Patente auf Corona-Impfstoffe: Die Lizenz zum Gelddrucken

Patente für Corona-Impfstoffe werden mit hohen Forschungskosten begründet. Aber die mRNA-Impfstoffe gibt es nur dank hoher öffentlicher Investitionen.

Ein Produktionsraum eines Impfstoffherstellers

Profitierte von staatlicher Forschung: Moderna-Poduktion in den USA Foto: Nancy Lane/The Boston Herald

Diesen Dienstag berät die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf bereits zum siebten Mal über den von Indien und Südafrika eingebrachten Antrag, die Patentrechte der großen Pharmaunternehmen für Corona-Impfstoffe vorübergehend auszusetzen. Mit dieser Maßnahme, die von einer großen Mehrheit der WTO-Mitglieder gefordert wird, soll eine deutlich erhöhte weltweite Produktion und eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen ermöglicht werden.

Doch nach der jüngsten Zustimmung der USA und anderer Industriestaaten wird der Antrag weiterhin in erster Linie von Deutschland und von der EU-Kommission blockiert. Der Haupteinwand ist die von den Pharmakonzernen übernommene Behauptung, sie hätten Milliardensummen in die Forschung und Entwicklung der Impfstoffe gesteckt und würden bei ausgesetzten Patentrechten um ihre Gewinne geprellt. Damit würde auch der Anreiz für künftige Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Konzerne wegfallen. Nur: Diese Behauptungen sind Märchen.

Bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts begannen jene Grundlagenforschungen, die über 60 Jahre später die Corona-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna ermöglichen sollten. Sie fanden ausschließlich an Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen statt, die mit Steuergeld finanziert werden: in erster Linie in den USA, in Frankreich und zuletzt an der Universität Mainz. Der entscheidende Durchbruch gelang Wissenschaftlerinnen 1961 mit dem Nachweis der Messenger-RNA (mRNA), eine Art Bote, der genetische Informationen in die Zellen des Körpers bringt und damit dort den Aufbau von Proteinen ermöglicht.

Die heutigen Hersteller von Impfstoffen gegen Covid-19 stiegen erst später ein – Biontech im Jahr 2008, Moderna 2010. An der Gründung dieser Unternehmen waren Professoren führend beteiligt, die die Ergebnisse ihrer bis dato öffentlich finanzierten Forschung nun mit den Impfstoffen in viel Geld umwandeln: bei Biontech Uğur Şahin, Onkologe an der Universität Mainz, und bei Moderna Timothy Springer und Derrick Rossi von der Harvard-Universität sowie Robert Langer vom Massachusetts-Institut für Technologie (MIT).

Niedrige Lizenzgebühren

Diese Unternehmen konnten die öffentlich finanzierten wissenschaftlichen Erfolge der vorangegangenen über 50 Jahre, die nie patentiert wurden, einfach übernehmen. Den letzten wichtigen Schlüssel zur Entwicklung ihrer Impfstoffe holten sich Biontech und Moderna in den USA bei den öffentlich finanzierten National Institutes of Health (NIH): Sie kauften Lizenzen für die vom NIH-Virologen Barney Graham entwickelte Methode, stabile Spikeproteine von Viren nachzubilden.

Dank dieses Durchbruchs kann mit der mRNA auch der Bauplan von Corona-Spikeproteinen in den Körper geschleust werden, damit das Immunsystem Antikörper bildet. Für die Lizenzen zahlten die Unternehmen laut ihrer Berichte an die US-Börsenaufsicht lediglich einen „tiefen einstelligen“ Prozentsatz ihrer Verkaufsumsätze.

2020 investierte Pfizer 1,5 Milliarden Dollar in den Impfstoff, erhielt aber auch Subventionen von 1,9 Milliarden

Moderna hat in den Jahren 2016 bis 2019 lediglich zwei Milliarden US-Dollar für eigene Forschung ausgegeben – wovon wiederum ein Teil öffentlich finanziert wurde – und Biontech maximal eine Milliarde Dollar. Das sind die gesamten Forschungsausgaben der Unternehmen, und nicht alles davon ist in die Entwicklung von Corona-Impfstoffen geflossen. Im Jahr 2020 wendete Biontech/Pfizer zwar 1,5 Milliarden Dollar zur Entwicklung des Impfstoffs auf, erhielt aber zeitgleich von den Regierungen Deutschlands und der USA Subventionen in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden.

Moderna gab im vergangenen Jahr überhaupt keine eigenen Finanzmittel für die Impfstoffentwicklung aus, erhielt dafür aber vom US-amerikanischen Gesundheitsministerium 3 Milliarden Dollar. Biontech/Pfizer und Moderna werden bereits im laufenden Jahr mit den Corona-Impfstoffen weit mehr verdienen, als sie selber für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben.

Laut ihrem Geschäftsbericht vom Mai verzeichnete Biontech/Pfizer bereits im ersten Quartal 2021 einen gewaltigen Umsatzsprung auf 2,05 Milliarden Euro im Vergleich zu 27,7 Millionen im ersten Quartal 2020. Der Gewinn betrug 1,13 Milliarden Euro. Für das Gesamtjahr 2021 erwartet das Unternehmen einen Umsatz von mindestens 26 Milliarden Euro und einen Gewinn von über 6 Milliarden Euro. Moderna steigerte seinen Umsatz im ersten Quartal auf 1,9 Milliarden US-Dollar (2020: 8 Millionen) und machte einen Gewinn von 1,2 Milliarden nach einem Verlust von 124 Millionen im ersten Quartal 2020.

Der zweite Einwand gegen ein Aussetzen der Patentrechte lautet: Dieses sei sinnlos, weil die Länder des Südens und ihre Unternehmen zu dem komplizierten Herstellungsprozess von Corona-Impfstoffen nicht in der Lage seien. Dieser Einwand ist – zumal in dieser Pauschalität – falsch. Die frühzeitig begonnene und erfolgreiche Kooperation zwischen dem britisch-schwedischen Konzern AstraZeneca und dem Serum Institute of India beweist das Gegenteil.

Dieser Einwand ist aber auch höchst kurzsichtig. Wo Länder des Südens derzeit tatsächlich noch nicht über die notwendigen Kenntnisse, Einrichtungen und Fähigkeiten verfügen, sollten ihnen die nördlichen Industriestaaten möglichst schnell zu eigenen Produktionskapazitäten verhelfen: durch den Transfer von Technologie und Know-how, durch Lizenzen und durch die Aussetzung von Patentschutzrechten.

Das läge auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Industriestaaten. Denn ohne all diese Maßnahmen wird die globale Bekämpfung der Pandemie scheitern. Je weniger Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika geimpft werden, desto größer ist das Risiko von Mutationen, gegen die dann auch die Menschen in Europa, Nordamerika, Japan oder Israel selbst bei einer Impfquote von 100 Prozent nicht mehr geschützt wären.

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Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.

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