Partei in der Krise: Sieben Thesen zur Linken
Am Wochenende trifft sich die Linke zum Parteitag. Wird jetzt alles anders? Oder war es das, und zwar dieses Mal wirklich?
Es war einmal eine Partei, der ging es ziemlich gut. In Vierteln, in denen man sie zuvor kaum gewählt hatte, wurde sie stärker und stärker. Junge Menschen strömten in die Partei, machten sie lebendiger und attraktiver. Das Image als Ostpartei hatte sie abgestreift, eine Partei links von der SPD hatte sich etabliert. Und die Konkurrenz wurde grün vor Neid.
Gut, so märchenhaft war die Realität der Linken nie. Aber dennoch kann man heute, in ihrer dunkelsten Stunde, daran erinnern, dass sie bei der Bundestagswahl 2017 vor den Grünen landete und sie in Unistädten und urbanen Zentren ein- und zum Teil überholte. Zu Beginn also ein kleiner Trost: 18 Prozent können sich laut einer Studie noch immer vorstellen, die Linke zu wählen. Sonntagsfragen ändern sich schnell. Wer heute aus dem Bundestag fliegt, kann morgen schon in der Regierung sitzen (Hallo, FDP!).
Nun wählt die Linke eine neue Parteiführung. Wird dann alles besser?
Die Zeiten für die Linke waren selten besser
Die Inflation kündigt eine ernste Wirtschaftskrise an, die erste seit 15 Jahren. Die Hälfte der Bevölkerung ist ohne Vermögen und hat Sorgen, die Kosten für Heizung und Nahrung nicht bezahlen zu können, auch in der Mittelschicht gibt es Ängste. Jetzt zeigt sich, was im Wahlkampf nur eine Behauptung der Linken war: Der Umbau der Gesellschaft zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist nur mit Umverteilung von oben nach unten möglich.
Und die Ampel? Verteilt Steuergeschenke an Mineralölkonzerne, vergisst Arbeitslose und Studierende weitgehend bei der Entlastung, beschließt die größte Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik. Und der SPD-Chef freut sich, dass nach 80 Jahren „Zurückhaltung“ Deutschland nun wieder eine Führungsrolle einnehme.
Gute Voraussetzungen für eine linke Partei. Warum profitiert die Linke davon nicht?
Sich aus dem Elend erlösen kann sie nur selbst
Schon einmal stand die Linke, damals PDS, vor dem Aus. 2002 flog sie aus dem Bundestag, nur zwei direkt gewählte Abgeordnete hielten die rote Fahne hoch. Ihre Wiederbelebung verdankte sie äußeren Entwicklungen: Rot-Grün setzte die Agenda 2010 um, 200.000 Menschen protestierten gegen die Reformen. Dass so viele Deutsche auf die Straße gehen, ist selten, noch seltener ist es, wenn es um Sozialpolitik geht. Mit dem Schwung der Proteste vereinigten sich PDS und WASG zur Linken.
Heute ist die Konstellation anders. Rettung durch eine Bewegung auf der Straße oder eine Wahlliste, die der Linken neues Leben einhaucht, ist unwahrscheinlich. Wiedervereinigen kann sich die Linke nur einmal. Zwanzig Jahre später haben sich Grüne und SPD von der Agenda-Politik losgesagt und sind in ihren Wahlprogrammen nach links gerückt. Auch wenn sie in der Ampelkoalition wenig davon zeigen: Noch glauben ihnen die Wähler:innen, dass sie ja anders wollten, wenn die FDP sie nur ließe.
Auf Rettung von außen kann die Partei nicht bauen. Sie muss es schon selbst richten.
Es ist unklar, für was die Partei steht
Das Klischee besagt: zwei Linke, drei Meinungen. Eine Partei mit einem Selbstverständnis als Aktivenpartei, die an den Fortschritt glaubt, wird immer mehr Konflikte haben als die Union, der es reicht, eine Machtmaschine zu sein. Und doch krankte die Linke in den vergangenen Jahren nicht an zu viel, sondern an zu wenig Konflikt. Und quälender Unklarheit. Bei den Wähler:innen kam das so an: Man machte mit Sahra Wagenknecht Wahlkampf und schämte sich gleichzeitig für ihre Äußerungen. Man war für Feminismus und Klimaschutz, aber nicht als sogenannter Lifestyle. War die Linkspartei jetzt für offene Grenzen für alle oder für eine restriktive Migrationspolitik wie die dänische Sozialdemokratie? Forderte sie so radikal wie Fridays for Future mehr Klimaschutz oder war sie auf der Seite von Bergarbeitern in der Lausitz und Autofahrer:innen? Irgendwie beides, je nachdem, wen man fragte. Das war keine geschickte taktische Flexibilität, sondern diffuse Unentschiedenheit in Schlüsselfragen.
Die Strategie der vergangenen Jahre, eine Partei zu sein, die alles gleichzeitig ist, ist gescheitert.
