Politische Analystin über Gaza: „Die Menschen beten für Sicherheit“
Die meisten Zivilist*innen im Gazastreifen haben keinen Bezug zur bewaffneten Politik der Hamas, sagt die politische Analystin Reham Owda in Gaza-Stadt.
taz: Frau Owda, Israels Armee hat auf die Raketen der Hamas mit massiven Luftangriffen im Gazastreifen reagiert. Wie haben Sie die letzten Tage erlebt?
Reham Owda: Meine Familie und ich leiden noch unter der psychischen Belastung nach dem Grauen. Wir haben in den letzten Tagen des Ramadan gefastet und waren hungrig und durstig. Und dann diese Unsicherheit, besonders in dem Moment, als Israel die Gebäude des Innenministeriums in der Nähe unserer Nachbarschaft bombardierte. Es war 6 Uhr morgens. Wir sind aus unseren Betten gesprungen, unser Haus zitterte. Es war, als hätte ein Erdbeben das Fundament unseres Hauses bewegt. Das hatten wir seit dem Krieg 2014 nicht mehr erlebt.
ist politische Analystin und lebt mit ihrer Familie in Gaza-Stadt.
Mehr als 80 Menschen in Gaza wurden getötet, darunter Zivilist*innen. Wie reagiert die Bevölkerung auf diese Eskalation der Gewalt?
Sie ist entsetzt, betet für ihre Sicherheit und dafür, dass diese Schlacht endet. Statt sich gegenseitig zum Zuckerfest zu gratulieren, das am Donnerstag begonnen hat, gucken alle, ob Verwandte und Freunde in Sicherheit sind. Die Kinder sind wütend, weil sie ihre Freunde nicht besuchen oder in Parks gehen können. Die Familien, die ihr Zuhause verloren haben, als Israel drei Hochhäuser angriff, sind verzweifelt, weil sie ihre Traumwohnungen durch die Eskalation verloren haben und Möbel, Kleidung und Erinnerungen zurücklassen mussten.
In den angesprochenen Hochhäusern soll auch die Hamas Büros gehabt haben. Wie ist es möglich, dass Menschen die Hamas unterstützen, obwohl sie Raketen auf zivile Ziele abfeuert und Israel veranlasst, Gaza anzugreifen?
Die meisten Zivilist*innen haben keinen Bezug zur bewaffneten Politik der Hamas. Die meisten wollen einfach in Frieden und Sicherheit leben. Aber die Hamas bekommt auch Unterstützung von ihren eigenen Mitgliedern und von Leuten, die mit anderen Gruppierungen verbunden sind. Sie befürworten es, die israelische Besatzung mit Waffengewalt zu bekämpfen.
Wie lebt es sich unter diesen Bedingungen?
Seit 2006 steht der Gazastreifen unter israelischer Blockade. Die meisten Grenzen sind geschlossen und die Reise- und Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Es gibt kein sauberes Wasser und keinen Strom. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent. Dazu kommt, dass die Gesundheitssituation immer schlimmer wird, da sich Corona im Gazastreifen ausbreitet und die meisten Krankenhäuser mit Covidpatient*innen überfüllt sind. Es fehlt an Impfstoff, Beatmungsgeräten und Medikamenten. Mit der militärischen Eskalation sind jetzt die meisten Krankenhausbetten mit Verletzten belegt. Laut einem Bericht des Gesundheitsministeriums in Gaza wurden mehr als 360 Menschen verletzt.
Verfolgen die Leute die Situation in Israel und im Westjordanland?
Da Israel den Menschen aus Gaza weder erlaubt, nach Israel noch ins Westjordanland zu reisen, und alle Grenzen kontrolliert, gibt es keine physische Verbindung. Aber die Menschen verfolgen das Geschehen auf Sendern wie Al Jazeera, auch wenn sie in erster Linie damit beschäftigt sind, was in Gaza passiert. Die eigene Sicherheit und das eigene Zuhause haben Priorität. Dennoch unterstützen die Menschen in Gaza immer noch die Bewohner*innen (der von Zwangsräumung bedrohten Bewohner*innen des Jerusalemer Stadtteils, d. Red.) Sheikh Jarrahs und zeigen ihre Solidarität über soziale Medien.
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