piwik no script img

Oppositioneller festgenommenFestgesetzt und verschwunden

Dem Aktivisten Roman Protassewitsch droht in Belarus das Todesurteil. Die Ryanair-Piloten wollten die Flugzeuglandung wohl noch verhindern.

Protest am Flughafen in Vilnius gegen die Verhaftung von Roman Protassewitsch Foto: Mindaugas Kulbis/dpa

Kiew taz | Nachdem die belarussischen Machthaber das Flugzeug, in dem der oppositionelle Journalist und Aktivist Roman Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega saßen, am Sonntag beim Flug über Belarus zur Landung in Minsk gezwungen und beide festgenommen haben, fehlt von diesen jede Spur.

Protassewitsch und die aus dem russischen Wladiwostok stammende Sapega hatten sich einige Tage in Griechenland erholt und waren auf dem Weg in die litauische Hauptstadt Vilnius. Kurz vor dem Abflug aus Athen hatte Protassewitsch einem Freund noch per Messenger eine Kurznachricht übermittelt: Ein Mann, der hinter ihm in der Schlange vor dem Check-in gestanden habe, habe versucht, seinen Pass zu fotografieren.

Um 10.28 Uhr war Flug Nr. FR4978 von Athen gestartet und hätte drei Stunden später in Vilnius landen müssen. Doch als nur wenige Minuten vor der geplanten Landung die Durchsage kam, man sei zu einer Zwischenlandung in Minsk gezwungen, „ist ein junger Mann in Panik geraten, hat sich an den Kopf gefasst“, zitiert der russische kommersant.ru einen Passagier. „Kurz nach der Landung hat dieser Mann mit zitternder Stimme gesagt:,Hier erwartet mich die Todesstrafe'“ so der Fluggast, der daneben stand, als man Roman Protassewitsch abführte.

Warum das Flugzeug zwei Minuten vor der Grenze umgekehrt ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Derzeit sind drei Versionen im Umlauf. Die staatlichen belarussischen Medien erklären, die Mannschaft des Flugzeugs habe die Behörden von einer Bombendrohung unterrichtet und um Erlaubnis zu einer Notlandung in Minsk gebeten. Die Fluggesellschaft Ryanair berichtet, die Piloten seien vom Minsker Flughafen über eine Bombe an Bord informiert und zu einer Landung in Minsk aufgefordert worden.

Piloten müssen um Gefahr gewusst haben

In einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Moskauer Nowaja Gaseta geht der Luftfahrtexperte Wadim Lukaschewitsch davon aus, dass die Piloten nur deswegen kehrtgemacht hatten, weil ein belarussischer Abfangjäger mit Raketenbeschuss gedroht habe, sollte das Flugzeug dem Befehl zum Umdrehen nicht nachkommen.

Lukaschewitsch war beim Auswerten der Flugdaten aufgefallen, dass das Flugzeug nicht – wie üblich – 177 Kilometer vor dem Landeflughafen mit der Landung angesetzt hatte, sondern unbeirrt mit maximaler Geschwindigkeit und gleicher Flughöhe weitergeflogen sei. Dies bedeute, die Piloten müssen um die Gefahr gewusst haben, wollten so schnell wie möglich Litauen erreichen. „Ich vermute, der Abfangjäger hat ein Manöver gemacht, das der Besatzung deutlich machte: Jetzt werde man schießen.“

„Wir sind geschockt“, sagte der Vater von Roman Protassewitsch, Dmitri Protassewitsch. So etwas habe er sich nicht einmal vorstellen können, zitiert das Portal berlaruspartisan.by den ehemaligen Berufssoldaten. Anfang Mai hatte Lukaschenko dem Oberstleutnant per Erlass seinen Dienstgrad aberkannt, offensichtlich aus Rache über die Aktivitäten seines 26-jährigen Sohnes. Der langjährige Aktivist hatte den Telegram-Kanal Nexta mitgegründet.

Dieser hatte nicht nur über die Demonstrationen nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 berichtet. Nexta hatte sie auch angekündigt und aktiv zur Teilnahme aufgerufen. Protassewitsch, dem Beteiligung an und Aufruf zu Massenunruhen sowie Terrorismus vorgeworfen werden, droht eine langjährige Gefängnisstrafe. Auch ein Todesurteil ist nicht auszuschließen.

Am Montag haben belarussische Behörden unter Verweis auf Sicherheitsbedenken das Boarding einer Lufthansa-Maschine am Minsker Flughafen unterbrochen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Hm, wie war das eigentlich mit der Maschine von Evo Morales 2013, als die USA gerne Snowden verhaften wollten?

    Vielleicht könnten wir das auch nochmal neu bewerten?

    • @Hanno Homie:

      Gerne...welche Art von Kapfflugzeug wurde denn damals eingesetzt um die Maschine zum landen zu zwingen?

  • Was ist mit den Piloten? Warum fragt man diese nicht, anstatt zu spekulieren? Was ist da los?

  • Ich fürchte, dass der cockpit voice recorder keine nutzbaren Daten mehr aufweist. Aber wir haben zwei Zeugen: die Piloten. Gemessen an der miesen Bezahlung von Ryanair sind die allerdings sehr anfällig für Bestechnungsgelder.

    • @Luftfahrer:

      es gibt den Mitschnitt der Kommunikation, in der von einer Bombendrohung gewarnt wird. Von einem fremden Flugzeug wird nicht geprochen.

      • @Martin_25:

        Die paar Schnipsel passen allerdings zu beiden Versionen.

  • Luftverkehr ist auf internationale Kooperation angewiesen. Belarus hat diesen Raum verlassen.

  • Der Westen muss jetzt maximal reagieren.



    Belarus unter Lukaschenko ist eine Gefahr für die Sicherheit des Luftverkehrs, das kann man nicht hinnehmen, selbst wenn man sich sonst eigentlich nicht einmischen möchte. Jedes Gerede über Dialog wäre jetzz blanke Selbstaufgabe. Man muss sicherstellen, dass so etwas nie wieder passiert. Man sollte Belarus nicht mehr über- und nicht mehr anfliegen bis Protassewitsch und Sapega wieder frei sind. Minimum. Man sollte zudem die diplomatischen Beziehungen herunterfahren und massive Wirtschaftssanktionen beschliessen.

  • "Die staatlichen belarussischen Medien erklären, die Mannschaft des Flugzeugs habe die Behörden von einer Bombendrohung unterrichtet und um Erlaubnis zu einer Notlandung in Minsk gebeten."

    Was für ein ausgemachter Schwachsinn. Woher soll die Mannschaft denn die Info bekommen haben?



    Und warum sollten sie dann nicht den nächstgelegenen (Ziel-)flughafen ansteuern, sondern ins deutlich weiter entfernte Minsk zurück fliegen? Was für ein offensichtliche, dreiste Lüge.

  • Wer hatte Zugang zu den Passagierlisten? Sind die denn so problemlos einzusehen? Sorry, bin Laie. Es macht schon nachdenklich, wie löcherig solche Systeme sein müssen, dass sie so unbemerkt ausgespäht werden können, finde ich.

    • @noevil:

      Aus dem Artikel geht hervor, dass der Junior beobachtet worden ist und dass jemand am Schalter der Fluggesellschaft ein Foto von seinem Pass hat machen wollen. Diese Person hat dann, das kann man auch als Laie sagen, die Information weitergegeben. Bespitzeln nannte man das in der DDR.

    • @noevil:

      Dergleichen dürfte für Geheimdienste ein Kinderspiel sein. Ich wundere mich aber schon sehr, dass Sie sich über eine solche Nebensächlichkeit auslassen, wenn ein Passagierflugzeug mit militärischen Mitteln vom Himmel geholt und ein Mensch entführt wird.

    • @noevil:

      Verzeihung aber wenn Sie den Artikel den Sie hier kommentieren tatsächlich gelesen hätten wäre Ihnen aufgefallen dass Protassewitsch beschattet wurde.



      Offenbar war die "altmodische Methode" angewendet worden anstatt mit Hilfe einer Liste zu entscheiden welches Flugzeug abgefangen werden muss.

  • Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass der Abfangjäger auf ein ziviles Flugzeug geschossen hätte? Die Weißrussen hätten niemals glaubhaft behaupten können, dass von dem Flugzeug unmittelbar Gefahr ausging (à la 9/11). Passt ja auch nicht damit zusammen, dass man es trotzdem zur Landung auffordert.



    Die Piloten hätten so einen Bluff einfach ignorieren können. Stimmig ist die Geschichte also noch längst nicht. Ich hoffe, dass die Untersuchung die Fakten noch ans Licht bringt. Es kann sein, dass die Rolle von Ryanair wenig rühmlich war. Die von Weißrussland war ganz sicher kriminell.

    • @Winnetaz:

      "Die Piloten hätten so einen Bluff einfach ignorieren können."



      Vom heimischen Sessel ist das sehr leicht zu fordern. Aber fliegen Sie mal ein Verkehrsflugzeug mit über 100 Leuten auf dem Gewissen, wenn hinter Ihnen ne Mig-29 mit scharfer Bordkanone und Raketen unterwegs ist und mit dem Einsatz dieser droht, wenn Sie nicht spuren. Piloten sind ausgebildet, sicher und nicht draufgängerisch zu fliegen, und das ist gut so.

      • @Luftfahrer:

        ...genau, und nach dem "Abschuß" wäre die offizielle Verlautbarung von Lukaschenko doch klar gewesen..."die Piloten haben gezögert...und so ist die ja gemeldete Bombe explodiert" Das wäre dann die 4. Version gewesen.