Polizeieinsatz vor Ida Ehre Schule: „Verhältnismäßig und rechtmäßig“
Im August sollen Hamburger Schüler einen Polizisten gegen den Kopf getreten haben. Dessen Verhalten bei dem Vorfall wird kritiklos durchgewunken.
Nach einer Horroraktion von Monsterkids hörte sich an, was sich vor dem Tor der Eimsbüttler Ida Ehre Schule zugetragen haben sollte. Grundlage der Texte war eine Pressemitteilung der Polizei Hamburg. Mehrere Schüler hätten einen Schulpolizisten, der einen Streit zwischen zwei Jungen habe schlichten wollen, „tätlich angegriffen“. Ein an der Schule tätiger „Cop4U“ habe Streit zwischen zwei Jungen schlichten wollen und sei dabei angegriffen und „mehrfach gegen den Kopf getreten“ worden. „Nur weil der Polizeibeamte bei dem Einsatz noch seinen Fahrradhelm trug, blieb er unverletzt“, schrieb die Polizeipressestelle.
Bei der Lektüre der Pressemitteilung fielen einige Adjektive auf. So habe einer der Streitenden, die der Beamte habe trennen wollen, „vehement“ eine Hand unter seiner Jacke verborgen und sie auch nach Aufforderung nicht gezeigt. Da der Polizist den 13-Jährigen bereits gekannt habe und nicht habe ausschließen können, dass er bewaffnet war, habe er dessen Arme fixiert. Da der Junge dabei um sich geschlagen habe, habe er ihn „zu Boden bringen und weiterhin fixieren“ müssen. Die ringsum stehenden Kinder und Jugendlichen hätten sich dann „auf hochaggressive Weise“ mit dem Festgehaltenen solidarisiert und den am Boden liegenden Polizisten bedrängt.
Ob der Junge tatsächlich bewaffnet gewesen war, ließ die Pressemitteilung offen. Auf taz-Nachfrage räumte die Pressestelle am darauf folgenden Sonntag ein, dass der Junge nicht bewaffnet war. Bald darauf kursierte ein Video, dass den Polizisten auf dem Jungen zeigte, und Kinder, die ihm zuriefen: „Hören Sie auf!“, „hören Sie auf“, „er kriegt keine Luft mehr!“, „der Typ ist 13“.
Bei aller berechtigten Empörung über Tritte gegen den behelmten Kopf – wir sahen auf dem Video zwei – stellten wir die Frage nach dem Verhältnis von Aktion und Reaktion, musste doch das beschriebene Zubodenbringen auf Kinder und Jugendliche bedrohlich gewirkt haben. Ihr Versuch, dem Jungen beizustehen, könnte ein verständlicher Impuls sein, auch wenn Tritte inakzeptabel sind.
Schulbehörde und auch Schulleitung konzentrierten sich in der Öffentlichkeitsarbeit darauf, das Verhalten der Kinder zu verurteilen. Die Rektorin erklärte in einer über den Presseverteiler der Behörde verbreiteten Stellungnahme, sie sei entsetzt vom Gewaltpotenzial der Kinder und erschrocken über deren Empathielosigkeit und darüber, „mit welchem Selbstverständnis und in entfremdender Form 'gegafft’ wird“. Elf Schüler wurden suspendiert.
Die Bild-Zeitung veröffentlichte bald darauf einen Bericht mit der Überschrift „Die Gewalt-Akte der Ida-Ehre-Schläger“, in dem fünf Kinder aufgeführt wurden, die einiges „auf dem Kerbholz“ hätten, zum Beispiel „Widerstand“. Das Medienecho blieb nicht ohne Wirkung. Die Schulsprecher wandten sich kurz darauf hilfesuchend an den Elternrat, weil sie sich in den sozialen Medien „gebasht und als Schläger gebrandmarkt“ sahen, wie eine Elternrätin berichtete.
Der Elternrat kritisiert daraufhin die Öffentlichkeitsarbeit von Polizei, Schulbehörde und Schulleitung, die Kinder pauschal zu kriminalisieren. Diese hätten gar nicht erst erwogen, dass viele Schüler aus Zivilcourage stehen geblieben seien und weil sie dachten, dass der am Boden Liegende Hilfe braucht.
Die taz sprach mit einem Schüler, der damals direkt vor Ort war und eben dieses Motiv schildert. „Er hatte ihn im Schwitzkasten“, beschrieb der 14-Jährige die Situation. „Der Typ hat laut gerufen, er kriegt keine Luft mehr. Der Polizist hat nicht darauf reagiert.“ Da habe ihn einer an den Kopf getreten. „Er hat versucht, ihn runterzutreten, weil er dachte, dass der andere erstickt.“
Damals kamen zwölf Streifenwagen hinzu, trennten die Menge und nahmen drei Kinder mit zur Wache. Dabei hätten die Beamte auch den Schlagstock gezeigt und seien rabiat gewesen, erinnert sich der Junge. In dieser Lage hätten einige Schüler eine Kette gebildet und „ACAB“ gerufen. „Aber zu sagen, es gab eine Massenschlägerei, ist ganz falsch.“
Die Linken-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus und ihr Referent Hanno Plass widmeten dem Vorgang einen längeren Text in ihrem „Bürgerinnenbrief“ und zitierten einen Kampfsport-Experten, der vermutet, dass es sich beim angewandten Griff um einen potenziell tödlichen Würgegriff handelt. Der Stern schrieb daraufhin von einer „Wende bei der Aufklärung des Falls“, denn nun werde auch intern gegen den Polizisten ermittelt.