Brüche können unvermeidlich sein
Seit dem 24. Februar hat sich dieses Problem extrem verschärft. Der russische Angriffskrieg trifft die Linke wegen ihrer Illusionen über Putins Russland härter als die anderen deutschen Parteien. Eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei ist fern wie der Mond. Vor allem aber verliert sie damit Sympathien in einer Gruppe, die sie braucht, um zu überleben: linksliberale Wechselwähler:innen in urbanen Milieus. Diese wählen die Linke weniger als materielle Interessenvertretung, sondern aus Überzeugung und als konsequente Vertreterin von sozialer Gerechtigkeit. Diese Wähler:innen werden ihr Kreuz nicht bei einer Partei machen, die zum Teil – siehe Sahra Wagenknecht, siehe Sevim Dağdelen – putinnah wirkt.
Muss die Linke sich spalten, um den Bruch mit diesem Lager zu vollziehen?
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Vielleicht hilft es, sich mit der Geschichte einer anderen Partei zu beschäftigen. Auch die Grünen haben zwei interne Brüche hinter sich, mussten zwei sehr verschiedene Gruppen aus der Partei drängen, um heute erfolgreich zu sein. Der konservative Ökologe Herbert Gruhl spielte eine wichtige Rolle im Gründungsprozess – aber mit seinen reaktionären gesellschaftspolitischen Vorstellungen etwa beim Schwangerschaftsabbruch wären die Grünen chancenlos geblieben. Gruhl wollte die Grünen auf die ökologische Frage reduzieren, so wie Wagenknecht die Linke auf die soziale.
Später kam es bei den Grünen zu einem zweiten Bruch, mit dem Lager um Jutta Ditfurth und dem Fundiflügel. Auch dieser Bruch war wichtig, weil man Vorstellungen von Politik hatte, die nicht vereinbar waren.
Die Linke braucht einen neuen Ton
Die Gründungserzählung der Linken ist ausgebleicht. Ihr Narrativ, Stimme des Ostens und Korrekturzeichen zur SPD zu sein, ist brüchig geworden. Das kommt nicht wieder. Aber was tritt an dessen Stelle?
Der gerechte Umbau der Wirtschaft und des Lebens in der Klimakrise, das könnte ein Ansatz für die Linke sein. Aber für ein neues Narrativ braucht sie einen anderen kommunikativen Stil: Die gesellschaftliche Linke hat immer ein intimes Verhältnis zur absoluten Wahrheit gehabt, anders als Liberale oder Konservative. Recht zu haben gehört zum Selbstverständnis. Allerdings gedeiht in der Mixtur von Wahrheitsanspruch und realer Einflusslosigkeit ein stickiges Klima, in dem andere zu Verräter:innen und Gegner:innen gestempelt werden. Sich im Besitz von Wahrheiten zu wähnen, kann hart machen. Der Ton des Unerbittlichen beschwert innerparteiliche Kompromisse und wirkt nach außen abschreckend. Wähler:innen misstrauen Parteien, die sich selbst hassen.
Vielleicht hilft es, an ein paar gescheite Sätze zu erinnern: „Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab – Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend.“ Das stand 2007 im Gründungsdokument der Linken. Bis heute ist dieser Anspruch uneingelöst.
Ohne Linke geht es auch nicht
Wie viele Rechtsextremist:innen mit Waffenschein gab es 2020 in Deutschland? 1.200, 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie oft wurden Steuererklärungen von Großverdiener:innen überprüft? Halb so oft wie im Vorjahr. Die Antwort auf diese zufällig ausgewählten Fragen haben wir der Linken zu verdanken. Sie hat als Oppositionspartei Kleine Anfragen gestellt, die Regierung musste antworten.
Eine Regierung ohne Opposition ist Mist. Und die Vorstellung, dass die Ampel im Parlament nur noch von rechts kritisiert werden könnte, ist gruselig. Wozu das führt, hat sich 2002 gezeigt, als die PDS den Wiedereinzug nicht schaffte. Rot-Grün hatte freie Fahrt bei der Agenda 2010. Und ohne Linke könnte es der AfD gelingen, sich als Stimme sozialer Proteste zu inszenieren, wie sie es bei den Coronaprotesten versucht hat.
Tabula rasa ist eine Illusion
In der Linkspartei herrschen Rechthaberei, dogmatische Erstarrung und die Unfähigkeit, überfällige Entscheidungen zu treffen. Wäre es nicht besser, den Laden dichtzumachen? Wer die Hoffnung hat, eine Selbstauflösung könne den Weg für eine neue, frische, linke Partei frei machen, täuscht sich. In Italien war zu sehen, wie irrig die Annahme sein kann, nach dem Zusammenbruch einer etablierten linken Partei etwas Neues auf die Beine zu stellen. In Deutschland gab es einige zu Recht vergessene, gescheiterte Versuche, links von SPD und Grünen Parteien zu gründen. Eine „Liste Wagenknecht“ mit einer starken Führerin würde ebenso scheitern. Ihr Versuch, mit „Aufstehen“ eine sozialpopulistische Bewegung von oben zu gründen, endete kläglich.
Entweder schafft es diese Linkspartei, sich grundlegend zu erneuern – oder es wird auf absehbare Zeit keine linke Stimme im parlamentarischen Raum mehr geben.
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