„Pimmelgate“-Verfahren eingestellt: Zu klein für öffentliches Interesse
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht mehr: Nun ist die kleine Affäre um Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) und das Wort „Pimmel“ endlich vorbei.
An einem Mittwochmorgen um sechs Uhr stürmten sechs Polizist*innen eine Privatwohnung und durchsuchten sie. Der Pimmeltweet sei eine Beleidigung, fand Grote. Derlei Hassrede gehöre strenger bestraft, auch – vielleicht gerade? –, wenn sie sich gegen einen Spitzenpolitiker richte.
Einerseits: Ja, stimmt, es soll nicht jeder und jede vermeintlich anonym herumpöbeln, ungestraft, da lag der Senator durchaus richtig. Andererseits ist der Kontext zu bedenken: Der genervte Pimmeltweet war ja eine Reaktion darauf, dass Grote Ende Mai 2021 im Corona-Zusammenhang öffentlich feiernde Menschen als „dämlich“ bezeichnet hatte – per Tweet übrigens.
Prompt wurde er dann online daran erinnert, dass er höchstselbst im Juni 2020 eine Wiederwahl-Party mit 30 Leuten veranstaltet hatte – und damit gegen die Coronaverordnung verstoßen.
Veritables Eigentor
Zudem schoss er sich mit dem martialischen Polizeieinsatz ein Eigentor: Andy Grote kennen nun Leute im ganzen Bundesgebiet und vor Ort in Hamburg eskalierte das Gerangel ums die anstößigen nicht mal 280 Zeichen:
Aufkleber tauchten überall auf; die linksautonome Rote Flora schrieb den Tweettext an ihre Fassade; bei Nacht und Nebel übermalte die Polizei das Wandbild – der Text tauchte trotzdem wieder auf, erweitert schließlich um einen Aufruf an Grote, zurückzutreten. Erstmals in der Geschichte, vermutlich, waren die Flora-Besetzer*innen und die Hamburger CDU sich einig.
Im September 2021 berichtete sogar die Weltpresse. Zum „Grote-Effekt“ hat es nicht ganz gereicht, das Phänomen, dass gerade der Versuch, etwas zum Verschwinden zu bringen, es online so richtig befeuert: Er heißt weiterhin nach der US-Schauspielerin Barbra Streisand.
Dass die Eskalation zweischneidig ist, scheint Grote geahnt haben, immerhin verzichtete er schon im November 2021 auf einen Strafantrag. Dass die Affäre nun offiziell beendet wäre – mit dieser These war die taz dann aber doch noch etwas zu früh dran.
Erst im März 2022 nämlich stellte Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich die Aktivitäten ein; gegenüber dem Hamburger Abendblatt verwies er nun auf „fehlendes öffentliches Interesse an der weiteren Strafverfolgung“. Fragile Männer könnten genau darin eine neuerliche Infragestellung erkennen – ob Andy Grote über dieses, Pardon, Stöckchen springt? Abwarten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW