Populismus und Islamismus: Sagten Sie „Islam-Linke“?
Führt ein falsch verstandener Antirassismus bei populistischen Linken zur Verbrüderung mit Islamisten? Es gibt deutliche Anzeichen dafür.
Entgegen dem, was man zuletzt lesen konnte, kommt das Wort „Islam-Linke“ (frz. islamo-gauchisme) nicht von der extremen Rechten. In Frankreich wurde es von Pierre-André Taguieff geprägt, einem angesehenen Gelehrten, der sich insbesondere mit verschwörungstheoretischen und antisemitischen Bewegungen befasst.
In seinem Verständnis bezeichnet dieser Begriff den während der zweiten Intifada geschlossenen Pakt zwischen Bewegungen der extremen Linken und solchen islamischer Fundamentalisten, als diese gemeinsam gegen die Politik Israels demonstrierten und dabei auch antisemitische Ausrufe und Sprüche in ihren Reihen duldeten.
Dieses Bündnis machte sich zumal bei der UN-Konferenz in Durban im Jahr 2001 bemerkbar, als Aktivisten der extremen Linken und Islamisten gemeinsam revisionistische Flugblätter verteilten, auf denen Hitler nachgetrauert wurde. Das war ein Schock für andere linke Aktivisten, die gekommen waren, um jede Art von Rassismus anzuprangern.
Denn das war das erste Mal, dass diese dubiosen Bündnisse offen in Erscheinung traten. In der islamischen Welt bestanden sie unter der Hand schon lange. Im Irak und in Ägypten kam es vor, dass progressive Bewegungen mit Fundamentalisten gemeinsame Sache machten, wenn es darum ging, ein Regime zu stürzen. Auch Khomeini wäre im Iran nicht an die Macht gekommen ohne die Hilfe der Intellektuellen und der radikalen Linken, sowohl der iranischen als auch der europäischen.
geboren 1975 in Aix-en-Provence, Frankreich. Zuletzt erschien von Ihr auf Deutsch „Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei“ (Edition Tiamat, Berlin 2020).
Schockierende Bündnisse
Noch schockierender ist es, festzustellen, dass es solche Bündnisse auch inmitten der Demokratien gibt, – und zwar gegen die Demokratie.
So geschieht es, dass Bewegungen, die den Anspruch erheben, fortschrittlich zu sein, die Sache der Frauen oder die Redefreiheit verraten, um sich mit intoleranten Aktivisten zu verbünden, deren regressive Weltanschauung für Freiheit nichts übrig hat. Das müssen wir heute in Europa feststellen. Studenten der extremen Linken und militante Islamisten protestieren zuweilen Hand in Hand, manchmal auch gewalttäig, gegen Verfechter einer universalistischen, feministischen und säkularen Linken, denen sie Veranstaltungen an Universitäten verbieten wollen.
Das passierte mir auch selbst vor einigen Jahren in Belgien. Etwa sechzig militante „Islam-Linke“ brachten es fertig, eine von mir einberufene Konferenz zu unterbrechen, und zwar eine über Rechtsextremismus und Rassismus…
Sie warfen mir vor, dass ich als Feministin die „Burka“, die Verschleierung des gesamten Körpers, kritisierte. Das ist auch anderen schon passiert. In England wurde Maryam Namazie, eine säkulare iranische Aktivistin, von militanten Islamisten und Linksextremisten angegriffen. Sie warfen ihr vor, sie sei „islamophob“, weil sie den religiösen Fundamentalismus und das Regime der Mullahs kritisierte (derentwegen sie ins Exil gegangen war).
Mit Islamisten gegen Charlie
In Frankreich protestierten Vertreter studentischer Gewerkschaften und Islamisten gegen die (posthume) Lesung eines Textes von Charb, dem von Islamisten bei dem Anschlag vom 7. Januar 2015 ermordeten Chefredakteur von Charlie Hebdo. Dieser Text richtete sich gegen genau jene Verwirrung, die das Wort „Islamophobie“ stiftet, so es dazu benutzt wird, Säkulare zu Rassisten zu stempeln.
Nun ist dieses Wort jedoch in eben dieser problematischen, die Freiheit bedrohenden Verwendung das Thema von gegenwärtig 120 Dissertationen an französischen Universitäten. Professoren und Forscher benutzen ihre Stellung, um diese Verwirrung zu fördern, so es etwa um die Frage der Dekolonisierung geht.
Das Problem besteht nicht darin, dass sie diese Weltanschauung in die Universität hineintragen, sondern dass sie in den Sozialwissenschaften inzwischen eine so überwältigende Mehrheit bilden. Und, dass sie jeden anderen Zugang zu diesen Themen, der ihnen widerspricht oder auch nur stärker differenziert, unmöglich machen. Ein solches Sektierertum passt zu einer Generation, die dazu neigt, sich von allem beleidigt zu fühlen.
Das geht mittlerweile so weit, dass der Streit um Ideen mit einem Zusammenstoß von Identitäten, das Recht auf Gotteslästerung mit Rassismus und beinahe jede Abweichung oder Schattierung mit einer „Mikroverletzung“ verwechselt wird. Was die Lehre und selbst jedes Gespräch an einer Universität immer heikler machen.
Die Hetzkampgane gegen Paty
Während die Aufstachelung zum Hass im Internet kaum jemals so enthemmt war wie heute, wird es immer schwieriger, schöpferisch tätig zu sein oder zu debattieren, ohne zur Ordnung gerufen, bedroht, beschimpft oder „annulliert“ zu werden. Wenn es denn nicht noch darüber hinausgeht. In Frankreich wurde Samuel Paty, der seine Schüler die Redefreiheit und das Recht auf Gotteslästerung zu lehren versuchte, von einem Dschihadisten enthauptet, infolge einer von Islamisten und „Islam-Linken“ geführten Hetzkampagne, in der man ihn der „Islamophobie“ bezichtigte.
Danach trauten sich viele Lehrer, über die Schwierigkeiten zu sprechen, denen sie begegnen, sobald sie bestimmte Themen anschneiden.
Daher die Besorgnis der Ministerin für Hochschulbildung Frédérique Vidal. Ihre Ungeschicklichkeit bestand darin, dass sie eine „Untersuchung“ zum Thema „Islam-Linke“ forderte, womit sie den Eindruck erweckte, die akademische Freiheit in Frage stellen zu wollen. Sie hätte besser nur einen Bericht bestellt oder eine große Diskussion über Pluralität und akademische Freiheit angeregt. Denn darum geht es im Grunde.
Das Wort „Islam-Linke“ gibt die komplizierten Mechanismen kaum wieder, die am Werk sind, wo identitäre Vorstellungen gelehrt werden sollen, sei es in der Frage der Dekolonisierung oder selbst der der Geschlechter.
Bisweilen verunglimpft die extreme Rechte alle, die ihren Vernebelungen widerstehen, als „Islam-Linke“. Doch das bedeutet nicht, dass es eine Islam-Linke nicht gäbe. Die ist leider eine ideologische und politische Realität.
Das beste Mittel, die Vereinfachungen der extremen Rechten zu bekämpfen, ist nicht, sie zu leugnen, sondern im Gegenteil eine hellsichtige Linke zu verteidigen, die die Dinge genau benennt, den Verrat fortschrittlicher Ideen denunziert und einen anderen Weg einschlägt: einen egalitären und säkularen.
Aus dem Französischen übersetzt von Christoph Hesse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr