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Palästinaflaggen bei WM in KatarSolidarität ist legitim

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Es ist falsch, Marokkos Nationalelf für das Zeigen der Flagge Antisemitismus anzudichten: Die Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen haben Solidarität verdient.

Freudetrunken ins Halbfinale: Marokkos Achraf Daria mit Palästinafahne Foto: Thanassis Stavrakis/ap

E s ist ja richtig: Das Thema Israel und Palästina wird instrumentalisiert. Etliche Regime in der Region zwischen Marokko und Iran nutzen den Nahostkonflikt, um von Missständen im eigenen Land abzulenken. Das reicht vom Antisemitismus des iranischen Regimes bis hin zu subtileren Arten der Parteinahme für Palästina.

Doch Marokkos Nationalelf Antisemitismus anzuhängen, weil sie bei der WM eine Palästinaflagge zeigte, geht fehl. Die Flagge ist unproblematisch. Die Zweistaatenlösung, so unrealistisch sie derzeit sein mag, ist seit Jahrzehnten der zentrale Konfliktlösungsvorschlag auf internationaler Ebene. Und dass die Marokkaner ein arabisches Zusammengehörigkeitsgefühl empfinden und ein Zeichen der Solidarität mit Palästina setzen, muss man nicht gut finden, ist aber legitim.

Als wäre der Antisemitismusvorwurf nicht genug, setzte Springers TV-Sender Welt am Dienstag noch eins drauf und dichtete marokkanischen Nationalspielern mit haarsträubenden Argumenten Verbindungen zur IS-Terrormiliz an. Das ist perfide und rassistisch, verfolgt aber dasselbe Ziel wie der Antisemitismusvorwurf: Palästinasolidarität zu kriminalisieren.

Dabei haben die Menschen in Palästina Solidarität verdient. Mittlerweile steht zur Debatte, ob sie überhaupt irgendeinen Anspruch auf Land in Nahost haben: Israels Siedlerbewegung wird einflussreicher und längst herrscht kein Konsens mehr, dass das Westjordanland palästinensisch ist. Wenige Jahre ist es her, da stellte Benjamin Netanjahu mit Rückendeckung aus den USA eine Annexion des Westjordanlands in Aussicht. Die Pläne trugen offen kolonialistische Züge. Nun kommt Netanjahu als Regierungschef zurück. Dass der Konflikt von Ara­be­r*in­nen zunehmend als Kolonialkonflikt gelesen wird, kommt also nicht von ungefähr.

Vor diesem Hintergrund den Marokkanern Antisemitismus oder Terrorismus zu unterstellen, hat System: Es spielt denen in die Hände, die versuchen, Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen als solche zu delegitimieren und einen israelischen Anspruch auf das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan salonfähig zu machen.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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25 Kommentare

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  • Woher kommt diese Diskussion? Richtig, die FiFa hat namentlich über ihren käuflichen Präsidenten bestimmt, die WM habe unpolitisch zu sein. Für mich sind solche Flaggen kein Problem, kein Antisemitismus. Denn Palästinenser haben Solidarität verdient. Selbst bei einer Zweistaatenlösung werden viele nicht in ihre Häuser zurückkehren können. Falls die Einstaatenlösung kommt, würden sich zwar für viele die Lebensumstände bessern, doch der Traum vom eigenen Staat wäre ausgeträumt. Israel ist gekommen, um zu bleiben. Je schneller das von allen akzeptiert wird, desto eher gibt es dort Frieden.

  • Das Thema ist, daß sie wieder mal versuchen die Schweinereien von allen denkbaren Staaten irgendwie über diverse Ecken dem jüdischen Staat anzuhängen, wie üblich. Öde.

    • @Henriette Bimmelbahn:

      Ging an Ingrid Werner, 18.12. 10:41

  • Na, was aus dem herzen Marokkos kommt oder aus dem "Herzen" Europas......lesen wir



    hier noch eine kluge Analyse:



    www.hagalil.com/20...arokko/#more-71699



    Zitat:



    "Und noch etwas ist auffällig: Sowohl die marokkanischen Fußballspieler, die mit Palästinaflaggen rumrannten, als auch die „Free Palestine“-Rufer leben zumeist gar nicht in Marokko selbst, sondern in Europa, wo sie auch sozialisiert worden sind."



    Zitat Ende

  • Jede Solidaritätsbezeugung mit den Palästinenser:onnen wird immer sofort als Antisemitismus diffamiert. Ich würde mal gerne hören/lesen wie Kritik an der israelischen Enteignungspolitik an den Palästinenser:innen klingen müsste, um NICHT als Antisemitismus diffamiert werden zu können und zwar von denjenigen, meist Politiker:innen und Journalist:innen, die immer wieder mal sagen man könne und solle Israel ruhig kritisieren. Von ihnen selbst hört man keine Kritik, sie haben nämlich alle Angst dann als Antisemiten hingestellt zu werden und ihre Karriere leiden würde. So finden sie es bequemer gleich alles in einen Antisemitismus-Topf zu rühren und erst gar keine Diskussion über Israels Enteignungspolitik an den Palästinenser:innen führen zu müssen.

  • Wie sagte mal ein kluger Mensch, würden die Juden an den Südpol ziehen, dann würden sich die Deutschen mit den Pinguinen solidarisieren.

    • @Günter:

      Danke. Genau so ist es. Nur leider nicht auf die Deutschen beschränkt.

  • Es geht hier darum, dass eine Palästinaflagge mit Antisemitismus nichts zu tun hat. Sondern viel mehr um die Unterstützung von Zweistaatenlösung was übrigens auch Deutschland unterstützt. Das selbe gilt auch für den Zeigefinger es ist kein IS Zeichen.



    Warum müssen wir immer das negative suchen, der Redakteur versucht nur die beiden Punkte aufzuklären, jetzt versuchen manche Westsahara oder LGBTQ zu thematisieren obwohl es in dem Artikel um was anderes geht. Schade

    • @Meryem Rafi:

      Die Europäer, vor allem die Deutschen missbrauchen die Palästinaflagge für ihr über 1000 Jahre altes Ressentiment. Palästinenser, werden von deutschen NGO's mit ihrem kognitiven Modell über die Juden verdorben. Europäer, die für das Elend der Palästinenser etwa in libanesischen Lagern nichts übrig haben. Wer kümmert sich darum, dass diese Leute in die libanesische Gesellschaft integriert werden, die gleichen Rechte und Staatsbürgerschaft erhalte? Palästinenser interessieren die Deutschen und die Europäer nur, wenn man sie gegen Juden (gegen Israel) istrumentalisieren kann. Das braune "Deutsche wehrt Euch" mag man nicht mehr aussprechen, man könnte sich die gesellschaftliche Reputation verderben. Nun, nach Auschwitz, hetzen die Deutschen die Palästinenser auf, wo sie nur können, anstatt in Middle East darüber zu berichten, wozu Judenhass führen kann.



      Die Realität kann man in unseren zumeist populistisch geprägten Medien kaum nachlesen. Man muss schon suchen, um sich über die Realität klar werden zu können:



      www.dw.com/de/coro...gslager/a-57080703

    • @Meryem Rafi:

      Unterstützen diese Leute denn eine Zweistaatenlösung?

  • Cool, dass Sie dazu einen Artikel geschrieben haben, Herr Hagmann.

  • Ich kann die palästinensische Fahne nicht von der Flagge der Demokratischen Repubik Sahara



    de.wikipedia.org/w...en_Republik_Sahara



    unterscheiden. Darüber dass sie ausgerechnet von Marokkanern geschwenkt wurde dürften sich Saharaouis gefreut haben. Die Westsahara wurde tatsächlich von Marokko besetzt und annektiert, ein Akt des Kolonialismus.

    • @Henriette Bimmelbahn:

      Die der Westsahara hat noch einen roten Halbmond und einen Stern in der Mitte.

      • @Martha:

        Dann ist es wohl keine Solidarität mit der Demokratischen Republik Sahara.

    • @Henriette Bimmelbahn:

      verwunderlich, dass hier ausgerechnet die Israelfreunde sticheln. Es war doch Netanjahus Buddy Trump, der für Israel den Deal eingefädelt hat, dass die Amis die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anerkennen, damit Netanjahu seinem PR- Stunt Abrahams- Abkommen einen weiteren Staat hinzufügen kann, der mit Israel Frieden macht (obwohl er doch nie mit Israel im Krieg lag). Aber im wesentlichen weiß ich nicht was die Westsahara v Palästina unterscheidet. Das Prädikat "kolonisiert" trifft "tatsächlich" auf die Westsahara wie Palästina zu. Für die Amis und sicherlich auch für Israel ist die WS jetzt "Marokkos südliche Provinzen" (Zitat des US- Botschafters in Marokko) Naja, eine weitere Gruppe die zu Indianern gemacht wurde.

      • @ingrid werner:

        Der wesentliche Unterschied ist, dass bei Westsahara keine Abschaffung von Marokko gefordert wird und es nicht zum Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Marokko aufgerufen wird.

