piwik no script img

Patriarchat und öffentliche ToilettenDas Khara-System

In Berlin werden gehäuft öffentliche Toiletten ausgeraubt. Ist das Kriminalität oder feministischer Protest?

Demnächst kostenloses Pinkeln für ein Jahr. Mobiles Frauenurinal Foto: Stefanie Loos

I ch versuche es tunlichst zu vermeiden, auf öffentliche Toiletten zu gehen. Egal, wo ich bin. Selbst diese Hightech-Klos, die sich nach jedem Gang automatisch komplett säubern, werden von einigen Menschen regelrecht bezwungen. Neulich stand in Berlin die Tür einer dieser Toilettenanlagen offen und es sah so aus, dass an der Wand und an der Decke größere Mengen von Fäkalien klebten. Da war Khara, wie der Nafri sagt, an der Wand! Es war einer der wenigen Reportermomente in meinem Leben, in denen ich auf nähere Betrachtung gerne verzichtet habe.

Ich kann’s noch halten, für andere Menschen ist es aber dringlicher, überall auch mal aufs Klo gehen zu können. In Berlin macht das: 50 Cents. Passend natürlich. Wir sind ja in Deutschland hier! Kartenzahlen dann oft doch nicht möglich. Jene Menschen im Besitz eines Penis können natürlich gratis gehen, zumindest wenn sie nur urinieren müssen. Hinten an den Anlagen sind oft zwei Pissoirs angebracht, die von außen zugänglich sind und nichts kosten. Die politischen Verantwortlichen haben diese für Wildpinkler (also Männer) reserviert und deren Umleitung weg vom Busch oder Hauseingang ran ans Pissoir soll bitte die Gemeinschaft finanzieren. Alle anderen müssen selbst in die Tasche greifen. Passend natürlich. Das Patriarchat ist unfair und scheiße.

Aber selbst dieses Khara-System kommt nun in Bedrängnis: In Berlin werden seit einiger Zeit die öffentlichen Toiletten von Unbekannten lahmgelegt. Die Tä­te­r*in­nen haben es aufs Klimpergeld abgesehen, das in den Klo-Kassen lagert. Sie sprengen das Gehäuse oder brechen es auf und so ist die Toilette erstmal nicht mehr funktionsfähig. Sind es kriminelle Banden oder ist es doch radikal-feministischer Protest? Ich möchte an dieser Stelle nicht spekulieren.

Denn Erleichterung ist in Sicht: Im Frühjahr kommenden Jahres, so wurde diese Woche vermeldet, sollen in der deutschen Hauptstadt endlich Schritt für Schritt kostenfreie Klos für alle aufgebaut werden. Ökologisch, wassersparend, anscheinend auch hygienischer. Am wichtigsten aber: Dort soll es dann auch Pissoirs für Menschen ohne Penis geben, ebenfalls gratis. Zumindest für ein Jahr. Wenn die Testphase vorbei ist, sollen auch diese stillen Örtchen wieder kosten. Gut, dass die Berliner Polizei nun eine Klo-Komission gegründet hat. Das neue Ermittlungsteam soll den Toiletten-Dieben auf die Schliche kommen. Die Khara-Politik wird es schon auslöffeln.

So oder so werde ich weiterhin einen Bogen um die öffentlichen Toiletten in Berlin und darüberhinaus machen. Ich hätte neulich tatsächlich gemusst und da war dieses Gratis-Pissoir im Park. Also dachte ich mir: Es ist quasi an der frischen Luft und niemand fasst es an und du profitierst als Cis-Mann sowieso vom Patriarchat und hab dich jetzt nicht so, Mohamed!

Ich habe mich also vorsichtig genähert und am Sichtschutz vorbei für drei Millisekunden die Lage ausgecheckt. Da thronte im Pissoir ein Haufen Khara! Beste Illustration der ganzen Lage.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es ist ein wichtiges Thema, wie es mit den öffentlichen Toiletten weitergeht und wann wird der erste Menschen beim Pissen sterben, weil dort jemand so eine Toilette in Berlin sprengt, um an das Kleingeld zu kommen?

    Es wird überhaupt nicht ernst genommen ... die Sicherheit einer urinierten Bevölkerung in Berlin.

    Wie auch immer, ich vermeide auch Toiletten, leider lässt es sich irgendwann gar nicht aufschieben.

    Immerhin sprengt niemand die Toilette in meiner Wohnung, so viel ist sicher ...

    • @Andreas_2020:

      bester Beitrag.

  • Ach, du (h)eilige Scheisse...

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Sie müssten sich Mal diese Pissoir, die am Hintern dieser automatischen WC angebaut sind anschauen.

      Die sind von außen so einsehbar, dass ich dort eine Stunde stehen könnte und es käme nicht ein Tropfen.

  • Es gibt noch viel mehr an Disfunktionalität zu bemängeln, z.B. in der Mensa HU Nord sind die Toilettenkabinen mehrheitlich nicht schießbar gehalten, die Spender für Toipapier sind imho auch nicht als brauchbar zertifizierbar, ka wer solchem Mist entworfen hat, offensichtlich keine Person die diese selbst täglich nutzen muss - was für mich ein unbedingtes Kriterium für mich an den Bewerber für eine solche Anlage wäre!

  • Auch wenn es die Story ein wenig trübt: die Kloschüsseln sind nicht kostenfrei, da sie sonst okkupiert würden. Gäbe es im Westen eine Akzeptanz für Damenpissoirs, wären diese laut Amt tatsächlich neben den gewöhnlichen Herrenpissoirs verbaut.

  • Für das Wohlbefinden im öffentlichen Raum wäre es sinnvoll, einfach mehr Toiletten für alle gratis zur Verfügung zu stellen. Das wäre auf Dauer billiger, als die durch Kleingeldvandal*innen zerstörten WCs zu reparieren.

  • Wäre es denn besser wenn von Männern wieder in die Grünanlagen gepinkelt wird?

    Ich habe selbst bald das 40. Lebensjahr überschritten, und manchmal muss ich gefühlt extrem aushalten, ich will 35km hin und zurück durch den ÖPRV zur Arbeit, mit nicht vorhanden oder dauerbesetzten oder defekten Toiletten in S-Bahn oder/und Regionalzügen, in der S-Bahn gibt es schon einmal gar keine Möglichkeit - obwohl die länger für die gleiche Strecke braucht, wegen der vielen Halte an Bahnhöfen - ohne Toilette.

    Selbst an meinem Zielort, dem Regional-Bahnhof an dem ich gelegentlich noch 20min u.a. in strömendem Regen und ohne Überdachung auf den Bus warten muss gibt es keine öffentlich nutzbare 50cent-Toilette mehr, weil die vor zwei Jahren demoliert und seit dem nur stillgelegt aber nicht mehr repariert wurde, abseits der Öffnungszeiten des DB-Shops gibt es dort keine Möglichkeit mehr ohne Erregung öffentlichen Ärgernisses wenigstens Wasser lassen zu können.

    Die Infrastruktur zum ordentlichen Toilettengang im öffentlichem Raum ist allgemein äußerst schlecht bestellt - nicht nur für Frauen, auch wen es sie oft noch härter trifft, und natürlich auch für Kinder und Behinderte, das ist ein allgemeines Defizit.