Philosoph Sloterdijk über Klimawandel: „China ist größter Umweltzerstörer“
Philosoph Peter Sloterdijk über sein neues Buch und eine Menschheit, die angesichts ihrer globalen Brandstiftung nicht mehr gerechtfertigt werden kann.
taz am wochenende: Wir sind, Ihrer Ansicht zufolge, in den letzten zwei Jahrhunderten mit der Ausbeutung des Planeten so weit gegangen, dass Prometheus es bereuen würde, uns das Feuer geschenkt zu haben. Aus der Perspektive des Weltalls würde uns die kleine blaue Erde als ein Planet am Rande des Nervenzusammenbruchs erscheinen …
Peter Sloterdijk: Die reale Katastrophe, die sich ankündigt, ist vom Weltall aus vermutlich kaum zu sehen. Was eine Sicht von radikal weit draußen und aus großer Ferne angeht, hat Nietzsche eine sehr suggestive Vermutung entwickelt mit weitreichenden historischen und ethischen Implikationen. Für den philosophischen Kosmonauten könnte der seltsame Planet nur einen bezeichnenden Namen tragen: „der asketische Stern“. Das meint einen Himmelskörper im Abseits des Alls, bewohnt von an sich selbst kranken, missmutigen, zur Selbstquälerei entschlossenen Menschen, deren einzige Freude wohl darin bestehe, sich selber wehzutun.
Was hatte Nietzsche den selbstquälerischen Menschen anstelle von Demut und Selbstverleugnung zu empfehlen?
Peter Sloterdijk: „Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung“. Suhrkamp, Berlin 2023, 80 Seiten, 12 Euro
Eine Ethik für Virtuosen und Akrobaten. Nicht zufällig ist Zarathustras erster Klient, wenn man den so nennen darf, der abgestürzte Seiltänzer aus dem „Vorspiel“, zu dem der Prophet sagt: „Du hast aus der Gefahr deinen Beruf gemacht“, um ihn danach zu bestatten. Kurzum, die Formel „gefährlich leben“ soll die herkömmlichen Versuche ersetzen, sich durch Entselbstung ins Jenseits zu retten. Dem neuen Ethos liegt die Beobachtung zugrunde, dass Menschen in der Regel die Gefangenen von kollektiven Gewohnheiten sind, doch gelegentlich kommt bei Einzelnen eine Neigung auf, neue, unwahrscheinliche, unerprobte Gesten auszuführen. In dieser Richtung wäre weiterzugehen, um weiter ins Akrobatische und Künstliche hineinzuwachsen. Das ist sehr wohl nachvollziehbar. Wer irgendetwas intensiv übt, ein Musikinstrument, eine Sportart, einen Tanz, eine religiöse Observanz, wird wissen, was gemeint ist.
Peter Sloterdijk: „Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung“. Suhrkamp, Berlin 2023, 80 Seiten, 12 Euro
Diese „akrobatische“ Perspektive Nietzsche haben Sie im Buch „Du musst dein Leben ändern“ aufgegriffen. Sind solche Vorschläge kompatibel mit der ökologischen Philosophie, wie sie etwa Bruno Latour in seinem „Gaia-Projekt“ entwickelt hat?
Ja, durchaus. Wir sehen heute eine Tradition wiederauftauchen, die bei Goethe eine explizite Formulierung gefunden hatte: „Erde, sie steht so fest / Wie sie sich quälen läßt! / Wie man sie scharrt und plackt! / Wie man sie ritzt und hackt!“ heißt es in dem Festspiel „Pandora“ von 1808. Ähnliches hört man bei manchen Romantikern, von denen einige meinten, bereits ins offene Grab der Natur zu blicken. Wie einige dieser Autoren bemerkte Latour, dass die große Technologie der Moderne eine Summe von Folterwerkzeugen hervorgebracht hat, die sich dazu eignen, die Erde zu misshandeln. Latours „Gaia-Projekt“ lässt sich als eine Fortsetzung solcher älteren „Geo-dizeen“ deuten.
Romantik beiseite, die Ökologie stellt sich heute auf die Basis von Metereologie, Klimatologie und präzisen wissenschaftlichen Daten …
Sicher, der kürzere Weg zu Latours ökopolitischen Ideen führt nicht zu Goethe, sondern zu James Lovelock, dem englischen Physiker und Biologen, der die antike Gaia-Mythologie wiederbelebt hat, indem er den Vitalgürtel des Planeten Terra als eine organismusartige Größe beschrieb. In Anlehnung an jüngere Geowissenschaftler übersetzte Latour dieses Konzept in den geobiologischen Ausdruck „kritische Zone“.
Das heißt?
Mit der kritischen Zone ist die lebenspendende atmosphärische Hülle des Planeten gemeint, einschließlich der Biosphäre, des belebten Erdbodens bis an die Grenze der Lithosphäre. Also eine Art von vitalem Film, der sich wie eine Hülle um die Erde legt, von einer Dicke von kaum zehn Kilometern, Erdkrume und Lufthülle zusammengenommen. Innerhalb dieses Films wird schädliches Handeln an einer Stelle auch anderswo spürbar, so wie der ganze Mensch zusammenzuckt, wenn ihm ein Felsen auf den Fuß fällt. Deswegen konnte Latour anthropomorphe Ausdrücke wie „die Rache der Erde“ oder die „Antwort der Gaia auf Misshandlungen“ guten Gewissens benutzen. Obschon sie einen metaphorischen und evokativen Anteil behalten, verweisen sie auf Vorgänge, die auch in einem technischen Idiom ausgedrückt werden können.
