Personalrekrutierung nach Flughafenchaos: Wenn einfach niemand kommt
Die Luftverkehrsbranche wollte ihre Personalprobleme mit rund 2.000 Beschäftigten aus der Türkei lösen. Nicht einmal 100 Visa wurden ausgestellt.
Der Hintergrund: Die Unternehmen der Luftfahrtbranche haben in der Coronakrise großzügige staatliche Hilfen in Anspruch genommen, deren Ziel unter anderem der Erhalt von Arbeitsplätzen war. Trotzdem haben sie im Zuge der Pandemie in großem Umfang Jobs abgebaut. Als im Frühjahr die Zahl der Reisenden nach oben schnellte, fehlte Personal. An den Flughäfen herrschte enormes Chaos. Flieger fielen aus, die Abfertigung dauerte mitunter so lange, dass Passagier:innen ihren Flug verpassten.
Die Verantwortlichen suchten zwar händeringend Mitarbeiter:innen. Wegen der erforderlichen Schulungen und Sicherheitsüberprüfungen sind die aber nicht sofort verfügbar. Beschäftigte, die in der Pandemie gekündigt wurden oder von sich aus den Job gewechselt hatten, kehrten nicht zurück. Denn die Arbeitsbedingungen an den Flughäfen sind etwa hinsichtlich der Arbeitszeiten schlecht. Außerdem sind nach Gewerkschaftsangaben befristete Verträge üblich, was die Jobs zusätzlich unattraktiv macht.
Angesichts des Chaos bekniete die Branche im Juni die Bundesregierung, den Einsatz von Beschäftigten aus Nicht-EU-Staaten zuzulassen. Im Blick hatte sie dabei rund 2.000 Mitarbeiter:innen aus der Türkei. Bundessozialminister Hubertus Heil und seine Innenminsterin Nancy Faeser (beide SPD) gaben den Forderungen nur bedingt nach und stellten Bedingungen für eine Visa-Vergabe. So durften die Beschäftigten nicht unterhalb des Tariflohns verdienen und mussten angemessen untergebracht werden. Außerdem war eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich. Die Visa waren auf drei Monate befristet, sie endeten spätestens am 6. November.
Branche wiegelt ab
„Die Idee, kurzfristig bis zu 2.000 Arbeitskräfte aus der Türkei für die Flugabfertigung an deutschen Flughäfen anzuheuern, war von Anfang an eine Schnapsidee und ein offensichtlicher Versuch der Flughafendienstleister, von eigenem Versagen abzulenken“, kritisierte der Linksparteiabgeordnete Meiser.
Insgesamt sind der Antwort aus dem Innenministerium zufolge bis Ende Oktober 140 Anträge auf Ausstellung eines Visums eingegangen. Neben den 91 Bewilligungen wurden 10 Anträge abgelehnt, 24 zurückgezogen und 15 weitere wegen unvollständiger Unterlagen nicht abschließend bearbeitet.
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft führt den geringen Einsatz der türkischen Arbeitskräfte auf die lange Verfahrensdauer zurück. Das Prozedere habe sich so lange verzögert, dass die Bedarfe an den Flughäfen abgenommen hätten, sagte eine Sprecherin der taz. Die Branche treffe Vorkehrungen, damit sich das Chaos nicht wiederhole, und rekrutiere Personal.
Das reicht nach Meisers Auffassung nicht. „Mit Blick auf die Urlaubssaison im kommenden Jahr muss Verkehrsminister Wissing die Flughafenbetreiber und die dort tätigen Dienstleister jetzt zügig und verbindlich abfragen, wie sichergestellt wird, dass sich das Chaos aus diesem Jahr nicht wiederholt“, forderte er. Naheliegend sei es, mit der Bundesagentur für Arbeit ein Qualifizierungsprogramm aufzulegen. Außerdem müsse sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die Teilprivatisierung bei den Bodenverkehrsdiensten rückgängig gemacht werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren