird, ist eine Neuinterpretation von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“. Autorin Katja Brunner, mit der Karabulut bereits für „Richard III“ am Schauspiel Köln zusammenarbeitete, hat den zutiefst misogynen Klassiker umgeschrieben und weitergedacht. In „Der Zähmung Widerspenstigkeit“ wird über Gewalt an Frauen, die Bedrohung ihrer Körper bis hin zum Femizid gesprochen und so Shakespeares einstige Dramaturgie in einen modernen Kontext gesetzt.

Um die Realität zu verändern gehört es auch dazu, Sehgewohnheiten zu hinterfragen.

Pınar Karabulut

Man kann sich bereits vorstellen, dass das den Traditionalisten in den Feuilletons nicht gefallen wird. Doch an so etwas scheint sich Karabulut glücklicherweise nicht zu stoßen: „Um die Realität zu verändern gehört es auch dazu, Sehgewohnheiten zu hinterfragen.“

Was im neuen Jahr auf sie zukommen wird, weiß Karabulut auch schon: Gemeinsam mit Rafael Sanchez übernimmt sie die Intendanz des Zürcher Schauspielhauses. Das ist nicht ihre erste Leitungserfahrung. 2016/17 führte sie zusammen mit dem Kuratorinnen-Team Britney X eine Außenspielstätte des Schauspiels Köln, 2020 bis 2023 war sie Teil der künstlerischen Leitung der Münchner Kammerspiele. Sie ist sich der Verantwortung bewusst, schließlich gehört das Schauspiel Zürich zu den renommiertesten Häusern im deutschsprachigen Raum.

Es fungierte zudem als Auffangstätte für Theaterschaffende, die während der NS-Zeit ins Exil mussten. Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ etwa kam 1941 ebendort zur Premiere. Auch Therese Giehse, die darin die Hauptrolle spielte und neben Brechts Ehefrau Helene Weigel als wichtigste Interpretin jener Zeit von Brechts Werken gilt, fand in dem Exilhaus eine Wirkungsstätte während des Zweiten Weltkrieges.

„Dieses Erbe des Hauses wollen wir auf jeden Fall ehren“, beantwortet Karabulut die Frage, wie Sanchez’ und ihre Pläne für das Schauspiel Zürich aussehen werden. Neben dem Blick in die Vergangenheit, wolle man aber auch in die Zukunft schauen „und beides in der Gegenwart zusammenbringen.“ Mehr will Karabulut noch nicht verraten. Eines ist aber sicher: Kunst reagiert immer auf Krisen und von denen haben wir aktuell mehr als genug.

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