Peter Sloterdijk ist emeritierter Professor für Philosophie und Ästhetik der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und war von 2001 bis 2015 deren Rektor.
Wer ist nun aus Ihrer Sicht dieser titanische Prometheus, den es reut, den Menschen das Feuer in die Hand gegeben zu haben?
Prometheus ist und bleibt fürs Erste, wie der junge Marx richtig bemerkte, die „vornehmste Gestalt im Heiligenkalender der Philosophie“. Als Feuergeber ist er, neben Herakles, dem Taten-Täter und Werke-Vollbringer, der eigentliche Zivilisationsheros in der alteuropäischen Linie. Mit ihm beginnt nicht nur die positive Kultur, sondern auch der Sinn für Auflehnung. Prometheus ist der Erste, der das Motiv „on a raison de se révolter“ für sich in Anspruch nimmt. Als Titan in der Revolte zieht er die Rache des Zeus auf sich. Er stellt der olympischen Oberhoheit etwas entgegen, was man einen titanischen Anarchismus nennen könnte. Daher konnte Prometheus vom 18. Jahrhundert an so emblematisch, so populär, so tonangebend werden.
Dieser Prometheus bereut noch nichts!
Natürlich nicht, doch heute sieht die Sache anders aus. Eine Menschheit, die im Jahr 35 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre entlässt, kann nicht mehr geniereligiös gerechtfertigt werden.
Mit der manifesten ökologischen Krise sind wir an einer Grenze des neuzeitlichen, kapitalistisch geprägten Modus Vivendi angelangt. Die fortschreitende Ausbeutung und Zerstörung des Planeten lässt sich mit harten Fakten quantifizieren. Oder könnte man das alles auch ganz anders sehen, wie Klimawandelleugner es tun?
Nein, es genügt, das Gesamtbild aufzurollen, um zu erkennen, woran man ist. Wenn 100.000 Schiffe jeden Tag auf den Meeren unterwegs sind, viele noch mit Schweröl angetrieben; dazu 25.000 Linienflugzeuge Tag für Tag in der Luft. Des Weiteren über eine Milliarde Pkws, hundert Millionen Lkws in Bewegung, x Milliarden offene Feuerstellen täglich, Abermillionen Hausheizungen in Betrieb und obendrein Kohle- und Gaskraftwerke an allen Ecken und Enden der Welt. China allein betreibt, wie man liest, 18.000 Kohlegruben und ist längst der bei Weitem größte Umweltzerstörer geworden, weit vor den USA, denen man auch bei diesem Geschäft die Führung zugetraut hätte.
Ohne die unzähligen Tonnen Methan zu vergessen, die von den Rindern emittiert werden …
Die Kühe sind in diesem Zusammenhang als die wahren Feinde der Menschheit zu identifizieren. Sie stehen quasi gleichwertig neben der chinesischen Diktatur, deren Führer meinen, ein Anrecht auf nachholende Umweltverbrechen zu besitzen, die bis 2060 fortgehen sollen. Zurzeit verbrennt man dort 4 Milliarden Tonnen Steinkohle pro Jahr mit entsprechenden Emissionen, Tendenz steigend, sofern man das jetzt dazukommende russische Erdöl hinzunimmt. Was wir hierzulande veranstalten, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, spielt sich vor dem chinesisch-amerikanisch-indischen Hintergrund in den Größenordnungen eines Flohzirkus ab. Deutschland hat aktuell 1,8 Prozent Anteil an der Globalbelastung der Atmosphäre, doch 75 Prozent entfallen auf die infernalischen großen drei.
Es scheint, Sie sprechen indirekt die Thesen von Günther Anders über die „Antiquiertheit des Menschen“ an.
Die Thesen von Anders bilden den Hintergrund meiner Überlegungen. Mir geht es um die Steigerung der von ihm erklärten „prometheischen Scham“ angesichts der technischen Welt zur „Reue des Prometheus“. Auf dem Umweg über die Ausbeutung der fossilen Energien haben wir uns zu Zeitgenossen der Saurier gemacht. Vielleicht erweisen sie sich früher oder später als unsere engsten Schicksalsverwandten.
Es dreht sich also alles um „die kritische Zone“! Welches sind die ethischen Konsequenzen aus der Einführung dieses Konzepts? Wie formulieren wir den ökologischen Imperativ der Zukunft?
Die jüngste Fassung des kategorischen Imperativs für das ökologische Zeitalter hat der Philosoph Hans Jonas in „Das Prinzip Verantwortung“ vorgelegt. Jonas hat den Imperativ für das ökologische Zeitalter unübertrefflich formuliert: „Handle jederzeit so, dass auch künftigen Generationen ein menschenwürdiges Dasein auf der Erde möglich ist!“ Wer diesen Satz meditiert, hat Aussicht darauf, ein glaubwürdiger Zeitgenosse zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe