piwik no script img

Die Grenzen des Tragbaren

Zu eng, zu kurz, zu durcheinander: Rechten Ideologen fehlt es nicht nur innerlich an Stil. Ein Experte für Männermode erklärt, was bei der Kleiderwahl von Höcke und Co falsch läuft – und was das mit ihrem Denken zu tun hat

Selbstverständlich ist es naiv zu behaupten, in der Politik würde Kleidung keine Rolle spielen – Politikerinnen wissen das schon seit Jahren. Claudia Roth, Annalena Baerbock, Angela Merkel, Saskia Esken, sie alle mussten sich schon dummes Zeug über ihre Kleiderwahl anhören; meistens von rechten bis rechtsradikalen Männern, meistens ohne Sinn und Verstand, immer ohne Kenntnis von Mode.

Männliche Politiker kommen meist um einen Style-Check herum. Doch mit dieser Ungerechtigkeit ist jetzt Schluss. Seit einigen Monaten seziert Derek Guy auf X (ehemals Twitter) die Kleidung rechter US-Politiker, um die Widersprüche zwischen ihrem Weltbild und ihrem Stil offenzulegen. Über J. D. Vance schrieb er beispielsweise, dass sich sein Kleidungsstil in den vergangenen Monaten immer mehr dem von Donald Trump anglich (rote Krawatten!), und bei Trump stellte er fest, dass seine Anzüge den Eindruck einer V-förmigen Silhouette er­wecken, weshalb sie massive Schulterpolster haben müssen.

Guy, ein Kenner der Männermode, der Codes und der Historie von Kleidung, hat sich für die wochentaz drei Fotos von AfD-Politikern genauer angeschaut. Was er gesehen hat, hat ihm nicht sehr gefallen. Wir haben seine Eindrücke protokolliert.

„Eine Sache vorweg, um Missverständnisse zu vermeiden: Björn Höcke, Tino Chrupalla und Torben Braga tragen auf diesen Fotos keine traditionell männliche Kleidung. Und das wäre auch vollkommen in Ordnung und nicht der Rede wert, wenn sie nicht Politiker wären, die ein sehr traditionelles Weltbild haben und für die Männlichkeit eine große Rolle spielt.

„Ein klassischer Trenchcoat reicht bis zum Knie. Der hier reicht gerade mal über den Hintern und wirkt wie ein Kindermantel“

Das gleiche Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt es übrigens in den USA, wo rechte Politiker Kleidung anziehen, die vor 20 Jahren zu einer Art ‚Geschlechterpanik‘ geführt haben. Damals haben Designer wie Raf Simons oder Hedi Slimane die männliche Silhouette geschrumpft. Kleidung für Männer war plötzlich eng geschnitten, eine Reaktion auf die Oversized-Mode der 1980er und 90er Jahre.

Diese neue, schmale Silhouette löste unter Konservativen eine gewisse Panik aus, denn auf einmal gab es keinen ersichtlichen Unterschied zwischen ‚männlicher‘ und ‚weiblicher‘ Mode. Männer trugen plötzlich figurbetonte Kleidung, was zuvor eher eine Sache in der Frauenmode war. Sehr konservative Männer (und Frauen) schüttelten die Köpfe und fragten sich, ob jetzt die Männer verweiblichen und warum alle ‚so schwul‘ aussehen würden. Das war die Zeit, als der Begriff ‚metrosexuell‘ aufkam – was ja nichts anderes war als ein Marketingwort, mit dem man diese neue Männermode verkaufen wollte. Schließlich ging es nicht nur um Kleidung, sondern auch um ­Kosmetikprodukte, denn nun cremten auch Männer sich das Gesicht ein. All das galt natürlich als unmännlich und erschütterte die westliche Zivilisation.

Aber wie das so ist mit Trends: Sie sickern langsam, aber sicher durch, und heute sind sie der Mainstream. Überall gibt es Kleidung für Männer, die eher diesem Trend folgen als dem traditionellen Verständnis von männlicher Kleidung. Das muss man vorab wissen. Weiß man es nicht – weil man sich für so etwas Unmännliches wie Mode eben nicht interessiert – geht man halt in irgendein Geschäft, kauft irgendwas und zieht das dann an.

„Sie wollen traditionell aussehen, sie wollen aussehen wie respektable Männer. Gleichzeitig wollen sie aber auch nicht aussehen wie die ‚herrschende Klasse‘, denn die wollen sie ja abschaffen“

Björn Höcke

Was dabei rauskommt, sehen wir auf dem Foto von Björn Höcke. Gehen wir es einmal durch: Der Trenchcoat ist viel zu eng. Denken Sie mal an Fotos von Humphrey Bogart im Trenchcoat! Wie voluminös der war! Aber noch interessanter ist, wie kurz Höckes Trenchcoat ist. Ein klassischer Trench reicht bis zum Knie. Der hier reicht gerade mal über den Hintern und wirkt wie ein Kindermantel. Auch die Jeans sitzt doch sehr, sehr eng und auch sehr tief – das war ein Schnitt für Frauenjeans am Anfang des Jahrtausends. Dass heute Männer so etwas anziehen, die voller Sorge um traditionelle Männlichkeit sind, ist nicht ohne Ironie. Na ja, und der Rest: Der Schal ist zu kurz, und mir gefällt das Design nicht. Das Hemd verstehe ich nicht. Warum hat das schwarze Knöpfe und im Inneren des Kragen einen andersfarbigen Stoff?

Wir kommen auch nicht umhin, in diesem Fall Pierre Bourdieu zu Rate zu ziehen, der über Mode und Geschmack in ‚Die feinen Unterschiede‘ alles geschrieben hat, was man wissen muss. Demzufolge gibt es einen guten und einen schlechten Geschmack, und was in diesem Fall ‚gut‘ und was ‚schlecht‘ ist, bestimmt die herrschende Klasse. So gesehen kann ‚schlechter Geschmack‘ großartig aussehen, denken wir nur an Marlon Brando in einer schwarzen Lederjacke, weißem T-Shirt und Jeans – ein Stil, den die herrschende Klasse damals nicht mit ‚gutem Geschmack‘ assoziiert hätte.

Rechtsextrem und geschmacklos: AfD-Politiker Björn Höcke Foto: Jacob Schröter/imago

Aber mit Höcke ist das natürlich etwas anderes, da greifen diese Kategorien nicht. Das, was auf diesem Foto zu sehen ist, müssten wir aus meiner Sicht als ‚geringen Geschmack‘ bezeichnen. Ein weißes Hemd mit schwarzen Knöpfen und andersfarbigen Kragen! Warum kein rein weißes Hemd (obwohl ich Höcke bei diesem Outfit zu einem grauen Pullover geraten hätte)? Ich glaube, Männer – selbst sehr traditionell denkende Männer – haben in Wirklichkeit Angst davor, zu tradi­tio­nell auszusehen. Ein schlichtes weißes Hemd wäre Höcke vielleicht zu langweilig. Also trägt er lieber Sachen, von denen er glaubt, dass sie interessanter aussehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen