Feminstin Gisèle Halimi: Fortschritt auf wackligen Beinen

Die Rechtsanwältin Gisèle Halimi war eine Ikone des internationalen Feminismus. Nun liegt ihr bewegender Lebensrückblick vor.

Portrait von Gisèle Halimi.

Gisèle Halimi 1977 Foto: Giancarlo Botti/Gamma/getty images

Gisèle Halimis Leben als Aktivistin beginnt im Alter von zehn Jahren im Tunesien der 1930er Jahre. Weil sie ihre beiden Brüder nicht länger bedienen will, tritt sie in den Hungerstreik und markiert damit den Auftakt ihres 80 Jahre währenden Kampfes gegen das Patriarchat.

Im vergangenen Jahr ist die Ikone der französischen Frauenbewegung mit 93 Jahren gestorben. Einige Monate zuvor hat die Journalistin Annick Cojean sie interviewt und das Gespräch als Buch veröffentlicht. Mit ihren Fragen greift ­Cojean die wichtigsten Stationen in Halimis Leben auf und leitet uns durch ihre bewegte Lebensgeschichte.

Gisèle Halimi, 1927 in der Nähe von Tunis als Tochter jüdischer Eltern geboren, wehrt sich gegen eine Zwangsheirat und geht zum Studium nach Paris. Als Anwältin in Frankreich setzt sie sich während des Algerienkriegs gegen die Folter durch das französische Militär ein, trägt zur Straffreiheit von Abtreibungen und zur Verschärfung des Sexualstrafrechts bei.

Gisèle Halimi, Annick Cojean: „Seid unbeugsam!“ Aus dem Französischen von Kirsten Gleinig. Aufbau Verlag, Berlin 2021, 140 Seiten, 20 Euro

1972 vertritt sie die 17-jährige Marie-Claire Chevalier, die vor Gericht steht, weil sie abgetrieben hat – angezeigt von ihrem Vergewaltiger. Halimi hält ein leidenschaftliches Plädoyer, verweist auf ihre eigenen Abtreibungen. Und schon damals argumentiert sie intersektional, lange bevor es der Begriff in den feministischen Mainstream geschafft hat. Wegen Abtreibung würden nur sozial niedrig gestellte Frauen angezeigt, ein klarer Fall von „Klassenjustiz“.

Vorgetäuschter Fortschritt

Auf Cojeans Fragen antwortet ­Halimi humorvoll und kurzweilig; sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie ihre Begegnungen mit Zeit­ge­nos­s*in­nen wie Simone de Beauvoir oder François Mitterrand schildert.

Zu letzterem bemerkt sie: „Mir wurde erst im Nachhinein bewusst, dass die Vortäuschung eines feministischen Fortschritts der linken Regierung uns Zeit gekostet hatte.“ Etikettenschwindel gab es schon, bevor Feminismus zum Markenversprechen geworden ist. Halimi ist parteilose Abgeordnete unter der Regierung Mitterrand, doch sie wird ausgebremst, die Parlamentarier machen sich über ihr Kleid und ihre Stimme lustig und sie legt ihr Mandat vorzeitig nieder.

Es sind Anekdoten wie diese, die das Buch so lesenswert machen. Es zeigt, wie gewaltig der Einsatz von Fe­mi­nis­t*in­nen wie Halimi war, was sie erreicht haben, aber auch auf welch wackeligen Beinen dieser Fortschritt steht. Zu viele Frauen „billigen ihre Unterdrückung“, befindet sie. Das ist keine Anklage, sie weiß schließlich, wie das Patriarchat funktioniert. Deshalb fordert sie in ihrem letzten Plädoyer: Seid finanziell unabhängig! ­Organisiert euch!

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