Auch die taz sprach mit diesem Kampfsportexperten. Er heißt Jan Henning Bode und sagte, dass auf den ihm von dem Vorfall vorgelegten Videos ein „Scarf Hold Chest Choke“-Griff zu sehen sei, der wegen seiner Gefährlichkeit bei der Polizei in New York verboten sei.
Darauf angesprochen, erklärte ein Polizeisprecher, dieser Griff werde bei der Polizei nicht gelehrt und es könne auch nicht beurteilt werden, ob diese Grifftechnik Anwendung fand. Es werde aber der gesamte Einsatz vom Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) in alle Richtungen überprüft. Dazu gehöre auch eine Untersuchung des „polizeilichen Einschreitens“. Dieselbe Auskunft gab uns auch die Staatsanwaltschaft.
Nun, vier Monate später, stellte die Fraktion Die Linke eine Anfrage, um zu herauszufinden, was aus den Ermittlungen wurde. Denn es gebe „die berechtigte Vermutung, dass der Cop4U durch seine Übergriffigkeit erst zu dieser Eskalation beigetragen hat“.
In der Antwort teilt der Senat nun mit, dass es gegen den Cop4U-Beamten keineswegs ein Ermittlungsverfahren gibt. Besagtes DIE-Dezernat ermittle nur gegen vier weitere am Einsatz beteiligte Polizeibeamte, gegen die eine Mutter Strafanzeige wegen Körperverletzung stellte. Ein anderes Verfahren richte sich gegen fünf Schüler wegen Widerstands gegen Beamte. Vier von ihnen würden eingestellt, weil die Beschuldigten Kinder sind. Das Verfahren gegen einen 15-Jährigen dauere an, hier werde das „umfangreiche Aktenmaterial“ ausgewertet.
Cop4U wieder im Einsatz
Der Cop4U sei wieder im Einsatz, das sei auch Wunsch der Schulleitung. Eine „Evaluation“ des Einsatzes habe ergeben, dass dessen Einsatz „verhältnismäßig und rechtmäßig“ gewesen sei. Denn „Maß und Mittel“ hätten sich ausschließlich aus dem Verhalten der Kinder ergeben. Im Vorfeld habe ein Vater Anzeige gegen den 13-Jährigen gestellt. Das Ziel sei die Verhinderung von Straftaten gewesen.
Auch der Sprecher der Schulbehörde zieht als Fazit, die Schulgemeinschaft und die Schulleitung hätten „auf den schweren Gewaltvorfall pädagogisch angemessen reagiert“. Die Aufarbeitung sei nicht abgeschlossen, mache aber „große Fortschritte“.
Keinen Niederschlag in den Ausführungen des Senats findet die grundsätzliche Kritik am Einsatz von Schulpolizisten, die infolge dieses Vorfalls laut wurde. Die Erziehungswissenschaftlerin Sinah Mielich beschäftigte sich 2010 im Rahmen einer Studienarbeit mit dem „Cop4U-Konzept“ und hält es für falsch. Denn die Polizisten übernähmen pädagogische Aufgaben, bauten Vertrauen zu den Schülern auf, seien aber keine Pädagogen, sondern Polizisten, die Strafanzeigen stellen.
Mielich sieht ihre Kritik nun bestätigt. „Den Medienberichten zufolge geschah das gewalttätige Agieren des Polizisten auf Basis einer Vermutung und damit auf Grundlage einer Stigmatisierung des Schülers“, sagte sie. „Eskalative Konfliktführung hilft in so einer Situation nicht zur Verständigung.“ Schon die Programmatik des Cop4U habe einen Fehler, da nahezu jeder Konflikt unter dem Etikett der Jugendkriminalität eingeordnet werde. Zudem verlocke sie die Schulen dazu, „bei jeder Kleinigkeit ihren Hauspolizist zu rufen“.
Weitere Schwachstellen
Der Fall legt noch weitere Schwachstellen des Hamburger Konzepts „Handeln gegen Jugendgewalt“ offen. So führt Hamburg auffällige Kinder und Jugendliche in einer Datenbank, in die verschiedene Behörden Details einspeisen und die – zum Missfallen des Datenschutzbeauftragten – zentral bei der Polizei gepflegt wird. Auch wenn der Senat nun beteuert, alle Behörden hätten sich „in keiner Weise an der medialen Bloßstellung von Jugendlichen beteiligt“, fragt man sich doch, woher denn die Medien die zu einzelnen Kindern veröffentlichten Informationen hatten?
Zum Ärger des Elternrats griff der NDR Ende November das Thema unter dem Titel „Gewaltausbruch vor der Ida-Ehre-Schule“ wieder auf. Solch negative Berichterstattung schade, schreibt der Elternrat in einem Brief an die Schulbehörde. Die Schüler müssten sich nicht nur im Internet als „Polizistenverprügler“ wieder finden, sondern würden auch bei Bewerbungen abgelehnt. Kurzfristig nötig sei ein Konzept, dass das Außenbild der Schule verbessert.
Der Leiter der „Beratungsstelle Gewaltprävention“ der Schulbehörde, Christian Böhm, äußerte in besagtem NDR-Beitrag aber auch Verständnis für die Schüler. Er höre immer mehr Stimmen von Kindern und Jugendlichen, dass sie aufgrund der Situation total verunsichert waren. „Und das, finde ich, müssen wir berücksichtigen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind