Elternrat kritisiert Schulleitung: „Kinder werden kriminalisiert“

Der Elternrat der Hamburger Ida-Ehre-Schule protestiert gegen die Informationspolitik von Polizei und Schulbehörde nach dem Vorfall vor der Schule.

Die Ida Ehre Schule in Hamburg-Eimsbüttel: Grüne Bäume verdecken einen roten Backsteinbau

Elternrat wehrt sich gegen Negativ-Berichterstattung: Die Ida Ehre Schule in Eimsbüttel Foto: Daniel Reinhardt/dpa

HAMBURG taz | Der Elternrat der Ida-Ehre-Schule hat die Informationspolitik von Schulleitung, Schulbehörde und Polizei kritisiert. Eine einseitige Darstellung und voreilige Bewertung dessen, was am 19. August bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einem Polizisten vor dem Schultor passierte, habe dazu geführt, dass Schüler „pauschal kriminalisiert werden“, heißt es in einer Stellungnahme des 21-köpfigen Gremiums. Auch die Schülersprecher kritisieren diesen Punkt.

„Zu unserer Stellungnahme hat uns nicht zuletzt ein Bericht der Schülervertretung bewogen“, berichtet die Elternrätin Antje Haubenreisser. „Die Kinder sehen sich in den sozialen Medien gebasht und als Schläger gebrandmarkt.“

Ein Beispiel für negative Berichterstattung bot die Bild in ihrer Samstagsausgabe. Unter dem Titel „Die Gewalt-Akte der Ida-Ehre-Schläger“ wurden über fünf Kinder aufgeführt, die es „auf dem Kerbholz“ hätten. Zu den angeblichen Taten zählte auch schlicht „Widerstand“.

Wie die taz berichtete, kam an jenem Nachmittag ein Stadtteilpolizist mit dem Rad vorbei und versuchte einen Streit zwischen zwei Schülern zu schlichten. Da einer der beiden die Hand unter seiner Jacke nicht vorzeigte und der Beamte vermutete, er könnte bewaffnet sein, fixierte er die Arme des 13-Jährigen und brachte ihn zu Boden.

Der Junge sagte, er bekäme keine Luft

Ein vom NDR veröffentlichtes Video zeigt, wie der Junge unter dem Griff des Beamten zappelt und umstehende Kinder „Hören Sie auf, hören Sie auf“ rufen. Der Polizist bekam laut Polizeibericht „mehrfach“ Tritte an seinen Kopf. Es gibt ein zweites Video, das zwei Tritte von einem Kind aus zweiter Reihe zeigt, bevor der Polizist von dem um Luft ringenden Jungen ablässt und aufsteht.

Bei Minderjährigen soll die Pressearbeit der Behörden zurückhaltend sein. Auslöser dafür, dass die Medien überhaupt berichteten, war eine ausführliche Polizeimitteilung am Folgetag, allerdings erwähnte die gar keine Schule und beschrieb nur Ereignisse auf der Straße. Ein Statement mit der deutlichen Zuordnung „zum Gewaltvorfall vor Ida Ehre Schule“ verschickte wenige Stunden später Schulsenator Ties Rabe (SPD) und teilte gleich mit, die Schulleitung habe sich davon distanziert.

Auch die Schulleiterin Nicole Boutez selbst veröffentlichte eine Stellungnahme der Schule, in der sie eine erschütternde „Eskalation“ beschrieb. Unter den vielen Schaulustigen seien auch Schüler ihrer Schule gewesen. Die Schulleitung sei entsetzt vom Gewaltpotenzial der Kinder und erschrocken, „mit welchem Selbstverständnis und in entfremdender Form,gegafft' wird“. Sie sei „bestürzt über die scheinbare Empathielosigkeit“ der Zuschauer. Wie berichtet, wurden elf Schüler suspendiert, die sich nicht auf Aufforderung der Lehrer entfernten.

Der Elternrat schreibt nun, dass sich Schulbehörde und Schulleitung ohne Not und mit dünner Informationslage einseitig positionierten und damit über die Negativ-Berichterstattung „nicht wundern“ müssten. Es sei nicht richtig, das Beobachten einer Situation als „Gaffen“ zu diffamieren. Auch habe die Schulleitung nicht erwogen, dass die Schüler aus Zivilcourage stehen blieben. Viele Jugendliche hätten geschildert, dass der am Boden fixierte Junge nach ihrem Eindruck Hilfe brauchte. „Wir möchten nicht, dass unsere Kinder einfach vorbeigehen, wenn jemand schreit:,Ich bekomme keine Luft'“. Der Elternrat fordere nun die Verantwortlichen auf, die Vorverurteilungen zu reflektieren.

Schulsprecher berichten von Bedrohung im Netz

Diese Sicht teilt das Schulsprecherteam. „Unsere Schüler wurden in eine Situation gebracht, in der sie nicht hätten sein sollen“, sagt eine Schülersprecherin der taz. „Der Schüler lag auf dem Boden und rief, dass er nicht atmen kann. Uns wurde beigebracht, dass wir andere nicht allein lassen, wenn sie in Not sind“, so die junge Frau. Die anwesenden Schüler seien hilflos und überfordert gewesen. Nach Auswertung der Videos sei der Beamte dann von einem Schüler getreten worden.

„Das geht absolut nicht, da sind wir uns alle einig“, so die Oberstufenschülerin, die in der jetzigen Situation nicht namentlich genannt werden möchte. „Wir kritisieren aber die Schulleitung, die uns in den Medien so darstellt, als hätten wir ein hohes Gewaltpotenzial“. Auch sei es schlimm für die Anwesenden gewesen, „dass sie die Schuld bekamen, obwohl sie nur nicht wissen, was sie tun sollen“. Das Ganze sei gefährlich für die Schüler. „Es gibt Bedrohungen und Hetze mit rassistischen Zügen gegen uns im Netz.“

Schulleiterin Nicole Boutez erklärt, sie habe eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Elternrat und sei von dieser Stellungnahme überrascht, da darin die geforderte „Multiperspektivität“ fehle. Dass Schülerinnen und Schüler das Gefühl hätten, sie seien zu Unrecht kriminalisiert, habe sie gehört. Das hätten aber nur sehr wenige Schüler geäußert. Auch hier wäre die Schulleitung mit Beteiligten in Gesprächen. Es gebe eine Reihe von Eltern und Schülern mit anderen Positionen. Möglicherweise sei dies in der Stellungnahme „nicht so deutlich herausgearbeitet worden“.

Der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, verteidigt die Öffentlichkeitsarbeit. Die sei „nur reaktiv“ auf Anfragen von Medien erfolgt. So sei der Name der Schule schon öffentlich bekannt gewesen, als sie ihr Statement verschickte. Der Elternrat der Ida-Ehre-Schule weise zu Recht darauf hin, dass die Taten noch nicht aufgeklärt sind und „die Beteiligten als Kinder und Heranwachsende nicht zu Straftätern abgestempelt werden dürfen“.

Gleichwohl werde vom Elternrat verschwiegen, dass die Kinder und Jugendlichen gegenüber einem Polizisten, der sie schützen wollte, „in einer ungewöhnlichen Weise gewalttätig geworden sind“. Es wäre in dieser Situation sehr wichtig, dass sich auch die Elternvertreter klar gegen Gewalt aussprechen.

Das allerdings hatte der Elternrat schon vor zwei Wochen in einer ersten Stellungnahme getan.

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