      • @ingrid werner:

        IsraelfreundINNEN bitte, sonst: danke für die Blumen:-)



        Was ist für Sie "verwunderlich"? Daß ich nicht alles, was Herr Netanjahu, oder gar sein angeblicher Buddy machen toll finde? Dann wundern Sie sich eben. Daß die Interessen der Saharaouis der Realpolitik geopfert wurden finde ich nicht gut.



        Allerdings gibt es zwischen den Saharaouis und den Palästinensern gewaltige Unterschiede, der augenfälligste ist der zwischen ihren Sympathie- und Solidaritätswerten. Der Unterschied könnte größer nicht sein.

        • @Henriette Bimmelbahn:

          Interessen der Realpolitik geopfert? So nötig hatten Israel u die USA es es jedenfalls nicht, dass sie mit Marokko dieses Kuppelgeschäft machen. Marokko ist bestens im Westen verankert, auch mit Israel gab es zuvor schon informelle Beziehungen, Israelis konnte frei in Marokko reisen. Es gab keine Notwendigkeit für eine Fotoop die Westsaharer zu opfern.

          • @ingrid werner:

            Gab es denn eine Notwendigkeit für Marokko, die Westahara zu besetzen und zu annektieren?

            • @Henriette Bimmelbahn:

              weiß ich nicht, eher materielle Vorteile/Rohst. Aber ich will Marokko auch gar nicht verteidigen, ist schlicht nicht das Thema. Das Thema ist, dass Israel zu eigenem Vorteil quid pro quo Geschäfte mit Ländern schließt, die auf die eine o andere Weise ähnl Probleme haben wie es selbst, mit Völkern die sie unterdrücken, vertrieben haben oder deren Länder sie besetzt haben und dafür am Pranger stehen und mit deren Widerstand sie sich nun konfrontiert sehen. Das war schon in der Vergangenheit so, siehe die spez. Beziehungen zum Apartheid-Südafrika (seit die Apartheid vorbei ist muss sich Israel gefallen lassen darauf und die Parallelen zu ihrem Regime mit der Nase gestoßen zu werden, worüber es nun sehr pikiert ist), Früher hat man sich gegenseitig etwa in UN-Gremien unterstützt wenn man da am Pranger stand, Israel hat sich angeschaut wie die Buren die Schwarzen in Homelands angesiedelt haben und daraus Modelle für die Palästinenser abgeleitet und als Bonus oben drauf haben es die Buren Israel ermöglicht vor ihren Küsten Atomwaffentests durchzuführen. Israels Gegenleistung bestand dann oft darin sein spezielles Know-How auf dem Feld v Sicherheitstechnik, Waffen, Geheimdiensten zu teilen (heute verkauft es z.B. an fast jeden seine NSO spyware Pegasus). Südafrika ist nur ein Beispiel solcher Kooperation. Neu (oder nicht?) ist, dass die USA hier einfach ihre Werte aufgeben und eine Seite in dem Konflikt Marokko - Westsahara fallen lassen und eingegangene Verpflichtungen/ Zusagen: Einen Vermittlungsprozess der beiden Seiten zu begleiten an deren Ende eine Volksabstimmung über Unabhängigkeit oder Anschluss an Marokko (?) stehen sollte. Marokko hat ziemlich schnell für sich rausgefunden, dass es das doch nicht so attraktiv findet und verschleppt den Prozess seit vielen Jahren und Amerika übt da auch kein Druck mehr auf Marokko aus, weil die Beziehungen zu Marokko attraktiver sind als ein paar Reiternomaden (Saharauis). Insofern einige Parallelen zu ISR/P u dem Osloprozess.

  • Danke für diese Replique und Klarstellung zum Antisemitismusvorwurf des Artikels: taz.de/Orchestrier...ndschaft/!5897026/

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Ukraine? Gibt es?



    Taiwan? Gibt es?



    Palästina?

  • Ich muss mir unbedingt eine Westsahara-Flagge besorgen, damit ich sie bei dem nächsten Spiel von Marokko aus dem Fenster hängen kann.

    Die Sahraouis haben Solidarität verdient.

    Auf mich wirkt es, als habe Marokkos Handeln da kolonialistische Züge.

    Die Nationalelf Frankreichs könnte mit so einer Fahne viel bewirken und das Thema Westsahara wieder auf die Tagesordnung setzen.

  • Trotzdem Doppelmoral: Solidarität mit Palästinensern darf man zeigen, Solidarität mit LGBTQ+ nicht. Entweder man unterlässt politische Zeichen, oder nicht. Dass die FIFA hier nicht einschreitet, sagt viel.

    • @Gorres:

      Es sagt mir vor allem das die Fifa nur auf Kommando ihres Herrchens anfängt zu bellen, der Gastgeber hat eindeutig das Sagen.